Viktor Bucher

Markus Wilfling

22 Nov 2013 - 16 Jan 2014

© Markus Wilfling
Apparatur, 2013
Beschichtete Spanplatte, Metall
195 x 185 x 20 cm
MARKUS WILFLING
Eigentlich

Man könnte Markus Wilfling als Wahrnehmngsfalschmünzer bezeichnen. Seine Objekte stammen überwiegend aus dem sozialen und geographischen Raum, in dem er sich bewegt und verströmen auf den ersten Blick das Aroma einer transzendentalen Behaustheit. Oder, um es mit Anthony Giddens zu sagen: einer ontologischen Stabilität. Man erkennt die Formen und Konturen, man ordnet ein und kategorisiert. Man versucht Erinnerung und unmittelbare Anschauung zur Deckungsgleichheit zu bringen. Doch immer gibt es da ein kleines Objekt a, das sich dem organisierenden Blickregime verweigert. Das eine resiliente Andersartigkeit behauptet, einen Anhauch des Fremden und Unkategorisierbaren, einen gähnenden Abgrund der Kontingenz. Ob es sich nun um eine Psyche handelt, deren Spiegel durch schwarze Gummiplatten blickdicht gemacht wurden und die damit ihre zentrale Funktion, nämlich die kontrollierende Überprüfung der eigenen Erscheinung verloren hat. Um einen konventionellen Ovalspiegel, hinter dem sich dessen Schatten materiell konkretisiert. Oder um einen Allibert-Schrank, dem geradezu emblematischen Badezimmer-Gebrauchsmöbel der Sechziger- und Siebzigerjahre. Dieses Teil wurde horizontal in drei Teile zerschnitten und die einzelnen Blöcke dann so verschoben, dass erstens, das Öffnen der Türen nicht mehr möglich ist und das Spiegelbild gespalten und wie durch einen Übertragungsfehler zerschnitten und verschoben wiedergegeben wird. Lacans bekannte These vom Spiegelstadium als Bildner der Ich-Funktion wird so gewissermaßen in ihr Gegenteil verkehrt. Und der Spiegel übt die Funktion eines Zerstörers der kohärenten Ich-Erfahrung aus. Dekomposition, Dekonstruktion und Wahrnehmungsirritation – das sind einige der zentrale Motive in der Arbeit von Markus Wilfling. Meist holt er den Betrachter dort ab, wo er sich auskennt – in seinem kleinen, überschaubaren Alltagsleben - und nimmt ihn mit in eine seltsame und fremde Welt. Doch es gibt auch Arbeiten, die die Allianz mit der Banalität des Allzumenschlichen vollständig aufgekündigt haben. Dazu gehört jene minimalistisch-abstrakte Konfiguration, die einen in einem römischen Atelier gefundenen schwarzen Karton mit einer weißen Styroporkugel kombiniert. Und zwar so, dass die Kugel in zwei Hälften zerteilt wurde und ihre volle Dimensionalität erst entfaltet, wenn man einen Blick hinter die Benutzerobefläche, oder sagen wir besser: Betrachteroberfläche wagt. „Stop making Sense“ heißt ein bekannter Popsong, und Werke wie dieses zelebrieren die höhere Mathematik einer Zweckhaftigkeit, - man kann auch sagen: eines reinen Genusses – die dem Dysfunktionalen und einem hypostasierten Formalismus, um es mit Kant zu sagen - „abgzweckt“ wurde. Eine andere Variante der Formerfindung anhand von zweckentfremdeten Objektkategorien ist jener vertikal applizierte Antennenwald, der wie ein erratisches Zeichensystem aus der Wand herauskragt. Es handelt sich dabei um Mini-Stative für Kameras, die aus dem gleichen Material wie Autoantennen hergestellt wurden und fast infinite Möglichkeiten der Anordnung und Ausrichtung bieten. Neben der skulpturalen Dimension von Material und formaler Variabilität, gibt es noch einen metaphorischen, man könnte auch sagen: halluzinatorischen Surplus. Nämlich die Suggestion, dass sich hinter der Apparatur eine Technologie befände, die noch gar nicht existiert,um sämtliche Gedanken