Bernd Klüser

Conrad Shawcross, Jorinde Voigt

11 Feb - 27 Mar 2010

© Jorinde Voigt
Position Studie 14 , 2010
Ink on paper
HxW: 29.7 x 21 cm
CONRAD SHAWCROSS, JORINDE VOIGT
“Systema Magicum Universi”

February 11 - March 27, 2010
Galerie Klüser 2

Mit Conrad Shawcross und Jorinde Voigt vertritt die Galerie Bernd Klüser zwei Künstler, die sich dem Thema Kunst auf wissenschaftlicher Ebene annähern. Conrad Shawcross beschäftigt sich intensiv mit mathematischen und physikalischen Theorien, Jorinde Voigt hat ihre eigene visuelle und systematische Sprache entwickelt, mit der sie alltägliche Handlungen analysieren und in eine Art abstrakten Zeichencode übersetzen kann.

Kunst und Wissenschaft bewegen sich per definitionem in Grenzbereichen. Ab einem gewissen Punkt kann die Wissenschaft nur noch Vermutungen anstellen und keine abgesicherten Nachweise mehr erbringen. Das Universum, von beiden Künstlern bereits vorher schon thematisiert, ist ein prägnantes Beispiel für diesen Grenzbereich. Seine Erforschung wandelte sich von der Beobachtung des Sternenhimmels und seiner Zyklen über die klassisch-geometrische Astronomie bis hin zur modernen Astrophysik. Gleichzeitig versuchte man sich diesem unbekannten Territorium auf einer philosophischen Basis zu nähern.

Conrad Shawcross’ Werkkomplex mit dem Titel „Celestial Meters“ wurde inspiriert von der Geschichte des Meters und ihren Ursprüngen.
Die Längeneinheit Meter ist seit dem Ende des 18. Jahrhunderts in Gebrauch und findet ihren Ursprung in einem Beschluss der französischen Nationalversammlung, ein einheitliches Längenmaß zu definieren.
Bereits 1668 schlug Abt Jean Picard als Längeneinheit das Sekundenpendel vor – also die Länge eines Pendels, das eine halbe Periodendauer von einer Sekunde hat. Im Schwerefeld von Europa hätte ein solches Pendel die Länge von etwa 0,994m und käme der heutigen Definition eines Meters ziemlich nahe. Der Begriff Meter für diese Längeneinheit wurde bereits 1675 von Tito Livio Burattini verwendet.
Maßgebend für eine internationale Längeneinheit wurde jedoch nicht das Sekundenpendel, sondern die Erdfigur als das Maß aller Dinge. 1735 entsandte die Pariser Akademie zwei Expeditionen zur Gradmessung nach Peru und Lappland, um die genauen Abmessungen der Erde festzustellen. Im Jahr 1793 setzte der französische Nationalkonvent – neben einem neuen Kalender – auch ein neues Längenmaß fest: Der Meter sollte den 10-millionsten Teil des Erdquadranten auf dem Meridian von Paris betragen – also den zehnmillionsten Teil der Entfernung vom Pol zum Äquator. Ein Prototyp dieses Meters, das sogenannte Urmeter, wurde 1795 in Messing gegossen. Er erwies sich später als außerordentlich genau – gemessen am gesteckten Ziel war er nur 0,013% oder 0,13 Millimeter zu lang.

Die Arbeiten von Conrad Shawcross greifen die Idee des „Urmeters“ auf. Seine Serie umfasst 9 Stäbe zwischen 18 cm und 9,5 m Länge aus 25 mm runden rostfreiem und hochglanzpoliertem Stahl, die in einem Verhältnis von 1:10.000.000 (entsprechend dem Maßstab des französischen Nationalkonvents von 1793) den Umfang der Erde und der Planeten unseres Sonnensystems dokumentieren. Jeder Meter hat am äußeren rechten Rand eine flache Fläche auf welcher der Name des Planeten eingraviert ist, sowie den Zusatz m, als Einheitszeichen des Meters. Die Arbeiten beschreiben die Fragilität solch bekannter Systeme und belegen das fortdauernde Interesse des Künstlers an der Geschichte der Wissenschaft und der menschlichen Suche nach dem Absoluten.

