A. R. Penck
17 Feb - 15 Mar 2008
A. R. PENCK
"Paintings 1963-1977"
17. January - 15. March
A.R. Penck A. R. Penck: Paintings 1963-1977
17. January - 15. March
Augen auf!
Es ist gar nicht so einfach, wider besseres Wissen zu sehen. Wer verläßt schon freiwillig gesichertes Terrain? Gegen besseres Wissen zu handeln, gilt obendrein als unvernünftig, leichtsinnig, bestenfalls übermütig, ausgelassen.
Wieso also sich töricht stellen und unklug angehäufte Erfahrung beiseite schieben und links liegen lassen?
Ein Sehen wider besseres Wissen zu fordern und sich davon gar einen ästhetischen Zugewinn von beträchtlichem Ausmaß zu versprechen, klingt zunächst eher despektierlich, wenn nicht gar vermessen.
Jedoch mit eingefahrenen Sehgewohnheiten soll man früh genug aufräumen, um Platz zu schaffen für Entdeckungen, die dem verfestigten, saturierten Blick entgehen.
"Wer sucht, der findet nicht. Wer nicht sucht, der wird gefunden." Eine bemerkenswerte Randnotiz Franz Kafkas weist die Richtung, beherzt über den eigenen Wissensschatten zu springen. Losgelöst und unbefangen sollte ein jeder von der Kunst ins Staunen versetzt, sich selbst offen Auges ein Bild vom Bilde machen.
Es ist also nicht unbedingt erforderlich, etwas über das Leben und die Vergangenheit des Malers A.R.Penck zu wissen und von seinem Forscherdrang gehört zu haben, der den Künstler eine Zeit lang mit naturwissenschaftlichem Ernst trieb, Zeichen in Formationen zu untersuchen, um sogenannte "Standarts" zu entwickeln.
Denn der beharrliche Umgang mit Dreieck, Kreis und Quadrat, Kreuz und Punkt, das Durchprobieren und Deklinieren dieser Urformen in breit angelegten Serien spricht für sich und aus den Bildern.
Warum betrachten wir die Bilder von Ralf Winkler alias A.R.Penck nicht wie solche eines namenlosen Höhlenmalers? Denn bei der enormen Fülle an Literatur über den unangepaßten Maler und Querdenker ist es höchst angebracht, sich aus dem vorgeschriebenen Sehen herauszustehlen, um den Blick zu befreien.
Ein schwarzes Kreuz, es scheint zu schweben. Ein kleines Gesicht - Punkt, Punkt, Komma, Strich - lächelt. Wirkt ans Kreuz geheftet, ganz wie die Portraitbilder der Verstorbenen auf den Friedhöfen im Süden Europas.
Davor ein Geist aus der Flasche. Hoch ragt die Stirn des Kahlkopfs auf, er trägt eine Brille oder hat Augen wie Wagenräder, ausladend sein Bart. Die Umrisse der Physiognomie erinnern an Darwin oder einen Alten aus nämlicher Zeit. Wer ist dieser Mann? Das Gelb der Augenbrille nimmt die noch feuchte schwarze Farbe des Kreuzes auf - schliert - und spurt als Linie fort. Schnell und mitreißend fließt der Malstrom. Aus der gelben Brille, die aussieht wie die Radachse einer Lokomotive, kriecht linksseitig in breiter Spur die Bartschlange nach unten hervor. Und wird auf der anderen Seite, dort wo sie am rechten Ohr anlangt, zum linken Bein einer Frau, die ihren prallen Hintern zeigt.
Ich sehe was, was Du nicht siehst! Ein draller Pinseldreher formt die zweite Pobacke. Aber bitte, der Wellenbaum daneben unstrittig, sein Stamm, wie ein Schwert, sticht gegen den Himmel.
Und über dem Baum ein Frauengesicht mit Himmelfahrtsnase, eine Windsbraut, was flüstert sie dem lächelnden Alten ins Ohr?
Entschlossen und gleichzeitig unentschieden tritt all das in Erscheinung, denn wie Irrlichter liegen die Umrisse der Zeichnung auf einem Meer aus Farben. Es tanzen die Geister, die der Maler rief. Das Bild verzichtet auf Tiefe, alles schreit gleichzeitig hier und schwimmt oben auf. Ein blauer Flußbogen trennt das linke Drittel des Bildes ab, über der Biegung schwebt ein diffuses Schlingennest. Was liegt darunter verborgen?
"Grab des Vaters", heißt das Bild und gefällt mir namenlos besser. Wer anders empfindet, mag es mit dem Titel noch einmal versuchen und hineinlegen, was er nun informiert heraussieht.
