Agnieszka Szostek
18 Jun - 30 Jul 2011
AGNIESZKA SZOSTEK
Firma
18.06.-30.07.2011
Agnieszka Szosteks Arbeiten lassen sich auf verschiedene Inspirationsfelder zurückführen. In ihrem Werk verbindet sich Divergentes: Es handelt sich sowohl um eigenständige Konstruktionen als auch um eine Mimesis an historische Bildformeln, an Alltags- und Populärkultur. Die Arbeiten bezeugen ein Interesse an vorgefundenen Formen, die aus ihrem ursprünglichen Kontext isoliert, reduziert und verfremdet werden. Indem hierbei ganz unterschiedliche Themenbereiche berührt und miteinander verknüpft werden, vollzieht sich eine Synthese, die neue Bedeutungen evoziert.
Die zumeist geometrischen Kompositionen Szosteks sind augenscheinlich sorgfältig konstruiert. Hilfslinien oder –punkte, die bei der Anordnung und präzisen Ausführung der Bildelemente Verwendung finden, bleiben erhalten. Zugleich spielt der Aspekt des Unperfekten eine Rolle. Farbe verläuft, die Ränder der geometrischen Formen fransen aus, die mit Lineal gezogenen Linien werden freihändig mit Acrylfarbe nachgezogen und unbeabsichtigt entstandene Farbspuren bewahrt. Die Bilder wirken nachwievor malerisch und lassen das künstlerische Subjekt hinter ihnen erkennen.
Viele der Arbeiten oszillieren zwischen Gegenstandslosigkeit und Gegenstandsbezug. So das Bild mit dem Titel „Orange“. Es zeigt – vor gelbem Hintergrund – einen orangefarbenen Kreis, akzentuiert durch ein blaues Kreuz in der Mitte. Der zweidimensionalen Fläche des Kreises wird durch einen dunklen Blauton, der in einigen Bereichen durch das Orange hindurch schimmert, eine gewisse Körperlichkeit verliehen. Sowohl der visuelle Eindruck dieser Arbeit als auch ihr Titel sind zweideutig. Sie lassen die Möglichkeit einer Deutung als Stillleben zu, als Darstellung einer Frucht in der das blaue Kreuz den Stielansatz repräsentiert oder sie als abstrakte Hommage an die Farbe Orange zu verstehen, in der Vorbilder aus der Kunstgeschichte anklingen.
Vergleichbar in ihren mehrfachen Bezügen ist die Arbeit „Gitter“. Auf einer weiß grundierten, quadratischen Fläche ordnen sich schwarze Rechtecke konzentrisch um ein goldenes Viereck und erinnern an ein aufgebrochenes suprematistisches Quadrat. Die Wirkung ist die eines Op Art Bildes, in dem die Rechtecke einen illusionären Tiefenraum öffnen und zugleich eine rotierende Bewegung um die goldene Fläche im Zentrum zu vollziehen scheinen. Vorgesehen ist für dieses Bild eine Befestigung an der Decke eines Raumes, eine Präsentation, die eine Referenz an den gegenständlichen Bezugspunkt dieser Arbeit darstellt: ein industrielles Lüftungsgitter.
Für das Werk „Homunculus“ übernimmt Szostek die wesentlichen Kompositionslinien der anatomischen Darstellung eines Menschen aus dem 16. Jahrhundert. Selbst ohne Kenntnis dieser Vorlage rufen die anthropomorphen Formen das Bild einer menschlichen Figur auf. Unterstrichen wird dies durch die an einer Vertikalen orientierte Symmetrie der Komposition, die dem achsensymmetrischen Aufbau des menschlichen Körpers entspricht. Allein durch die Farbgebung entstehen zwei Bildebenen. Der Hintergrund ist in einem leuchtenden Blau lasiert. Die Figur ist – ebenso wie der Rahmen, mit dem sie übergangslos verbunden ist – in einem dichten Rotton gehalten, der die Fläche abschließt. Scherenschnittartig liegt die rote Form damit vor der Tiefe des Blaus.