Im Gegensatz zu Shawcross nähert sich Jorinde Voigt dem Thema „Universum“ über einen philosophischen Ansatz. Voigt’s Sicht des Universums beruht darauf, dass sich dieses aus verschiedensten Parametern zusammensetzt und alle Informationen, die der Mensch über das Weltsystem erlangt nur sekundär sind. Einzelne Elemente wie Kräfte, Töne, Bewegung, Licht usw. unterliegen festgeschriebenen Gesetzen: sie sind in ihrer Grundstruktur fixiert, aber in ihrer Erscheinung variabel. Dieser Koexistenz liegt eine klare Ordnung zugrunde. Dennoch greifen einzelne Elemente ineinander und beeinflussen sich gegenseitig. Voigt sucht in ihren Arbeiten Antworten auf die Fragen, welche Gesetzmäßigkeiten charakteristisch sind, was davon auf eigenen Erfahrungen basiert, welche Auswirkungen diese haben und wie sie untereinander verbunden sind.
Die Arbeiten Versus / Unus I-VI bilden ein erweitertes Diagramm für dieses Denkmodell. Alle Werke enthalten die gleichen Elemente und bauen aufeinander auf. Wie im Universum gibt es keine festgelegte Perspektive, die Bewegung bestimmt das ganze System in Form einer Rotation: Arbeit 1 ist vertikal ausgerichtet, Arbeit 2 horizontal usw.
Die einzelnen Elemente innerhalb der Zeichnungen sind:
Konvex – Konkav / Elektrizität (Pfeile-Felder):
Dieses kombinierte Element bildet konvex und konkav changierende Oberflächen aus Elektrizitätslinien und Richtungspfeilen, ähnlich Abläufen in der Thermo- und statischen Dynamik. Dabei ist die Richtung vorgegeben, eine Umkehrung ist nicht möglich, was sich im weiteren Sinne auch auf menschliche Erfahrung übertragen lässt.

Melodie Zäsur Parameter:
Töne spielen auch in der wissenschaftlichen Forschung eine Rolle. So entdeckte der Schweizer Mathematiker und Musikforscher Hans Cousto 1978 die Planetentöne. Mit der Formel fx2n (= mehrfache Verdoppelung einer Frequenz) berechnete Cousto aus den Umlaufs- und Rotationsfrequenzen der Erde, des Mondes und der Planeten deren oktavanalogen Töne (Kosmische Oktave).
Jorinde Voigt nutzt das Element der Melodie. Geschwungene Linien stehen allgemein für jede mögliche Melodie und werden durch Zäsuren unterbrochen. Akustische Harmonien sind auch als ein Mittel der Kommunikation zu sehen, die nach Voigt ein zentrales Element in der Auseinandersetzung mit dem Universum darstellt.

Subwoofer (unique, repeat / day, loop, Richtung):
Der Subwoofer wird dargestellt durch längere, anthrazitfarbene Balken, die in unterschiedlichen Häufigkeiten angeordnet sind, einem bestimmten Zeitablauf unterliegen und so ein rhythmisches Muster bilden. Länge und Abstand sind je nach Häufigkeit und Dauer dekliniert. Der Subwoofer stellt die tiefste Schwingung dar, die oft schon über das menschliche Hörspektrum hinausgeht und zusammen mit der Melodie die beiden Extreme akustischer Kommunikation aufzeigt.

Position / Kommunikation:
Die Kommunikation steht auch bei diesem Element im Zentrum. Von einer bestimmten Position (1-6 pro Blatt) gehen mehrere Linien ab, von denen einige auf Resonanz stoßen, andere auf ihrer Suche nach Kommunikation ins Leere laufen.

Kraft:
In cyanfarbener Tinte gezeichnete Kraftfelder spiegeln zum einen die Schwerkraft, zum anderen unbekannte Kräfte, die auf alle Dinge des Universums einwirken. Diese Kräfte sind unveränderbar und üben immer die gleiche Wirkung aus. Ihr Einfluss wirkt auf alle Elemente in den Zeichnungen, auch die Immateriellen.

Supersymmetrie:
Das Element Supersymmetrie basiert auf Reflexionen über die Gravitation. Supersymmetrie ist ein feststehender Begriff aus der Physik, genauer eine Symmetrie der Teilchenphysik, die Bosonen und Fermionen ineinander umwandelt. Dabei werden Teilchen, die sich unter eine SUSY-Transformation ineinander umwandeln, Superpartner genannt. Voigt nutzt dieses Element in den Zeichnungen als systemisches Element, indem sie den Eindruck erweckt, dass jeder Körper bzw jedes Element für sich steht, eigentlich aber vom Raum (Welt) nicht lösbar ist. Dabei wirken die Kräfte in mehrere Richtungen, nämlich in den Raum und zurück sowie aufeinander. Diesen Kräften sind in den Zeichnungen materielle wie immaterielle Vorgänge sowie Bewegungen ausgesetzt.

Licht:
Abstandsleisten in verschiedenen Farben reflektieren auf das Papier als separierte spektrale Aufnahmen.
 

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