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MARTIN BILINOVAC
 

INTERVIEW ANLÄSSLICH DER AUSSTELLUNGSVORBEREITUNG ZU „KAUSAL“, 30. AUGUST 2007 – 29. SEPTEMBER 2007 IN DER STARTGALERIE IM MUSEUM AUF ABRUF (MUSA), WIEN DAS INTERVIEW FÜHRTE DANIELA HAMMER-TUGENDHAT (02. JULI 2007).

„Kein Handeln mehr möglich“


Martin Bilinovac über die Bedeutung von Dingen und die Begrenztheit von Erkenntnis und Wahrheit, anlässlich der Ausstellungsvorbereitung zu „Kausal“, 30. August 2007 – 29. September 2007 in der Startgalerie im Museum auf Abruf (MUSA), Wien
Das Interview führte Daniela Hammer-Tugendhat (02. Juli 2007).


Daniela Hammer-Tugendhat: Sie nennen Ihre Ausstellung „Kausal“. Ein Begriff, bei dem man an Begründungen, an Beweisführungen, an die lückenlose Kette von Ursache und Wirkung denkt. Bei der genaueren Betrachtung Ihrer Arbeiten scheint es aber, als ob Sie diesen Begriff dekonstruieren und hinterfragen?

Martin Bilinovac: Das könnte man so sagen. Der Begriff „Kausal“ fasst auch das, was letzten Endes unsagbar ist und dennoch gesagt werden will, die ursächliche Beziehung zweier Ereignisse – und dies gehört für mich zu dem innersten Kern der Erkenntnis.

Daniela Hammer-Tugendhat: Die Arbeit, die eigens mit „Kausal“ betitelt ist, zeigt einen zerbrochenen Spiegel, in den ein Kabel hineinläuft. Man fragt sich: Spiegelt sich das oder ist das Kabel am Spiegel angebracht? Wie würden Sie da die Funktion des Spiegels sehen?

Martin Bilinovac: Der Spiegel ist in einem speziellen Winkel an der Wand zu der Kamera gestellt, so dass das Kabel hinter seiner eigenen Spiegelung entlang und gleichzeitig in diese hineinläuft. Mir geht es bei dieser Arbeit darum, einen Moment zu schaffen, in dem der Zustand des Seins mit dem des Scheins verschmilzt und beide gleichzeitig existieren. Auf diese Weise entsteht eine neue Bedeutung, nämlich dass sich das Sein seinen Weg hinter und durch den Schein bahnt.

Daniela Hammer-Tugendhat: Ich finde es sehr spannend, wie Sie grundsätzlich mit den Dingen umgehen. Bei Ihnen meinen die Dinge nicht sich selbst, sondern sie werden zu Zeichen, die auf etwas anderes verweisen, auf grundsätzliche philosophische Reflexionen. Wie würden Sie denn Ihre Beziehung zu den Dingen in Ihrer Kunst charakterisieren?

Martin Bilinovac: Für mich sind die Dinge das Wesen, die Wahrheit an und für sich. Indem ich in meiner Arbeit versuche, diese Wahrheit zu erkennen, die gewissermaßen den Hintergrund der Dinge ausmacht, muss ich durch die Dinge hindurchtauchen. Da mir dies mit den Mitteln der Vernunft nicht recht gelingen mag und es mir darüber hinaus auch nicht recht vernünftig erscheint, versuche ich das mit den Mitteln der Kunst, weil ich mit ihr am besten ohne Worte über die Dinge, mit den Dingen denken kann.

Daniela Hammer-Tugendhat: Die Arbeit „Wir erinnern uns nicht“ zeigt einen Menschen, der einen Schalter an einem Heizkörper umlegt. Hier ist der Zusammenhang von Text und Bild in Ihren Arbeiten besonders auffällig. Ihre Titel und Texte lenken und strukturieren die Wahrnehmung stark, man sieht durch sie ganz andere Dinge in den Dingen.

Martin Bilinovac: Ich suche für meine Arbeiten nach einer Kombination von Text und Bild, die es mir ermöglicht, eine bestimmte Ebene in ihnen aufzumachen, um deren Ursprünge zu beleuchten und gleichzeitig von dem wegzuführen, was man meint, auf den Bildern selbst zu sehen. Bei der von Ihnen angesprochenen Arbeit ging ich der Überlegung nach, dass der Mensch, wenn er sich im vollkommenen Bewusstsein für sein Handeln befände, nicht mehr in der Lage wäre, selbst so etwas Einfaches zu tun wie diesen Schalter zu drücken. In solch einem Bewusstsein und dem sich daraus ergebenden Gedächtnis wäre überhaupt kein Handeln mehr möglich, letztlich würde es den Menschen selbst verhindern.

Daniela Hammer-Tugendhat: Man kann das Bild demnach auf zwei Ebenen verstehen: Einerseits, dass wir uns in einer Welt bewegen, in der wir von Dingen umgeben sind, deren Funktionsweise wir nicht verstehen, und andererseits als Metapher, dass wir existieren, ohne uns gewisse Fragen zu stellen?