Im Aufbau ist „Homunculus“ vergleichbar mit den ebenso symmetrisch aufgebauten und auf komplexe räumliche Staffelung verzichtenden Jahreszeiten-Darstellungen von Philipp Otto Runge. Auch sie haben einen Rahmen, der das Hauptmotiv inhaltlich ergänzt. Bereinigt um Details, um romantische Allegorien und Symbolik ist Szosteks einfache Form selbst wieder dazu geeignet Teil eines komplexeren Systems zu werden. Der rote Rahmen, der links und rechts jeweils eine gemeinsame Linie mit dem Rand der Leinwand besitzt, begrenzt die Darstellung nicht. Er scheint in den außerhalb des Bildraums gelegenen Raum überzugreifen und suggeriert eine unendliche, ornamentale Wiederholung des Motivs.
Auch in der Skulptur setzt sich der Vorgang der Aneignung und Transformation fort. In der Installation „Wolke“ werden gefundene Objekte aus Styropor, wie sie als Verpackungsmaterial Verwendung finden, in einem Quader aus transparentem Acrylglas gezeigt. Der Titel hebt zwei wesentliche Merkmale des Styropors hervor, die innerhalb dieser Installation besonders betont werden: die schwebende Leichtigkeit, die Zusammensetzung der Formen aus kleineren Elementen und die weiße Farbigkeit.
Als Sockel für den Kasten aus Acrylglas dient eine zwei Meter hohe, zylinderförmige Papprolle. Durch diese Präsentationsform, die im Widerspruch zur ursprünglichen Banalität der Styroporobjekte steht, erfahren die Objekte im wörtlichen wie im übertragenen Sinn eine Überhöhung und dadurch eine Auratisierung. Der Fokus wird von ihrer Funktion auf die Form gelenkt.
Im Abgleich mit Bekanntem fällt nun die Analogie zu Modellen historischer Architekturformen ins Auge: die Umrisse einer altägyptischen Sphinx neben tempelartigen Monumentalbauten, die in ihrer Schlichtheit wiederum eine Verbindung zu moderner Bauweise erkennen lassen.
In ihrer Vieldeutigkeit berühren Szosteks Werke erkenntnistheoretische Fragestellungen. Sie veranschaulichen, wie das Beschreiten verschiedener Wege zum Erkenntnisgewinn zu unterschiedlichen Ergebnissen führt. Verlässt sich der Betrachter rein auf seine Sinneswahrnehmung kommt er zu einem anderen Ergebnis, als wenn er sich bei der Betrachtung von der Vernunft leiten lässt. Abhängig von individuellen Erfahrungen variiert auch die Anzahl der Bezüge, die sich erschließen. Es wird die Frage aufgeworfen, ob sich Erkenntnis den betrachteten Gegenständen anpasst oder ob die von uns wahrgenommene Wirklichkeit durch unser Erkenntnisvermögen geprägt ist.
Agnieszka Szosteks Arbeiten lösen diese Fragen nicht auf, indem sie behaupten eine Einsicht in das Wesen der Dinge zu bieten. Folgt man Adorno, so können sie dies auch gar nicht leisten, denn „Kunst [ist] so wenig Abbild wie Erkenntnis eines Gegenständlichen"1, sondern Objektivation von Erfahrung. In Szosteks Werk spiegelt sich die Erfahrung einer Wirklichkeit, in der das Subjekt, zumal das künstlerische, einer Flut an Einflüssen ausgesetzt ist, die gleichwertig nebeneinander bestehen können. Trotz einer oft großen formalen Nähe zu historischen Tendenzen geometrischer Abstraktion weisen Szosteks – im eigentlichen Wortsinn – abstrakten Konstruktionen, die aus der gegenständlichen Welt Wesentliches „herausziehen“, Slogans wie Theo van Doesburgs „das Gemälde [bedeutet] nichts anderes als sich selbst“2 oder Frank Stellas „Man sieht das, was man sieht.“3 zurück.
Henrike Büscher
1 Theodor W. Adorno, Ästhetische Theorie, Gesammelte Schriften, Band 7, Frankfurt a.M. 1970, S. 425.
2 Theo van Doesburg u.a., Die Grundlage der konkreten Malerei (1930), in: Charles Harrison, Paul Wood (Hg.), Kunsttheorie im 20. Jahrhundert, Ostfildern-Ruit 2003, S. 441.
3 zitiert nach: Bruce Glaser, Fragen an Stella und Judd, in: Gregor Stemmrich (Hg.), Minimal Art. Eine kritische Retrospektive, 2. Aufl., Dresden 1998, S. 47.
