artmap.com
 
MARCUS STEINWEG
 

WAS IST EIN KOLLEKTIV? (2008)

(Excerpt)

Ich nenne Kollektiv eine Gemeinschaft, deren Mitglieder nichts verbindet als die Abwesenheit einer objektiven oder absoluten Verbindung. Das Kollektiv ist vielleicht nichts als die von Georges Bataille und Maurice Blanchot (wenn auch auf unterschiedliche Weise) evozierte Gemeinschaft ohne Gemeinschaft. Das Band, das die im Kollektiv verbundenen Subjekte verbindet, existiert nicht, oder: es ist die faktische Nichtexistenz der Verbindung. Wie also kann man sich ein Kollektiv vorstellen, das sich radikal von allen auf objektive Kriterien oder Normen gegründeten gemeinschaftlichen Gebilde, wie von den absoluten Gemeinschaften, die einen letzten transzendenten Grund beschwören, unterscheidet? Das lateinische colligere, das auf die Lese, das Zusammenlesen, verweist, indiziert bereits die Dynamik des Klaubens, des Zusammensuchens. Colligere bedeutet, seinen Blick schweifen zu lassen, um in der Unübersichtlichkeit, die die Realität ist, ein Minimum an Ordnung herzustellen, indem man ihre Elemente zu gruppieren beginnt. Nun hat man Recht, im Akt der Gruppierung eine Gewalt zu erblicken, die die Gewalt der Vereinfachung ist, der Reduktion. Das Kollektiv, das die Gemeinschaft jenseits des Gemeinschaftlichen ist, muss der Idee der Gruppierung einen Widerstand eintragen. Denn offenbar ist das Kollektiv eine Gruppe, deren Mitglieder zu different sind, um sich einem einheitlichen Prinzip zu beugen oder einem gemeinsamen Ideal. Das Kollektiv, das mir vorschwebt, ist eine unendlich fragile Konstruktion. Eine Gemeinschaft, ja, aber eine Gemeinschaft, die ohne geteilten Grund und ohne geteiltes Ziel auskommen muss. Es ist die Gemeinschaft der Gemeinschaftslosen in dem Sinn, in dem diese Gemeinschaft auf kein anderes Band vertraut als auf das der Verbindungslosigkeit. Deshalb muss von dieser Gemeinschaft gesagt werden, dass sie nicht existiert.