Barbara Wien

Emmett Williams

13 Feb - 16 Apr 2016

Emmett Williams, Untitled, 1985
EMMETT WILLIAMS
Projects with Ay-O and Yo-Yo Ma
13 Februar – 16 April 2016

"Gedanke für den Tag: Wie schreibt man eigentlich über die eigene Arbeit? Man kann ihnen nicht erzählen wie gut man ist, man muss drauf warten, daß sie es dir erzählen."(1)

Schon in den 90er Jahren hat Barbara Wien mit dem US-amerikanischen Künstler Emmett Williams (1925 - 2007) Lesungen und Ausstellungsprojekte realisiert. Jetzt, im Jahr 2016, setzen wir die Zusammenarbeit mit dem Nachlass von Williams fort. Wir zeigen originale Papierarbeiten von Williams aus den 50er Jahren und Bild/Text-Leinwände aus den 80ern. Einen anderen Schwerpunkt der Ausstellung bilden Gemeinschaftsprojekte von Williams mit dem japanischen Künstler A-YO (* 1931) und eine musikalisch-graphische Zusammenarbeit mit dem Musiker Yo-Yo Ma (* 1955). Die Performance Incidental Music for Yo-Yo Ma wird zum ersten Mal in Berlin in allen Teilen als Installation präsentiert: die 10-teilige Partitur von Williams, eine Aufnahme von Yo-Yo Mas Cellomusik und zwei Photographien des Ereignisses von dem Anthropologen Robert Gardner (1925 - 2014).
Williams war ein außergewöhnlicher Dichter und Künstler und tatsächlich ist es wichtig, beides zu verfolgen - seine künstlerischen und seine schriftstellerischen Aktionen. Williams war Gründungsmitglied von Fluxus und trug aktiv zur Geschichtsschreibung über Fluxus bei, u.a. in seinem Buch My Life in Flux - and Vice Versa (2), in dem er in vielen Episoden seinen eigenen künstlerischen Weg beschreibt. Williams‘ Humor und seine Liebe zur Absurdität sind selbst ein Teil von Fluxus. Er ist ein Historiker, der keiner ist, der die Geschichte einer Bewegung erzählt, die keine ist.
Dennoch, das Wort Fluxus funktioniert als Label, es gibt uns einen genauen Zeitrahmen und liefert eine reichhaltige Metaphorik – und gleichzeitig ist es wichtig sich zu erinnern, dass die meisten Fluxuskünstler vor und nach der eigentlichen Fluxuszeit ähnliche künstlerische Experimente verfolgten. 1962 ist das Jahr des ersten Fluxusfestivals in Wiesbaden, wo George Maciunas lebte und bei der U.S. Air Force arbeitete; es wird als der Beginn der Fluxusbewegung in Europa genannt (3). Damals nannte sich Williams schon "Dichter, Künstler und Performer" (4), dessen Arbeit den Geist von Fluxus hatte. Während er in Darmstadt lebte, 1957, war Williams zusammen mit Claus Bremer und Daniel Spoerri in einem Kreis von Dichtern engagiert, dem Darmstädter Kreis der Konkreten Poesie und des dynamischen Theaters (5). 1958, als das Kollektiv in Aktion war, entstand seine Serie The Book of O, eine Erweiterung seines Gedichtes O in motion (6). In diesem Gedicht wird der maschinengeschriebene Buchstabe vervielfältigt und mäandert über die Oberfläche des Papiers. In der Serie The Book of O druckte Williams Gummistempel mit dem Buchstaben O auf eine Leinwand. Williams schreibt dazu: "Die Stempel wurden in Farbe getaucht und dann von Hand auf einer Leinwand bewegt. Dann wurde Papier über die nassen Abdrücke auf der Leinwand gelegt und – in Ermangelung einer besseren technischen Ausrüstung – habe ich meine Füße benutzt, um das Bild von der Leinwand auf das Papier zu drucken"(6). Die Titel für die Drucke scheinen einer Logik zu folgen, die man mit dem Rorschachtest vergleichen kann, sie sind beschreibend aber auch absurd und sie werden erst nach der Herstellung des Bildes entschieden. In diesen Arbeiten wird der Buchstabe nicht für einen literarischen Zweck benutzt, sondern als Bild eingesetzt. Auf diese Weise erzählt der Buchstabe selbst eine Geschichte durch die Art wie er auf der Seite verteilt ist - er ist nicht mehr Teil eines Wortes, das Bedeutung trägt.
Man könnte fragen: warum das alles gerade in Darmstadt? Die Internationalen Ferienkurse für Neue Musik wurden 1946 von Wolfgang Steinecke in Darmstadt gegründet. Viele der Komponisten, die dort auftraten, wurden als Darmstädter Schule bekannt. Sie vereinte ihr experimenteller Zugang zur Musik. Williams besuchte die Konzerte als Herausgeber der Abteilung Features, eine Position, die er bei der Zeitung der amerikanischen Armee Stars and Stripes inne hatte. Dort traf er Komponisten wie Pierre Boulez, Karlheinz Stockhausen und Bruno Maderna, deren Gedanken zu den Notationssystemen auch seine Poesie und Aufführungspraxis stark beeinflussten.
Musikalische Experimente brachten diese Künstler zusammen und inspirierten alle möglichen Formen der Zusammenarbeit im Bereich der Performance. Williams‘ Incidental Music for Yo-Yo Ma ist ein großartiges Beispiel dieses Austauschs. Während Williams 1978 im Leverett House an der Harvard University unterrichtete, fand er einen Xerox Kopierer im Eingang des Gebäudes. Er begann seine Serie Generations and Continuities, in der er ein Dokument so lange wieder und wieder photokopierte, bis der Kopiervorgang das Bild so stark veränderte, dass die Kopie, verzerrt und vergrößert durch tausende elektrostatische Druckvorgänge ein ganz anderes, verwischtes und abstraktes Bild ergab.
So entstand auch Incidental Music for Yo-Yo Ma nachdem Williams den außerordentlichen Cellisten getroffen hatte, der zur gleichen Zeit im Leverett House eine Künstlerresidenz hatte. Williams begann mit einem leeren Notenblatt und unterzog dies der oben beschriebenen ausgedehnten Reproduktionsmethode – nach und nach lösten sich die Linien in einen Sturm von welligen Linien und Punkten auf – einer Art visuellem Lärm. Bei der Eröffnung im Carpenter Center for Visual Arts im Jahr 1980 spielte Yo-Yo Ma nach der photokopierten Partitur. Er begann damit, Johann Sebastian Bachs berühmte Cello-Suiten zu spielen. Der experimentelle Komponist Ivan Tcherepnin hatte das Cello an ein elektronisches Gerät angeschlossen und konnte so den Celloton mit elektronischen Wellen verzerren. Diese Störung der Partitur ging bis zum völligen Verschwinden der Bach‘schen Suiten und Yo-Yo Ma war gezwungen, aus dem Gedächtnis und ohne sich zu hören zu spielen.
1966 verließ Williams Europa und kehrte in die USA zurück, um als Herausgeber der legendären Something Else Press zu arbeiten. Drei Jahre später lud Ay-O, der an der Kentucky University Malerei unterrichtete, Williams als artist-in-residence ein, um moderne Malerei zu unterrichten, obwohl dieser sich nicht als Maler und noch weniger als Lehrer verstand. Aber Williams nahm das Angebot an und es begann eine produktive Freundschaft. Ay-O hatte an Fluxus-Events teilgenommen und kannte die Arbeit von Williams – er hatte sogar dessen Werk Opera, das 1959 in Darmstadt entstand, aufgeführt bevor er Williams kennenlernte. Hole, das an der Fairleigh Dickinson University 1968 entstand, ist möglicherweise ihr erstes Gemeinschaftswerk, ein stark der Aktion verbundenes Bild: Ay-O druckte das Wort HOLE in die Mitte eines Blatt Papiers und Williams durchlöcherte es dort, wo das Wort stand.
Ay-O war 1958 von Japan nach New York gezogen und er traf George Maciunas über Yoko Ono im Jahr 1961. Damals begann er großzügig und höchst produktiv Muster von Regenbogenfarben zu verwenden, bis es dann sein inoffizielles Markenzeichen wurde und er den Titel The Rainbow Man erhielt. 1976 ging Williams das erste Mal nach Japan, um Ay-O zu besuchen und mit ihm ein Seminar mit dem Titel Über Humor zu leiten. Williams hatte auch eine Ausstellung in der Nantenshi Galerie in Tokyo, für die er seine Letters to Ay-O konzipierte (1976/77). Er bat Ay-O, den Gertrude Stein-Satz When this you see remember me ins Japanische zu übersetzen. Williams hatte diesen Satz in seiner Grafikserie 13 Variations on 6 Words of Gertrude Stein (1959-65) verwendet. 1979 antwortete Ay-O darauf mit Letters to Emmett. 1997 erstellte Ay-O eine japanische Version von Williams‘ Genesis und die zwei Künstler führten das Werk 1998 zusammen in Melbourne auf. Künstlerische Zusammenarbeit war etwas ganz Wesentliches in ihrer Beziehung.
Obschon sie sich sehr nahe standen und viel zusammen arbeiteten, sind gemeinsame Merkmale in ihren jeweiligen Arbeitsweisen nicht ganz klar zu erkennen. Man kann aber sagen, dass der Humor in der Arbeit jedes einzelnen wichtig ist und dass ihr Interesse an der Zusammenarbeit auch eine Strategie war, sich von den Verflechtungen des Kunstestablishments zu befreien (7). Eine ähnlich geniale Heiterkeit scheint die einzig konstante Verbindung dieser beiden lebendigen Köpfe gewesen zu sein.
Als ich Ann Noël - die Frau von Williams - fragte, ob japanische Zenideale und Haltungen ihn in irgendeiner Form beeinflusst hätten, erzählte sie mir, dass er zu sagen pflegte, er glaube an einen universellen Humor – eine transkulturelle Komplizenschaft, die beide Freunde sicherlich miteinander verbunden hat.