Firma
18.06.-30.07.2011
Agnieszka Szosteks Arbeiten lassen sich auf verschiedene Inspirationsfelder zurückführen. In ihrem Werk verbindet sich Divergentes: Es handelt sich sowohl um eigenständige Konstruktionen als auch um eine Mimesis an historische Bildformeln, an Alltags- und Populärkultur. Die Arbeiten bezeugen ein Interesse an vorgefundenen Formen, die aus ihrem ursprünglichen Kontext isoliert, reduziert und verfremdet werden. Indem hierbei ganz unterschiedliche Themenbereiche berührt und miteinander verknüpft werden, vollzieht sich eine Synthese, die neue Bedeutungen evoziert.
Die zumeist geometrischen Kompositionen Szosteks sind augenscheinlich sorgfältig konstruiert. Hilfslinien oder –punkte, die bei der Anordnung und präzisen Ausführung der Bildelemente Verwendung finden, bleiben erhalten. Zugleich spielt der Aspekt des Unperfekten eine Rolle. Farbe verläuft, die Ränder der geometrischen Formen fransen aus, die mit Lineal gezogenen Linien werden freihändig mit Acrylfarbe nachgezogen und unbeabsichtigt entstandene Farbspuren bewahrt. Die Bilder wirken nachwievor malerisch und lassen das künstlerische Subjekt hinter ihnen erkennen.
Viele der Arbeiten oszillieren zwischen Gegenstandslosigkeit und Gegenstandsbezug. So das Bild mit dem Titel „Orange“. Es zeigt – vor gelbem Hintergrund – einen orangefarbenen Kreis, akzentuiert durch ein blaues Kreuz in der Mitte. Der zweidimensionalen Fläche des Kreises wird durch einen dunklen Blauton, der in einigen Bereichen durch das Orange hindurch schimmert, eine gewisse Körperlichkeit verliehen. Sowohl der visuelle Eindruck dieser Arbeit als auch ihr Titel sind zweideutig. Sie lassen die Möglichkeit einer Deutung als Stillleben zu, als Darstellung einer Frucht in der das blaue Kreuz den Stielansatz repräsentiert oder sie als abstrakte Hommage an die Farbe Orange zu verstehen, in der Vorbilder aus der Kunstgeschichte anklingen.
Vergleichbar in ihren mehrfachen Bezügen ist die Arbeit „Gitter“. Auf einer weiß grundierten, quadratischen Fläche ordnen sich schwarze Rechtecke konzentrisch um ein goldenes Viereck und erinnern an ein aufgebrochenes suprematistisches Quadrat. Die Wirkung ist die eines Op Art Bildes, in dem die Rechtecke einen illusionären Tiefenraum öffnen und zugleich eine rotierende Bewegung um die goldene Fläche im Zentrum zu vollziehen scheinen. Vorgesehen ist für dieses Bild eine Befestigung an der Decke eines Raumes, eine Präsentation, die eine Referenz an den gegenständlichen Bezugspunkt dieser Arbeit darstellt: ein industrielles Lüftungsgitter.
Für das Werk „Homunculus“ übernimmt Szostek die wesentlichen Kompositionslinien der anatomischen Darstellung eines Menschen aus dem 16. Jahrhundert. Selbst ohne Kenntnis dieser Vorlage rufen die anthropomorphen Formen das Bild einer menschlichen Figur auf. Unterstrichen wird dies durch die an einer Vertikalen orientierte Symmetrie der Komposition, die dem achsensymmetrischen Aufbau des menschlichen Körpers entspricht. Allein durch die Farbgebung entstehen zwei Bildebenen. Der Hintergrund ist in einem leuchtenden Blau lasiert. Die Figur ist – ebenso wie der Rahmen, mit dem sie übergangslos verbunden ist – in einem dichten Rotton gehalten, der die Fläche abschließt. Scherenschnittartig liegt die rote Form damit vor der Tiefe des Blaus.
