Stoffe der Eitelkeit - Stilllebenfotografie aus Leipzig
24 Apr - 06 Jun 2009
»Stoffe der Eitelkeit - Stilllebenfotografie aus Leipzig«
Den Künstlern der Ausstellung ist zunächst eines gemeinsam: sie haben an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig in der Klasse von Timm Rautert studiert. Woran man einen Rautert-Schüler erkennt, fragt Susanne Kippenberger und Timm Rautert antwortet: "Ich hoffe, dass man im Gespräch merkt, dass er gut ausgebildet ist. [...] Woran man ihn vielleicht noch erkennen kann, ist das spezifisch Fotografische der Arbeiten [...]. Man sieht den Bildern an, dass sie in keinem anderen Medium gedacht und gemacht werden können." Um jedoch das spezifisch Fotografische zu definieren, wird es in den Arbeiten von Sveinn Fannar Johannsson, Edgar Leciejewski, Florian Rossmanith, Nadin Maria Rüfenacht, Oskar Schmidt und Carsten Tabel mit Eigenheiten und Fragestellungen benachbarter Disziplinen konfrontiert.
Bei Victor Stoichita beginnt die Entwicklung des selbstbewussten Bildes mit dem Aufkommen des Stilllebens in der Malerei des 16. Jahrhunderts. Jenes Genre und seine Tendenz zur Selbstkritik sind es, die den Ausgangspunkt dieser Ausstellung bilden.
Die Aufmerksamkeit, die dem Stillleben damals zukam, galt weniger den Dingen, die darauf zu sehen waren, als der symbolisch verschlüsselten Botschaft, die sich jenseits ihres pragmatischen Gebrauchszusammenhanges in aufwendigen Arrangements mitteilte. Auch in den Fotografien der Serie Nature Morte von Nadin Maria Rüfenacht ist der Betrachter versucht ikonographische Verweise zu entschlüsseln. Die Künstlerin indes setzt sich mit dem Potential der Fotografie auseinander, den Unterschied zwischen tot und lebendig unkenntlich zu machen: „Das bewegte Leben sieht in der Erstarrung des fotografischen Bildes aus, als wäre es tot. [...] Die leblosen Statuen und Architekturen sehen auf Fotos jedoch aus, als wären sie jetzt erst zum Leben erwacht.“ So findet man von den drei Merkmalen, die Victor Stoichita der Stilllebenmalerei des 16. Jahrhunderts zuschreibt, in Nadin Maria Rüfenachts Fotografien mindestens zwei: das Motiv der Vergänglichkeit des Seins und den kritischen Blick auf das eigene Medium. Während sich die Serie Natures Mortes an der Ikonographie klassischer Stillleben orientiert oder, wie in späteren Arbeiten, an Kompositionen Giorgio de Chiricos, erinnert die Serie Le Cirque de Jeanne an Oskar Schlemmers Triadisches Ballett.
Das selbstbewusste Bild weiß auch um die Geschichte seiner eigenen Disziplin. So erinnert der Schneebesen in Carsten Tabels Baronnesse an La femme von Man Ray, jenen Künstler, der es verstand den Dingen einen neuen Sinn zu geben und aus ihnen den „Stoff von etwas Wunderbarem“ zu machen. Dies zu erreichen, trugen nicht selten die Titel seiner Fotografien bei, die an Fantasie und Vorstellungsvermögen des Betrachters appellieren sollten. Die Fotografien von Carsten Tabel heißen Baronesse, Wild Horses oder Bugs. Sie sind Konstruktionen aus Rohstoffen und Bauteilen. Von ihrer ursprünglichen Bestimmung befreit, lässt Carsten Tabel sie Teil eines neuen Assoziationsfeldes werden. Rohre, Antennen, Drähte, Matratzen, Tische und Lampen: eine Sammlung ausgedienter Gegenstände wird zum Material seiner fotografischen Inszenierungen. Wie in der surrealistischen Fotografie lässt Carsten Tabel aus diesen Fragmenten ein neues Wirklichkeitsbild entstehen. Anders jedoch als Man Ray hält Carsten Tabel an der realistischen Abbildung der Gegenstände fest, sie bleiben erkennbar als Teil der uns vertrauten Welt.
