Viktor Bucher

Daniel Egg

07 Mar - 06 Apr 2013

© Daniel Egg
"Der Buchstabe >e<".
C-Print
50 x 70 cm
DANIEL EGG
WORDS – On Air
07.03.2013 - 06.04.2013

Kunst und Sprache, das sind zunächst einmal Parallelsysteme, die ineinander eingreifen, wobei Sprache selbst zur Kunst werden kann, zur Dichtung eben. Bildende Kunst ist hingegen die künstlerische Seite des bildhaften Signalsystems. Bilder, die nicht in sich aufgehen. Daniel Egg hat nun in seiner grenzüberschreitenden künstlerischen Arbeit sein Augenmerk auf die Sprache gerichtet hinsichtlich einer möglichen Sichtbarmachung. Natürlich kann man Sprache mittels des Pegels, den ihre Lautstärke und Modellierung erzeugt, auf einem ganz normalen Tonbandgerät seit mehr als 50 Jahren visuell wirksam machen. Aber die Kurven dieses Pegels sind müde Abklatsche von wesentlich differenzierten Formen. Egg hat herausgefunden, wie man sie sichtbar machen kann und konservieren. Dazu bedarf es der Inhalation einer Zigarette. Mit ihrem Dunst, im Gegenlicht gesehen, nehmen die Laute der menschlichen Stimme, geordnet nach dem englischen, weil gebräuchlichsten Alphabet phantastische Formen an. Egg hat sie mit der Videokamera aufgenommen und dann abfotografiert. Die Aerosole schaffen jedes Mal andere Gebilde. Was würde erst geschehen, wenn Franzosen, Araber, Russen oder Chinesen dieses Alphabet so sprechen würden. Die dreidimensionalen Dunstskulpturen würden aufs neue variieren und trotzdem bestimmte Charakteristika erkennen lassen. Napoleon soll von Ernst Florens Friedrich Chladni gesagt haben, „dieser Mann lässt die Töne sehen“. Die Chladnischen Klangfiguren, die ihr Autor 1787 publizierte, sind eher geometrische Systeme, aber eben auch analoge Systeme zur Welt der Töne. Swedenborg, Goethe und noch Strindberg wollten in den Wolkenbildungen eine geheime Zeichensprache erkennen, wechselnde Figurationen prophetischen Charakters. Heute sind wir nüchterner geworden, auch wenn der Wissenschaftlerstreit über die Bildung der Wolkenbildungen noch andauert. Sind es kosmische Strahlungen oder doch nur physikalisch-chemische Prozesse unserer Planetenatmosphäre? Parallel zur Fotografie wissenschaftlicher Erkenntnisse wie der Röntgenfotografie oder der Chronogramme im neunzehnten Jahrhundert versuchte ein wissenschaftlich begründeter Okkultismus die Energiefelder von Pflanzen, Tieren und Menschen sichtbar zu machen, sozusagen vom Od des Freiherrn Karl von Reichenbach, über die Gedankenfotografie des Commandant Louis Darget bis zur Kirlianfotografie. Nur die Kunst konnte aus diesen Dokumenten Kapital schlagen. So, wie die Sprache in der Konzeptkunst versucht, sich in einem anderen System einzunisten als in der Schrift, so gelingt es der Kunst sich wissenschaftlicher Apparate zu bemächtigen. Die Chladnischen Figuren nehmen den Tönen nichts von ihrem Zauber weg, sie führen aber auch nirgends hin. Rudolf Steiners Gedanken über Kehlkopf und Formung der Sprache mündeten ebenfalls im Reich der Kunst – bei den unsichtbaren Skulpturen von Joseph Beuys. Aber Sprache ist eben ein anderes System. Die Kunstgeschichte, die seit zweihundert Jahren versucht, Kunst an die Fesseln des Wortes zu legen, indem sie sich Kunstwissenschaft nennt, bleibt in ihren Netzen verfangen. Und Daniel Egg, der den Spiess umdreht, nimmt mit seinen Phantasmagorien dem Spezifischen der Sprache auch nichts weg. Die wunderbaren Wolken des Blauen Dunstes, mit denen sich Marcel Broodthaers ein Film-Monument der Vanité setzte, sind eben Fotoskulpturen und Bilder mit einer versteckten Botschaft. Was sie nicht verraten, ist, dass die Bestandteile ihrer primären Erscheinungsweise hochgiftig sind.
 

Tags: Joseph Beuys, Marcel Broodthaers