undTräume, das Unausgesprochene Ein Sammelbecken des menschlichen Makels, eine Teleportationsmaschine der kommunikativen Realitäten und Dystopien. Ein Speichermedium all jener Handlungsweisen im Substrat der Sprache als Wille und Vorstellung manifestieren. Apropos Sprache: Bei aller Lust an einer Erzählform, bei der das Unsagbare zu dreidimensionalen Absichtsbekundung gerinnt und das Narrative sich jenseits von Syntax und Grammatik entfaltet, spielt auch das geschriebene Wort und die Magie des Schriftzeichens in der Arbeit von Markus Wilfling eine bedeutende Rolle. Für die Skulpturengruppe „Wortblöcke“ sammelt er Wörter, die, wenn man so will, ein gewisses ́Appeal` haben. Meist Substantive mit starker Ausstrahlung, die die Intuition beflügeln und kognitive Kettenreaktionen auszulösen imstande sind. Wörter wie Fülle, Reservoir, Kurzschlusshandlung oder, wie bei der Arbeit in diesem Raum. Wobei es im Auge des Betrachters liegt, ob er darin ein eskapistisches Drogenerlebnis sehen will oder eine Reise, die geographische Distanzen überwindet und damit letzendlich auch eine Projektion des eigenen Selbst in ein von der Psyche nicht kartographiertes Terrain darstellt. Im Gußverfahren bleiben die Wörter als Leerstellen ausgespart. Bewohner einer Hohlwelt, eines gespiegelten kommunikativen Paralleluniversums, in dem die Flüchtigkeit des in Schallwellen sich manifestierenden gesprochenen Wortes sich als negativer Abdruck im Gipsblock dauerhaft sedimentiert. Markus Wilfling setzt sich damit durchaus in eine skulpturale Tradition, die ihre eigenen Ausdrucksmodalitäten und ästhetischen Prämissen ständig mitreflektiert und zu deren bekanntesten Vertretern etwa Rachel Whiteread, vor allem aber Bruce Nauman zählen. Dieser Künstler hat über seine Arbeit „A cast of space under my chair“ einmal gesagt:„Der Abguss des Raumes unter einem Stuhl war die plastische Version von de Koonings Statement: Wenn man einen Stuhl malen will, sollte man den Raum zwischen seinen Teilen malen, nicht den Stuhl selbst. Genauso habe ich auch gedacht: über Reste, negative Räume.“ Auch Markus Wilfling ist ein Demiurg der negativen Räume, aber ebenso ein Bricoleur, der dem Immateriellen eine dauerhafte Form verleiht und gesellschaftlich funktionale Gegenstände in die Absurdität überführt. Ein Liebhaber des Schattens und der romantischen Doppelgängermotive. Ein Künstler, der dem traumatisch Verdrängten zur Sichtbarkeit verhelfen will und im allzu Visiblen die verborgenen illusionären Dimensionen mit dekonstruktiver Eleganz zum Tanzen bringt. Ein Wahrnehmungspychologe und dreidimensionaler Dadaist, der die Vorstellung von der Realität als Illusion im Sinne von Platons Höhlengleichnis in immer wieder neuen Versuchsanordnungen durchdekliniert. In den letzten Jahren ist der Begriff „hauntology“, der auf Jacques Derrida zurückgeht, populär geworden. Gemeint ist damit die Verhexung der Gegenwart durch die Gespenster der Vergangenheit, die weder ein Sein noch ein Nicht-Sein verkörpern. Wenn man durch Markus Wilflings magisches Spiegelkabinett der formalen Verzerrungen und Détournements defiliert, das sich hier im dekontextualisierten Rahmen des White Cube besonders ungeschützt darbietet, dann scheinen dem Betrachter Antennen zu wachsen, die Botschaften jenseits von Zeit und Raum zu empfangen imstande sind. Ende der Geschichte. Neues Spiel, neues Unglück. Man sieht nicht das Lächeln, sondern nur den Schatten eines Lächelns: The Shadow of your smile.
Thomas Miessgang
 

Tags: Bruce Nauman, Rachel Whiteread, Markus Wilfling