Die Fotografien von Florian Rossmanith sind Teil der Arbeit Der Wald hinter dem Brett. Folgendem Auszug aus Franz Kafkas Bericht für eine Akademie entlehnt, erinnert der Titel an die besonders im 18. Jahrhundert populäre Tradition des Guckkastens: „Ich hatte die Kiste vor mir. Öffne die Bretterwand, beiße ein Loch hindurch, presse Dich durch eine Lücke, die in Wirklichkeit kaum den Blick durchlässt und die Du bei der ersten Entdeckung mit dem glückseligen Heulen des Unverstands begrüßest. Wohin willst du? Hinter dem Brett fängt der Wald an.“ Die perspektivischen Ausblicke, die die bunt bemalten Miniaturkulissen dem Betrachter boten, wenn er durch eines der winzigen Löcher des Guckkastens sah, ließen ihn von fremden Ländern träumen und gewährten ihm eine Vorstellung dessen, was unerreichbar für ihn war. Der Reiz, den diese Bilder auf das Publikum ausübten, verdankte sich aber nicht nur der Darstellung bis dahin ungeahnter Dinge, sondern auch der dreidimensionalen Illusion in der sie ihm erschienen. Die dreidimensionale Illusion, das Trompe-l’œil, war es auch, die neben den symbolisch verschlüsselten Botschaften den Betrachter des frühen Stilllebens faszinierte und die Victor Stoichita zufolge das dritte Merkmal dieser Malerei darstellt. Ähnlich den Guckkastenbildern zeigen auch die Fotografien von Florian Rossmanith einen Ausschnitt von Welt. Genauer gesagt zeigen sie Schaufenster, moderne Guckkastenbilder, deren Gegenstand fehlt. Ungerahmt wirken die Fotografien im Ausstellungsraum wie Öffnungen. In Bling Bling betont Rossmanith das illusionistische Potential des fotografischen Bildes, den tiefen Raum durch den sich eine Plastikplane windet, während die gelben Comicblasen, die am Schaufenster haften, an die zweidimensionale Fläche des Bildträgers erinnern.
Wand 28.06.2008 (Studie), Wand 30.07.2008 (Studie), Wand 30.07.2008 (Studie II) – die Fotografien von Edgar Leciejewski zeigen Fragmente einer Wand. An verschiedenen Tagen aufgenommen, scheinen sie einen Arbeitsprozess zu dokumentieren. Ohne erkennbares Ordnungsprinzip hängen hier neben Abzügen der Fotografien des Künstlers auch Ausdrucke gefundener Fotografien sowie Zeitungsausschnitte und Notizen. Anders als die Fotografien von Florian Rossmanith, die den Eindruck eines Durchblicks durch eine transparente Oberfläche in den dahinter liegenden Raum vermitteln, präsentieren sich die Fotografien von Edgar Leciejewski wie Bilder, die sich in den Ausstellungsraum hinein bewegen. Porträt V veranschaulicht wohl am eindringlichsten, wie sich die mit einem Stück Klebeband an der Wand des Ateliers befestigte Fotografie von Vaslav Nijinsky von der ebenen Fläche des Bildes loszulösen scheint. Edgar Leciejewski bricht jedoch die Illusion von Dreidimensionalität: das Porträt an der Wand besteht aus einer zweidimensionalen Matrix, der sich die dreidimensionale Matrix eines perspektivischen Raumes zuordnen lässt.
