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ULRICH URBAN
 

MODUS INTER MODES STEPHANIE SEIDEL

Modus Inter Modes
Stephanie Seidel

„Ideal X“ (2015), ein metallenes Gerippe aus galvanisierten Stahlprofilen, dominiert den Ausstellungraum des Studio for Artistic Research. Seine Abmessungen entsprechen exakt denen eines Überseecontainers wie sie für den Transport von Waren auf See und an Land verwendet werden und die Dimension eines solchen Containers wird unmittelbar physisch erfahrbar. Die Stahlprofile bilden einen Korridor, den man durchschreiten kann; am oberen Ende fächert das Gerippe sich auf in eine Struktur, die der einer Doppelhelix, wie sie in der menschlichen DNA vorkommt, ähnelt. Er bildet die Klammer für fotografische Arbeiten, die an beiden Enden des Raumes installiert sind und einen Bogen zwischen den Modi des globalisierten Warenverkehrs und weltweiten (menschlichen) Migrationsströmen spannen.

Im Englischen wird der ISO-Container auch als „intermodal container“ bezeichnet. Eine Bezeichnung, die auch in der Wahrnehmungspsychologie gebräuchlich ist: „Intermodale Integration“ beschreibt die Zusammenführung einer Vielzahl unterschiedlicher Sinneseindrücke zu einer einheitlichen Wahrnehmung abstrakter Phänomene. Hier ist der „intermodal container“ die haptische Einheit eines hochgradig abstrakten und nicht zu überblickenden Systems weltweiter Waren- und Menschenströme, die sich entlang der Linien von Import und Export, legaler und illegaler Migration bewegen, und die in keinem einheitlichen Bild erfasst werden können.

„Refugium“ (2015), drei großformatige Fotografien zeigen Wohneinheiten, die aus eben diesen ISO-Containern errichtet sind. Ein Container bildet eine Wohneinheit. Karg eingerichtet bietet sein Inneres ein Minimum an Wohnkomfort: Tisch, Stuhl, Bett, Schrank, ein Fenster, eine Heizung, ein Rollladen. Zu drei Geschossen gestapelt und aneinandergereiht bilden sie modularisierte Wohneinheiten. Ihr Äußeres zieren Farbfelder in rot, gelb und blau – unwillkürlich denkt man an Mondrian und an Le Corbusiers Unité d’Habitation. Tatsächlich handelt sich um ein Flüchtlingsheim am Stadtrand von Berlin, das hier so kostengünstig, effizient und schnell wie möglich für die immer weiter steigende Zahl von Flüchtlingen, die nach Deutschland und Europa strömen, errichtet wurde. Das Dekor scheint der Moderne und ihren architektonischen Visionen eines neuen, besseren Wohnens und Lebens Hohn zu sprechen – oder lässt sie nur ihre Ambivalenz und ihre Schattenseiten deutlich hervortreten? Schließlich sind es genau solche Container, die immer wieder von Menschen als Transportmittel genutzt werden, um nach Europa zu flüchten.

Ein Siebdruck auf Kupfer („Untitled #1“, 2015) zeigt eine Hand, die ein Modell von Le Corbusiers Unité d’Habition nach dem Baukastenprinzip zusammensteckt. Zwischen 1946 und 1967, realisierte Le Corbusier insgesamt fünf Unités, modularisierte „Wohnmaschinen“, deren Wohneinheiten exakt auf menschliche Grundbedürfnisse zugeschnitten waren. Die Kernidee hierfür hatte der Architekt bereits in den 1920er Jahren entwickelt. Das vereinheitlichte System, das Le Corbusier entworfen hatte, die hocheffiziente Erschließung der Wohneinheiten, die massenhafte Wiederholung an zahlreichen Orten sowie eine standardisierte Serienproduktion sollten ein hohes Maß an Wirtschaftlichkeit ermöglichen. Zeitgleich, Mitte der 1950er Jahre, entwickelt und patentiert der amerikanische Unternehmer Malcolm McLean in Zusammenarbeit mit einer großen Logistikfirma den ISO-Container in seiner heutigen Form. Nach dem Vorbild der in Europa bereits vor dem 2. Weltkrieg benutzten Prototypen, macht es diese standardisierte und modularisierte Einheit schließlich möglich, Waren weltweit vereinheitlicht in kompaktem Format schnell und effizient zwischen Land und See zu verladen und zu transportieren. Mit den Außenmaßen von 6,058 x 2,438 x 2,591 Metern bildet sie das Rückgrat und die kleinste Einheit eines weltweiten Warenverkehrs und einer globalisierten Ökonomie. Ihre Höhe entspricht dabei ziemlich genau Le Corbusiers Berliner 1 Unité d’Habitation. Der Autor Alexander Klose schreibt in seinem Buch „The Container Principle“: „Modernity, as a specific and systematic form of organization of social life, is subject to a logistical structure, an operational order of knowledge, and to date the container has proved to be the most successful material agent of this logistical access to the world.“ 2

Doch Modularisierung und Standardisierung eliminieren nicht das Chaos, das Unkontrollierte. Ein Siebdruck auf Edelstahl („Untitled #2“, 2015) zeigt einen gestrandeten, aufgebrochenen Container, dessen Güter über den Strand verstreut liegen, Menschen suchen in den Überresten nach Brauchbarem, Wertvollen. Die jähe Unterbrechung der Wertschöpfungskette macht den Inhalt des Containers für Außenstehende überhaupt erst sichtbar und entreißt ihn den technisierten logistischen Verfahren. Es wird klar, dass sich kaum kontrollieren lässt, was in den Containern jährlich millionenfach verschifft – und damit auch geschmuggelt – wird. Trotz Modularisierung und vermeintlicher Vereinfachung herrscht auf der Mikroebene ein unüberwindliches Gewirr. So setzt Ulrich Urban den Makrophänomenen des globalen Warenverkehrs und weltweiter Migrationsbewegungen schließlich die kleinste denkbare Einheit entgegen: Auf der gegenüberliegenden Seite des Container-Korridors zeigen Röntgenbeugungsbilder Kristallstrukturen von Atomen. Wie Schneeflocken scheinen die Atomkerne auf, die die Röntgenstrahlen reflektieren und auffangen. Hier leuchten unter anderem DNA-Strukturen. Sie sind es, die auf den menschlichen Körper verweisen, der in den Containern, in den Architekturen, in den Warenströmen so merkwürdig abwesend scheint und der doch ihr grundlegendes Element und Stein des Anstoßes ist.

„Also causing a furor were the images of young men taking off on brand-new BMW motorcycles retrieved from containers. But more than the feelings of outrage, anxiety, and envy, a fascination dominated: For once, the boxes that were circulating in all parts of the world in such inculculable numbers had exposed their contents. For once, those hermetic boxes, which usually concealed their cargo even from the ship’s crew and the dockworkers, had opened!“ 3


1 Die einzelnen Wohneinheiten der Unités weisen eine Höhe von 2,26 Metern (bzw. 2 x 2,26 Meter) auf, die Corbusiers Proportionen des goldenen Schnitts entspricht. In Berlin wurde die Höhe aufgrund der Anpassung an deutsche Bauvorgaben auf 2,50 Meter erhöht.
2 Alexander Klose, „The Container Principle. How a Box Changes the Way We Think.“, Cambridge, MA, 2015, S. 5.
3 ebd.