Gauthier Lesturgie

(1) Emmett Williams, Schemes and Variations, Edition Hansjörg Mayer, Stuttgart, 1981, S. 8.
(2) Emmett Williams, My Life in Flux - and Vice Versa, Edition Hansjörg Mayer, Stuttgart, London, 1991. Hier möchten wir auch auf das hervorragende Buch über George Maciunas aufmerksam machen, in dem Williams eine Biographie aus collagierten statements zu Maciunas zusammengestellt hat: Mr. Fluxus: A collective Portrait of George Maciunas (1931-1978), hrsg. von Ann Noël und Emmett Williams, Thames and Hudson, London, 1997
(3) Fluxusfestival für Neueste Musik im Städtischen Museum in Wiesbaden.
(4) Judith A. Hoffberg, Interview with Emmett Williams: Fluxus artist extraordinaire, Umbrella 21, no01, March 1998
(5) O in motion war Teil der Konkretionen, Williams erstem Buch mit Gedichten, das 1958 als N°3 der Zeitschrift Material vom Darmstädter Kreis veröffentlicht wurde.
(6) Emmett Williams, Zitat von der website
www.emmett-williams.com.
(7) Emmett Williams, My Life in Flux - and Vice Versa, op. cit. S. 32.
 

Tags: George Maciunas, Yoko Ono, Daniel Spoerri