Ob Oskar Schmidt junge Mädchen in manierierten Posen inszeniert oder Karten auf einem Tisch, seine Methode verrät einen Fotografen mit malerischen Neigungen. Als „zweideutige Grenzfälle“, hätte Siegfried Kracauer seine Fotografien bezeichnet: „Sie wirken als seien sie überkomponiert hinsichtlich der Belichtung und des gegenständlichen Arrangements; sie zeigen, wir fühlen es, nicht mehr die Realität im Fluß, sondern bringen ihre Elemente in einen Formzusammenhang der an Gemälde erinnert.“ In der Tat wird in den Fotografien von Oskar Schmidt nichts dem Zufall überlassen. Fast nichts. Denn der Wunsch nach kontrollierter Bildordnung wird gebrochen von der Affinität fotografischer Aufnahmen zum Zufälligen. Tendiert Oskar Schmidt dazu die spezifischen Eigenschaften seines Mediums zu vernachlässigen, nicht in Hinblick auf die Art und Weise der fotografischen Wiedergabe, sondern indem er die gestellte Realität der ungestellten vorzieht, so um die Grenzen des Fotografischen sichtbar zu machen. Die Fotografien Welt, Scheibe, Schädel, Kartenhaus I und Kartenhaus II haben den Zufall scheinbar besiegt. Dafür begegnen wir in ihnen erneut der Auseinandersetzung mit dem für die Fotografie scheinbar unlösbaren Paradoxon zwischen der Illusion von Dreidimensionalität und der Flächigkeit des Bildträgers.
Auch Sveinn Fannar Johannsson beschäftigt sich mit den optischen Gesetzen des fotografischen Bildes. Begleitend zu seiner Serie And you could have a limp schreibt er: „Da ist ein Stuhl, vor einer Wand, in einem Raum, zu einem bestimmten Zeitpunkt. Licht fällt nicht direkt darauf, es gibt keine starken Schatten. Die Einsteinsche Relativitätstheorie veranschaulicht, dass der Raum gekrümmt ist. Eine Kugel ist eine zweidimensionale Fläche, die krumm im dreidimensionalen Raum liegt. Zudem unterliegt sie der vierten Dimension, der Zeit.“
Die Tendenz zur Selbstkritik, die sich in den Fotografien der Ausstellung manifestiert, schließt die Zuwendung zum Objekt nicht aus. Im Gegenteil. So wie dem Malen des Stilllebens, geht auch der Aufnahme des fotografischen Bildes das Arrangieren von Dingen voraus. Es wird gestapelt und geklebt, gehämmert und gesägt, Räume werden gebaut, Realitäten konstruiert. Manchmal, wie bei Carsten Tabel oder Sveinn Fannar Johannsson, werden die Konstruktionen sogar zu eigenständigen Installationen, die den Rahmen der Fotografie verlassen, um außerhalb von ihr Platz zu nehmen. Text: Christin Krause. © Parrotta Contemporary Art.
»Substance of Vanity - still life photography from Leipzig«
The artists in this exhibition initially all have one thing in common: they have all studied under Timm Rautert at the Academy of Visual Arts in Leipzig. "How does one recognize a student of Rautert?" asks Susanne Kippenberger and Timm Rautert replies: "I hope that it is noticed in conversation that he is well educated... one can perhaps also recognize them by the specifity of photography in their work... One sees in the images that they could be made and thought out in no other medium but photography." In order to define this specifity of photography, Sveinn Fannar Johannsson, Edgar Leciejewski, Florian Rossmanith, Nadin Maria Rüfenacht, Oskar Schmidt and Carsten Tabel confront it with the peculiarities and questions of contiguous disciplines. With Victor Stoichita the development of a self-confident image begins with the emergence of still life in painting of the 16th Century. This genre and its tendency for self-criticism establish the starting point for this exhibition. The attention, dedicated to still life works, was considered less about things that were to be seen, and more of the symbolically encrypted message, which communicated itself in complex arrangements beyond its pragmatic use. Also in the photograph series "Nature Morte" by Nadin Maria Rüfenacht the viewer is trying to decipher the iconographic references.The artist, however, deals with the peculiar potential exclusively in photography, of making the difference between dead and alive unrecognizable. So from the three characteristics which Victor Stoichita attributes to still life painting of the 16th Century, one finds at last two in Nadin Maria Rüfenachts photographs: the subject of transience of being and the critical view of the own medium. The self-confident image also knows the history of its own discipline. One is reminded from the eggbeater in Carsten Tabel's "Baronesse" of Man Ray, the artist who understood to give the items a new meaning and to make the "Material out of something wonderful." © Parrotta Contemporary Art.