Im Aufbau ist „Homunculus“ vergleichbar mit den ebenso symmetrisch aufgebauten und auf komplexe räumliche Staffelung verzichtenden Jahreszeiten-Darstellungen von Philipp Otto Runge. Auch sie haben einen Rahmen, der das Hauptmotiv inhaltlich ergänzt. Bereinigt um Details, um romantische Allegorien und Symbolik ist Szosteks einfache Form selbst wieder dazu geeignet Teil eines komplexeren Systems zu werden. Der rote Rahmen, der links und rechts jeweils eine gemeinsame Linie mit dem Rand der Leinwand besitzt, begrenzt die Darstellung nicht. Er scheint in den außerhalb des Bildraums gelegenen Raum überzugreifen und suggeriert eine unendliche, ornamentale Wiederholung des Motivs.
Auch in der Skulptur setzt sich der Vorgang der Aneignung und Transformation fort. In der Installation „Wolke“ werden gefundene Objekte aus Styropor, wie sie als Verpackungsmaterial Verwendung finden, in einem Quader aus transparentem Acrylglas gezeigt. Der Titel hebt zwei wesentliche Merkmale des Styropors hervor, die innerhalb dieser Installation besonders betont werden: die schwebende Leichtigkeit, die Zusammensetzung der Formen aus kleineren Elementen und die weiße Farbigkeit.
Als Sockel für den Kasten aus Acrylglas dient eine zwei Meter hohe, zylinderförmige Papprolle. Durch diese Präsentationsform, die im Widerspruch zur ursprünglichen Banalität der Styroporobjekte steht, erfahren die Objekte im wörtlichen wie im übertragenen Sinn eine Überhöhung und dadurch eine Auratisierung. Der Fokus wird von ihrer Funktion auf die Form gelenkt.
Im Abgleich mit Bekanntem fällt nun die Analogie zu Modellen historischer Architekturformen ins Auge: die Umrisse einer altägyptischen Sphinx neben tempelartigen Monumentalbauten, die in ihrer Schlichtheit wiederum eine Verbindung zu moderner Bauweise erkennen lassen.
In ihrer Vieldeutigkeit berühren Szosteks Werke erkenntnistheoretische Fragestellungen. Sie veranschaulichen, wie das Beschreiten verschiedener Wege zum Erkenntnisgewinn zu unterschiedlichen Ergebnissen führt. Verlässt sich der Betrachter rein auf seine Sinneswahrnehmung kommt er zu einem anderen Ergebnis, als wenn er sich bei der Betrachtung von der Vernunft leiten lässt. Abhängig von individuellen Erfahrungen variiert auch die Anzahl der Bezüge, die sich erschließen. Es wird die Frage aufgeworfen, ob sich Erkenntnis den betrachteten Gegenständen anpasst oder ob die von uns wahrgenommene Wirklichkeit durch unser Erkenntnisvermögen geprägt ist.
Agnieszka Szosteks Arbeiten lösen diese Fragen nicht auf, indem sie behaupten eine Einsicht in das Wesen der Dinge zu bieten. Folgt man Adorno, so können sie dies auch gar nicht leisten, denn „Kunst [ist] so wenig Abbild wie Erkenntnis eines Gegenständlichen"1, sondern Objektivation von Erfahrung. In Szosteks Werk spiegelt sich die Erfahrung einer Wirklichkeit, in der das Subjekt, zumal das künstlerische, einer Flut an Einflüssen ausgesetzt ist, die gleichwertig nebeneinander bestehen können. Trotz einer oft großen formalen Nähe zu historischen Tendenzen geometrischer Abstraktion weisen Szosteks – im eigentlichen Wortsinn – abstrakten Konstruktionen, die aus der gegenständlichen Welt Wesentliches „herausziehen“, Slogans wie Theo van Doesburgs „das Gemälde [bedeutet] nichts anderes als sich selbst“2 oder Frank Stellas „Man sieht das, was man sieht.“3 zurück.
Henrike Büscher
1 Theodor W. Adorno, Ästhetische Theorie, Gesammelte Schriften, Band 7, Frankfurt a.M. 1970, S. 425.
2 Theo van Doesburg u.a., Die Grundlage der konkreten Malerei (1930), in: Charles Harrison, Paul Wood (Hg.), Kunsttheorie im 20. Jahrhundert, Ostfildern-Ruit 2003, S. 441.
3 zitiert nach: Bruce Glaser, Fragen an Stella und Judd, in: Gregor Stemmrich (Hg.), Minimal Art. Eine kritische Retrospektive, 2. Aufl., Dresden 1998, S. 47.