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MARCUS STEINWEG
 

ZWEI SUBJEKTE

Was also ist die Seinsweise der Demokratie? Der Demokratie als Existenzform einer Pluralität von Singularitäten, die den Begriff und die Vorstellung eines nationalen, etatistischen Volks-Körpers unterbricht?

Demokratie ist, was die demokratischen Formen, die etablierten Dispositive demokratischer Funktionen und Operatoren, an ihre Grenzen treibt. Sie ist, was eine Nicht-Funktion, einen Widerspruch, eine Aporie einführt in die Idee des demokratischen Subjekts. Das Subjekt der Demokratie muß in einer Art Gegnerschaft zum, sagen wir, demokratisierten Subjekt stehen. Das Subjekt der Demokratie ist etwas wesenhaft anderes als ein demokratisiertes, der polizeilichen Logik assimiliertes Nicht-Subjekt. Es ist nahezu nichts als Widerstand gegen seine Demokratisierung. Das demokratisierte Subjekt hat sich im Akt seiner Demokratisierung gerade jenes widerständigen Subjekt-Anteils entledigt, den das Subjekt der Demokratie privilegiert und bewahrt. Es ist dieser Subjekt-Anteil, seine Affirmation und Verteidigung, der das Subjekt davor schützt nichts als Objekt einer Demokratisierung, das heisst Ent-Subjektivierung, zu sein.

Demokratie ist das Pausieren, das Innehalten, die erzwungene Epoché aller institutionellen, administrativen, technischen und bürokratischen Vorgänge, die diese Ent-Subjektivierung steuern. Statt der Inbegriff einer konsensuellen Beruhigung konfliktuöser Elemente zu sein, ist die Demokratie, was diese Beruhigung stört. Demokratie ist, was die Selbstberuhigung des guten demokratischen Gewissens unendlich aufschiebt und derart verhindert. Sie ist die Überschreitung aller Institutionen und Strukturen, die sich dem Willen zu dieser Beruhigung verdanken. Sie ist, sagt Jacques Rancière, “der Name einer singulären Unterbrechung dieser Ordnung der Verteilung der Körper in der Gemeinschaft, für die ich vorgeschlagen habe, sie durch den erweiterten Begriff der Polizei begrifflich zu fassen. Sie ist der Name dessen, was das gute Funktionieren dieser Ordnung durch ein singuläres Dispositiv der Subjektivierung unterbricht.”

Rancière bringt dieses Funktionieren mit der Herrschaft der Meinung und der geweiteten Macht der sophrosyne in Verbindung. Die Meinung (doxa) und die Besonnenheit (sophrosyne) konstituieren mit sich selbst identische Subjekte der Selbstberuhigung. Es sind Subjekte, die sich ganz mit ihrer sozio-politischen Situation im postdemokratisch-polizeilichen, und deshalb entpolitisierten, Gefüge identifizieren. Subjekte eines elementaren, alle ihre konkreten Entscheidungen affizierenden Arrangements mit der etablierten Ordnung oder Lage. Im “postmodernen Zeitalter” differenziert sich die Demokratie in zwei unversöhnlichen Modalitäten, in die Demokratie als Logik der Gleichheit und in die Post-Demokratie der Polizeiordnung:

1. “Die Demokratie ist die Einrichtung von Subjekten, die nicht mit den Teilen des Staats oder der Gesellschaft übereinstimmen, von schwebenden Subjekten, die jede Repräsentation der Plätze und Anteile in Unordnung bringen.”

2. “Die Post-Demokratie ist die Regierungspraxis und die begriffliche Legitimierung einer Demokratie nach dem Demos, einer Demokratie, die die Erscheinung, die Verrechnung und den Streit des Volks liquidiert hat, reduzierbar also auf das alleinige Spiel der staatlichen Dispositive und der Bündelung von Energien und gesellschaftlichen Interessen. Die Post-Demokratie ist keine Demokratie, die im Spiel der gesellschaftlichen Energien die Wahrheit der institutionellen Formen gefunden hat. Sie ist eine Weise der Identifizierung der institutionellen Dispositive mit der Aufstellung der Teile und der Anteile der Gesellschaft, die geeignet ist, das der Demokratie eigene Subjekt verschwinden zu lassen.”

Analog der Unterscheidung von Demokratie und Post-Demokratie ist die ebenso unentscheisbare wie absolute Differenz zwischen dem Subjekt der Nicht-Übereinstimmung mit der polizeilichen Ordnung, dem Subjekt des Unrechts (le tort) und demjenigen der Selbstassimilation an diese Ordnung. Zwischen dem Subjekt der Demokratie und dem demokratisierten Subjekt.

Das Subjekt der Demokratie ist Subjekt der Schwebe. Es schwebt über der Logik der (juridischen, sozialen, politischen) Repräsentation, um sich von dieser Logik nicht einfangen und abbilden zu lassen. Deshalb ist es Subjekt der Unruhe. Weil es der Repräsentation, die ein System der Äquivalenz statt der Gleichheit ist, als eine Inkommensurabilität entgegensteht. Das Subjekt der Demokratie ist in diesem spezifischen Sinn unermesslich. Es ist als solches exzessiv. Es repräsentiert das Nicht-Repräsentierbare, einen radikalen Überschuss und irreduziblen Widerstand, der sich in keiner Art von Konsens je beruhigt.

Das demokratisierte Subjekt ist Subjekt seiner polizeilichen Entschärfung. Es ist Subjekt des Rechts. Prädefiniertes, soziopolitisch codifiziertes Subjekt der post-demokratischen Rechtsordnung. Es ist, was übrig bleibt vom Subjekt der Demokratie im Vollzug seiner Verrechtlichung oder Demokratisierung. Es ist der nicht-energetische, funktionale, auf seinen Objekt-Status reduzierte Subjekt-Anteil: eine Art entpolitisierter, verstaatlichter Rest.