Den Künstlern der Ausstellung ist zunächst eines gemeinsam: sie haben an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig in der Klasse von Timm Rautert studiert. Woran man einen Rautert-Schüler erkennt, fragt Susanne Kippenberger und Timm Rautert antwortet: "Ich hoffe, dass man im Gespräch merkt, dass er gut ausgebildet ist. [...] Woran man ihn vielleicht noch erkennen kann, ist das spezifisch Fotografische der Arbeiten [...]. Man sieht den Bildern an, dass sie in keinem anderen Medium gedacht und gemacht werden können." Um jedoch das spezifisch Fotografische zu definieren, wird es in den Arbeiten von Sveinn Fannar Johannsson, Edgar Leciejewski, Florian Rossmanith, Nadin Maria Rüfenacht, Oskar Schmidt und Carsten Tabel mit Eigenheiten und Fragestellungen benachbarter Disziplinen konfrontiert.
Bei Victor Stoichita beginnt die Entwicklung des selbstbewussten Bildes mit dem Aufkommen des Stilllebens in der Malerei des 16. Jahrhunderts. Jenes Genre und seine Tendenz zur Selbstkritik sind es, die den Ausgangspunkt dieser Ausstellung bilden.
Die Aufmerksamkeit, die dem Stillleben damals zukam, galt weniger den Dingen, die darauf zu sehen waren, als der symbolisch verschlüsselten Botschaft, die sich jenseits ihres pragmatischen Gebrauchszusammenhanges in aufwendigen Arrangements mitteilte. Auch in den Fotografien der Serie Nature Morte von Nadin Maria Rüfenacht ist der Betrachter versucht ikonographische Verweise zu entschlüsseln. Die Künstlerin indes setzt sich mit dem Potential der Fotografie auseinander, den Unterschied zwischen tot und lebendig unkenntlich zu machen: „Das bewegte Leben sieht in der Erstarrung des fotografischen Bildes aus, als wäre es tot. [...] Die leblosen Statuen und Architekturen sehen auf Fotos jedoch aus, als wären sie jetzt erst zum Leben erwacht.“ So findet man von den drei Merkmalen, die Victor Stoichita der Stilllebenmalerei des 16. Jahrhunderts zuschreibt, in Nadin Maria Rüfenachts Fotografien mindestens zwei: das Motiv der Vergänglichkeit des Seins und den kritischen Blick auf das eigene Medium. Während sich die Serie Natures Mortes an der Ikonographie klassischer Stillleben orientiert oder, wie in späteren Arbeiten, an Kompositionen Giorgio de Chiricos, erinnert die Serie Le Cirque de Jeanne an Oskar Schlemmers Triadisches Ballett.
Das selbstbewusste Bild weiß auch um die Geschichte seiner eigenen Disziplin. So erinnert der Schneebesen in Carsten Tabels Baronnesse an La femme von Man Ray, jenen Künstler, der es verstand den Dingen einen neuen Sinn zu geben und aus ihnen den „Stoff von etwas Wunderbarem“ zu machen. Dies zu erreichen, trugen nicht selten die Titel seiner Fotografien bei, die an Fantasie und Vorstellungsvermögen des Betrachters appellieren sollten. Die Fotografien von Carsten Tabel heißen Baronesse, Wild Horses oder Bugs. Sie sind Konstruktionen aus Rohstoffen und Bauteilen. Von ihrer ursprünglichen Bestimmung befreit, lässt Carsten Tabel sie Teil eines neuen Assoziationsfeldes werden. Rohre, Antennen, Drähte, Matratzen, Tische und Lampen: eine Sammlung ausgedienter Gegenstände wird zum Material seiner fotografischen Inszenierungen. Wie in der surrealistischen Fotografie lässt Carsten Tabel aus diesen Fragmenten ein neues Wirklichkeitsbild entstehen. Anders jedoch als Man Ray hält Carsten Tabel an der realistischen Abbildung der Gegenstände fest, sie bleiben erkennbar als Teil der uns vertrauten Welt.
