artmap.com
 
MIRJAM KUITENBROUWER
 

JUTTA SCHENK SORGE: VEREINIGDE...

Jutta Schenk Sorge: Vereinigde Uitzichten-Vereinte Aussichten

Globalisierung, Internet, Cyberspace, virtuelle Realität, 3-D-Verfahren, neue Schlagworte und neue Medien haben dem Phänomen "Raum" und seiner visuellen Darstellung unerwartete Aktualität verschafft. Das besondere Interesse gilt der Schöpfung künstlicher Räume und imaginärer Architekturen und dieses Thema fasziniert auch Künstler jenseits der Computerwelt. So bedient sich die junge Niederländerin Mirjam Kuitenbrouwer (Jahrgang 1967) zwar herkömmlicher Medien, reflektiert "Raum" und "Architektur" aber doch auf eigene und vielschichtige Weise. Bisher arbeitete sie mit kombinierten Collagen aus Malerei, Fotos, Zeichnungen, Klebeband und Schrift und schuf damit eigenwillige Interieurs. Jetzt erprobt sie ihre Konzepte auch in dreidimensionaler Form. "Vereinte Aussichten", ihre erste deutsche Soloschau, zeigt vier Skulpturen, die sich als Landschafts - und Architekturmodelle präsentieren. Die Modellform stellt für die Künstlerin die reinste Verkörperung von Ideen dar, bleibt sie doch ungetrübt von den Realitäten der Ausführung. Irreal bis surreal wirken ihre eigenen Modelle. Das titelgebende Werk,eine durchsichtige Miniaturarchitektur sitzt hoch an der Wand wie ein tibetanisches Kloster. Es besteht ausschließlich aus Fenstern, eben den "vereinten Aussichten". Das subtil Antropomorphe dieser Architekturen mit ihren Augenfenstern weckt Erinnerungen an Kindheitsfantasien und Trickfilme und das Gefühl beobachtet zu werden, obwohl niemand da ist. Tatsächlich steht die Künstlerin mit ihrem Blick dahinter. Sie postuliert eine Analogie zwischen Denkstrukturen und der Strukturierung von Raum durch die umschließende Architektur und identifiziert sich mit ihren Objekten. Ein weiteres Werk thematisiert sehr explizit Kuitenbrouwers Gedanken zu Wahrnehmungsprozessen. Sie materialisieren sich hier als graue Berglandschaft,in der ein schwarzes Kameragehäuse wie eine einsame Seilbahnstation thront. Steht man als Betrachter direkt dahinter, so trifft der Blick über eine Ebene hinweg auf einen Spiegel. Mirjam Kuitenbrouwer setzt Wahrnehmungs - und BewußtKuitenbrouwer/2 seinsprozesse mit fotografischen Abläufen gleich,bei denen die Bilder der Außenwelt, immer auch uns selbst mitreflektieren. In einem ihrer Texte, in denen sie sich regelmäßig Rechenschaft über ihre Arbeit gibt, zieht sie eineVerbindungslinie von "camera oscura" über "Kammer" bis zu geistigen Vorstellungsräumen. Tatsächlich tauchen in ihren Zeichnungen häufig Energielinien auf. Sie erinnern sowohl an die Fluchtlinien der Zentralperspektive wie an Verkündigungsbilder, die die Kraft der Botschaft "linear" unterstreichen. Hier werden Räume als Energiefelder verstanden. Am ungewöhnlichsten unter den ausgestellten Skulpturen wirkt "La Maison Double", die ihr Motiv spiegelt und verdoppelt. Denn während nach oben aus einem gipsweißen Berg eine Art Kontroll - oder Aussichtsturm emporragt, verwandelt sich dieser Berg nach unten zu einem tiefen Krater, an dessen äußerstem Punkt der Turm zur Tiefensonde mutiert. Verbunden sind beide Bereiche durch eine unendlich lange Leiter. Ein vieldeutiges Motiv.Man sollte Mirjam Kuitenbrouwers "Modelle", die weniger skulptural als malerisch wirken und sich noch nicht ganz vom Flair der Bastlerfantasie befreit haben, als ersten Schritt in einem neuen Medium werten und sie vor dem Hintergrund ihres bisherigen Werks betrachten. In ihren Collagen und Zeichnungen von Interieurs hat sie bereits die eigene Sprache gefunden. Dabei knüpft die Arnheimerin an die spezifisch niederländische Tradition dieses Genres an. Sie greift zurück, etwa auf Vermeer, auf die im goldenen 17. Jahrhundert geschätzten Raumverschränkung durch Ausblicke, Durchblicke und abrupte Übergänge und artikuliert sich dennoch zeitgenössisch. Durch divergierende, simultan verwendete Perspektiven und Blickpunkte irritieren und fesseln diese Bilder. Und wie die Künstlerin Räume miteinander verschränkt, so betreibt sie auch ein lockeres Wechselspiel zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Mit ihren ersten Modellen rekonstuierte sie Gebäude aus Giottos Gemälden. Giottos Vorstellungen materialisieren sich damit im Heute, imaginäre Architekturen der Vergangenheit verwandeln sich in reale Objekte der Gegenwart.

Jutta Schenk-Sorge, in Kunstforum 144, Seite 338 über die Ausstellung: Wohnmaschine14.1. - 7.3.99