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STEFFEN GEISLER
 

MEINE KÜNSTLERISCHE ARBEIT HAT...

Meine künstlerische Arbeit hat sich vom Bauen hermetischer bis begehbarer Erfahrungsräume zur Konzeption offener Raumsituationen entwickelt. Diese beschreiben durch meine Materialwahl bestimmte emotionale Befindlichkeiten und Zustände: Momente der Isoliertheit, Gefühlskälte, Verzweiflung, Sehnsucht nach menschlichem Miteinander sowie Konflikte, die menschliche Nähe mit sich bringen. Es ist mir wichtig, eine nüchterne und rationale Form für die vielfältigen und komplexen psychischen Zustände zu finden. Banale Materialien der alltäglichen Wohn- und Konsumwelt: Isolationswolle, Paketklebeband, Absperrband, Malerfolien, Einkaufstüten oder Fliesen, Neonleuchten, Spanplatten, Latten, Kartonpappen aus dem Baumarkt werden gleichermaßen aus dem Zusammenhang genommen und für die Arbeiten verwendet. Text und Videoaufnahmen können als Teil der Inszenierung Geschichten erzählen. Dem Betrachter wird ein ambivalenter Erfahrungsraum angeboten, in den er eigene vielschichtige Assoziationen einbringen kann.
Die neueren Arbeiten kombinieren erzählerische Elemente, Texte oder einzelne Wörter und Sätze, mit Materialien und Objekten in offenen räumlichen Situationen.
Die architektonischen Vorbedingungen des Raumes werden berücksichtigt und für das Gesamtbild der Installationen genutzt. Der prozesshafte Charakter der neueren Werke ist mir wichtig.

Installation:
"Die Nacht"
Der Aufenthalt im Tessin brachte für den in Berlin lebenden Steffen Geisler
vor allem eine ganz neue Erfahrung der Nacht mit sich. Vom Balkon der
Wohnung in Cadenazzo aus erlebte er sie als Bereich der Weite, Ruhe und
Geborgenheit. Und wohl gerade dies gab ihm die Kraft, mit seiner
Installation ihre ganz andere Seite als Welt der Träume und Albträume zu
erkunden, wobei ihn auch die als extrem empfundene Helligkeit des Tessiner
Ateliers zu seinem Thema inspirierte. Seine labyrinthische Anordnung sucht
nicht mit verdunkelten Wänden den allzu nahe liegenden Effekt der
Geisterbahn. Man sieht zwar durch die bemalten Folien den Umraum, ohne ihn aber genau zu erkennen. Von ihr abgeschlossen, ist man auf sich selber und die eigenen Erfahrungen zurückgeworfen. Als Vorbild zeigt sich der englische Landschaftsgarten, in welchem man ein Ziel zuweilen klar vor Augen hat, nicht aber die verschlungenen Wege, die zu ihm führen. Eine traumhaft-bedrohliche Atmosphäre entsteht, wenn wir uns in einem Raum befinden und uns schon im nächstfolgenden glauben. Die Dinge, die wir darin
erkennen, sind uns an sich nicht fremd. Aber auch das Vertraute wird uns
fremd in dieser ungewohnten Umgebung. Dem entspricht die Bevorzugung an sich banaler Materialien aus der alltäglichen Konsumwelt, die in einem
unerwarteten Kontext auf einmal irritierendes Eigenleben gewinnen. Und über allem ruht das Auge als Organ einer doppelten Wahrnehmung, einer Schau ins eigene Innere, wenn die Welt der Erscheinungen im Dunkel verschwindet.

Text: Martin Kraft / Schweiz 2007