Die Fotografien von Florian Rossmanith sind Teil der Arbeit Der Wald hinter dem Brett. Folgendem Auszug aus Franz Kafkas Bericht für eine Akademie entlehnt, erinnert der Titel an die besonders im 18. Jahrhundert populäre Tradition des Guckkastens: „Ich hatte die Kiste vor mir. Öffne die Bretterwand, beiße ein Loch hindurch, presse Dich durch eine Lücke, die in Wirklichkeit kaum den Blick durchlässt und die Du bei der ersten Entdeckung mit dem glückseligen Heulen des Unverstands begrüßest. Wohin willst du? Hinter dem Brett fängt der Wald an.“ Die perspektivischen Ausblicke, die die bunt bemalten Miniaturkulissen dem Betrachter boten, wenn er durch eines der winzigen Löcher des Guckkastens sah, ließen ihn von fremden Ländern träumen und gewährten ihm eine Vorstellung dessen, was unerreichbar für ihn war. Der Reiz, den diese Bilder auf das Publikum ausübten, verdankte sich aber nicht nur der Darstellung bis dahin ungeahnter Dinge, sondern auch der dreidimensionalen Illusion in der sie ihm erschienen. Die dreidimensionale Illusion, das Trompe-l’œil, war es auch, die neben den symbolisch verschlüsselten Botschaften den Betrachter des frühen Stilllebens faszinierte und die Victor Stoichita zufolge das dritte Merkmal dieser Malerei darstellt. Ähnlich den Guckkastenbildern zeigen auch die Fotografien von Florian Rossmanith einen Ausschnitt von Welt. Genauer gesagt zeigen sie Schaufenster, moderne Guckkastenbilder, deren Gegenstand fehlt. Ungerahmt wirken die Fotografien im Ausstellungsraum wie Öffnungen. In Bling Bling betont Rossmanith das illusionistische Potential des fotografischen Bildes, den tiefen Raum durch den sich eine Plastikplane windet, während die gelben Comicblasen, die am Schaufenster haften, an die zweidimensionale Fläche des Bildträgers erinnern.
Wand 28.06.2008 (Studie), Wand 30.07.2008 (Studie), Wand 30.07.2008 (Studie II) – die Fotografien von Edgar Leciejewski zeigen Fragmente einer Wand. An verschiedenen Tagen aufgenommen, scheinen sie einen Arbeitsprozess zu dokumentieren. Ohne erkennbares Ordnungsprinzip hängen hier neben Abzügen der Fotografien des Künstlers auch Ausdrucke gefundener Fotografien sowie Zeitungsausschnitte und Notizen. Anders als die Fotografien von Florian Rossmanith, die den Eindruck eines Durchblicks durch eine transparente Oberfläche in den dahinter liegenden Raum vermitteln, präsentieren sich die Fotografien von Edgar Leciejewski wie Bilder, die sich in den Ausstellungsraum hinein bewegen. Porträt V veranschaulicht wohl am eindringlichsten, wie sich die mit einem Stück Klebeband an der Wand des Ateliers befestigte Fotografie von Vaslav Nijinsky von der ebenen Fläche des Bildes loszulösen scheint. Edgar Leciejewski bricht jedoch die Illusion von Dreidimensionalität: das Porträt an der Wand besteht aus einer zweidimensionalen Matrix, der sich die dreidimensionale Matrix eines perspektivischen Raumes zuordnen lässt.