Martin Bilinovac: Ganz genau. Und selbst wenn wir wissen, wie die Dinge funktionieren und wie diese zu benennen sind, haben wir sie dadurch immer noch nicht hinreichend erklärt. Wir sind also trotz der Sprache und allen anderen Prothesen, die uns zur Verfügung stehen, nicht in der Lage, die Dinge so zu erfassen, wie und was sie wirklich sind.

Daniela Hammer-Tugendhat: Ein anderes Thema, das in Ihrer künstlerischen Arbeit immer wieder auftaucht, sind die Raumdarstellungen, in denen eine Palette von Differenziertheiten aufgefächert wird und die dadurch eine Sensibilität für Oberflächenphänomene wecken. Man hat den Eindruck, dass es Ihnen, indem Sie Raum zeigen, immer auch um dessen Beziehung zu der Zeit geht?

Martin Bilinovac: In meinen Raumaufnahmen spielt der Moment des Stillhaltens eine wesentliche Rolle, also die Räumlich übersteigerte Präsenz und damit der Gedanke an die Ewigkeit, der für mich dort entsteht, wo die Alltäglichkeit zu einem Stillstand gelangt ist. Dieser Zustand hat seinen Ursprung in der Beziehung dessen, was in und außerhalb von mir liegt – und diesen versuche ich zu fassen.

Daniela Hammer-Tugendhat: Dies findet sich beispielsweise in Ihrer Arbeit „Aussicht’’. Man sieht hier etwas gleichzeitig, was man in der Realität unmöglich gleichzeitig sehen könnte. Sowohl die unmittelbare Nähe, das Handtuch im Vordergrund, als aber auch die Ferne, das Draußen, sind ganz scharf.

Martin Bilinovac: Ja, die Schärfe zieht sich über den nächsten und den fernsten Punkt des Bildes. Mir ging es hier um die Visualisierung einer Imagination, in der sich die Grenze von Nah und Fern, der Fokus, aufhebt. Dies verweist auf die Gleichzeitigkeit, in der wir existieren, aber die wir nicht wirklich erleben können.

Daniela Hammer-Tugendhat: Bei anderen Arbeiten geht es um gesellschaftliche Fragen, um Macht und den Umgang mit kulturellem Gedächtnis. Ich denke da an die Arbeit „180m“. Der Palast der Republik scheint bei Ihrer Aufnahme wie ein Monument seiner selbst. Es wird einem das Problem an sich bewusst, wie mit der Geschichte der DDR umgegangen beziehungsweise gerade nicht umgegangen wurde, indem man den Palast der Republik einfach verrotten ließ.

Martin Bilinovac: Um diese Vorgänge sichtbar zu machen, habe ich die Architektur des Palastes der Republik auf seine Fassade reduziert und alles um ihn herum geklärt, also Bushaltestellen, Menschen, Tiere, Plakate usw. wurden entfernt. Damit wollte ich Bezug nehmen auf die im Jahre 2005 geführte Diskussion rund um die Wiedererrichtung der Fassade des Alten Stadtschlosses am geplanten Humboldtforum. Ein weiterer Teil der Arbeit bestand darin, dass ich Mokkatassen aus dem Palast der Republik bei Ebay ersteigerte und diese dann im Zuge einer Finissage selbst wieder versteigert habe. Eine der ersten Amtshandlungen in der damaligen DDR war ja der Abriss des teilzerstörten Stadtschlosses, da dieses als Sinnbild des preußischen Militarismus‘ und der Bourgeoisie gegolten hat. Es war für mich interessant zu beobachten, dass nun dem Palast der Republik, der seinerseits als Sinnbild der DDR gegolten hat, nun ein ähnliches Schicksal zuteil wird. Mir ging es darum, ein Beispiel für die Unmöglichkeit der Unparteilichkeit, der Objektivität in der Geschichte und den Umgang damit zu schaffen. Geschichte ist letztlich nur eine amorphe Anhäufung von Daten und lässt keine wissenschaftliche Betrachtung im eigentlichen Sinne zu.

Daniela Hammer-Tugendhat: In diesem Zusammenhang kommen mir auch Ihre Aufnahmen der Büroräume des Arbeits- und Wirtschaftsministerium in Wien in den Sinn, die ja unglaublich banal erscheinen und doch deutlich werden lassen, dass Macht etwas viel Komplexeres ist, als man glauben möchte, dass diese sich nicht zentralisieren oder personalisieren lässt. Und auch hier entsteht wiederum diese Bedeutung aus der Kombination von Bild und Text.

Martin Bilinovac: Ja, denn Kunst ist meines Erachtens zu einem sehr großen Teil nur über Kontextualisierungen erfahrbar zu machen. Erst daraus wird für mich die Diskrepanz zwischen dem, wie eine Sache aussieht, und dem, was eine Sache ist, greifbar.





Redaktionelle Überarbeitung: Anja Petersen