Ob Oskar Schmidt junge Mädchen in manierierten Posen inszeniert oder Karten auf einem Tisch, seine Methode verrät einen Fotografen mit malerischen Neigungen. Als „zweideutige Grenzfälle“, hätte Siegfried Kracauer seine Fotografien bezeichnet: „Sie wirken als seien sie überkomponiert hinsichtlich der Belichtung und des gegenständlichen Arrangements; sie zeigen, wir fühlen es, nicht mehr die Realität im Fluß, sondern bringen ihre Elemente in einen Formzusammenhang der an Gemälde erinnert.“ In der Tat wird in den Fotografien von Oskar Schmidt nichts dem Zufall überlassen. Fast nichts. Denn der Wunsch nach kontrollierter Bildordnung wird gebrochen von der Affinität fotografischer Aufnahmen zum Zufälligen. Tendiert Oskar Schmidt dazu die spezifischen Eigenschaften seines Mediums zu vernachlässigen, nicht in Hinblick auf die Art und Weise der fotografischen Wiedergabe, sondern indem er die gestellte Realität der ungestellten vorzieht, so um die Grenzen des Fotografischen sichtbar zu machen. Die Fotografien Welt, Scheibe, Schädel, Kartenhaus I und Kartenhaus II haben den Zufall scheinbar besiegt. Dafür begegnen wir in ihnen erneut der Auseinandersetzung mit dem für die Fotografie scheinbar unlösbaren Paradoxon zwischen der Illusion von Dreidimensionalität und der Flächigkeit des Bildträgers.
Auch Sveinn Fannar Johannsson beschäftigt sich mit den optischen Gesetzen des fotografischen Bildes. Begleitend zu seiner Serie And you could have a limp schreibt er: „Da ist ein Stuhl, vor einer Wand, in einem Raum, zu einem bestimmten Zeitpunkt. Licht fällt nicht direkt darauf, es gibt keine starken Schatten. Die Einsteinsche Relativitätstheorie veranschaulicht, dass der Raum gekrümmt ist. Eine Kugel ist eine zweidimensionale Fläche, die krumm im dreidimensionalen Raum liegt. Zudem unterliegt sie der vierten Dimension, der Zeit.“
Die Tendenz zur Selbstkritik, die sich in den Fotografien der Ausstellung manifestiert, schließt die Zuwendung zum Objekt nicht aus. Im Gegenteil. So wie dem Malen des Stilllebens, geht auch der Aufnahme des fotografischen Bildes das Arrangieren von Dingen voraus. Es wird gestapelt und geklebt, gehämmert und gesägt, Räume werden gebaut, Realitäten konstruiert. Manchmal, wie bei Carsten Tabel oder Sveinn Fannar Johannsson, werden die Konstruktionen sogar zu eigenständigen Installationen, die den Rahmen der Fotografie verlassen, um außerhalb von ihr Platz zu nehmen. Text: Christin Krause. © Parrotta Contemporary Art.
»Substance of Vanity - still life photography from Leipzig«
The artists in this exhibition initially all have one thing in common: they have all studied under Timm Rautert at the Academy of Visual Arts in Leipzig. "How does one recognize a student of Rautert?" asks Susanne Kippenberger and Timm Rautert replies: "I hope that it is noticed in conversation that he is well educated... one can perhaps also recognize them by the specifity of photography in their work... One sees in the images that they could be made and thought out in no other medium but photography." In order to define this specifity of photography, Sveinn Fannar Johannsson, Edgar Leciejewski, Florian Rossmanith, Nadin Maria Rüfenacht, Oskar Schmidt and Carsten Tabel confront it with the peculiarities and questions of contiguous disciplines. With Victor Stoichita the development of a self-confident image begins with the emergence of still life in painting of the 16th Century. This genre and its tendency for self-criticism establish the starting point for this exhibition. The attention, dedicated to still life works, was considered less about things that were to be seen, and more of the symbolically encrypted message, which communicated itself in complex arrangements beyond its pragmatic use. Also in the photograph series "Nature Morte" by Nadin Maria Rüfenacht the viewer is trying to decipher the iconographic references.The artist, however, deals with the peculiar potential exclusively in photography, of making the difference between dead and alive unrecognizable. So from the three characteristics which Victor Stoichita attributes to still life painting of the 16th Century, one finds at last two in Nadin Maria Rüfenachts photographs: the subject of transience of being and the critical view of the own medium. The self-confident image also knows the history of its own discipline. One is reminded from the eggbeater in Carsten Tabel's "Baronesse" of Man Ray, the artist who understood to give the items a new meaning and to make the "Material out of something wonderful." © Parrotta Contemporary Art.