Macht die Rede vom Maler der Strichmenschen die Runde, schreit im alten Europa jedermann Penck, in der neuen Welt sicherlich Haring. Die Unterschiede sind greifbar und spürbar deutlich.
Keith Haring erzählt, wesentlich beeinflußt von der Welt der Comics und der frühen Graffitibewegung, simple Geschichten, frech verkürzte Moralpiktogramme, mal mehr und mal weniger provokant in Szene gesetzt.
Einfache Botschaften. Klar umrissen und ausgeführt. Einer mit Stock oder Latte rennt hinter einem zweiten her und schlägt auf den Fliehenden ein. Doppel xx vor und einfaches x hinter der Szene stehen als Platzhalter für - könnte überall sein und sich so abspielen. All das trägt sich auf der unteren schmalen Bildzeile zu. Darüber erhebt sich ein Strichmenschenriese. Er bricht den Schlagstock übers Knie - alles wird gut, und das rote Herz im Kreis rechts oben strahlt wie eine glückliche Sonne.
Die Umrißgestalten von Haring verkörpern den leeren Jedermann. Pinselstrichbreit sind die Menschen bei Penck. Nur der Kopf öffnet sich gelegentlich kreisrund, oval oder schlicht als Dreieck.
Gerät A.R.Penck ins Erzählen, bersten die Bilder, halten nicht den Rand, laufen über. Fieberhaft bringt der Malprozeß Symbole, Zeichen und Formen ins Spiel. Bilder ohne Moral und Erbauung, die sich nicht kümmern und bemühen, sondern nur um sich selber drehen.
Wer sie durchläuft, befindet sich auf dem Weg der Malerei. Wie viel auch immer an Geheimnis der Betrachter für sich aufzulösen vermag, das faszinierende Rätsel des Sichtbarmachens bleibt fordernd präsent und konfrontiert ihn mit der Wahrheit der Malerei.
"Systembild-End" - aus dem Jahre 1968 nur ein Beispiel unter vielen. Wie ein B 52 Bomber im Landeanflug schwebt der Balkenstrichadler ein. Schlange und Kreuz zieren Nacken und Kopf. Um ihn herum wimmelt es von Symbolen, Buchstaben, Fischamphoren, Dreiecken, Kreisen, Quadraten, Kreuzen, aber auch Einzelnes taucht auf wie der Kopf einer Katze und ein Baum.
Auf der scheinbaren Horizontlinie, die das Bild in eine helle obere und eine etwas größere dunkle Region darunter teilt, laufen Strichmenschen. Wohin?
Am Boden dominiert die Schlange. Adler und Kreuz auf der Haut. Auch sie ist umgeben von einer Vielzahl an Piktogrammen.
"Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile." A.R.Penck malt das Theorem des Aristoteles in seinen Bildern fort. Denn permanent entsteht ein Mehr im Betrachter durch die jeweilige Art der Vernetzung und Zusammenstellung der einzelnen Komponenten des Bildes. So wächst das Einzelne über sich hinaus. Und ohne Ende fort in eine höhere Komplexität.
Heinrich Heil
"Paintings 1963-1977"
17. January - 15. March
A.R. Penck A. R. Penck: Paintings 1963-1977
17. January - 15. March
Augen auf!
Es ist gar nicht so einfach, wider besseres Wissen zu sehen. Wer verläßt schon freiwillig gesichertes Terrain? Gegen besseres Wissen zu handeln, gilt obendrein als unvernünftig, leichtsinnig, bestenfalls übermütig, ausgelassen.
Wieso also sich töricht stellen und unklug angehäufte Erfahrung beiseite schieben und links liegen lassen?
Ein Sehen wider besseres Wissen zu fordern und sich davon gar einen ästhetischen Zugewinn von beträchtlichem Ausmaß zu versprechen, klingt zunächst eher despektierlich, wenn nicht gar vermessen.
Jedoch mit eingefahrenen Sehgewohnheiten soll man früh genug aufräumen, um Platz zu schaffen für Entdeckungen, die dem verfestigten, saturierten Blick entgehen.
"Wer sucht, der findet nicht. Wer nicht sucht, der wird gefunden." Eine bemerkenswerte Randnotiz Franz Kafkas weist die Richtung, beherzt über den eigenen Wissensschatten zu springen. Losgelöst und unbefangen sollte ein jeder von der Kunst ins Staunen versetzt, sich selbst offen Auges ein Bild vom Bilde machen.
Es ist also nicht unbedingt erforderlich, etwas über das Leben und die Vergangenheit des Malers A.R.Penck zu wissen und von seinem Forscherdrang gehört zu haben, der den Künstler eine Zeit lang mit naturwissenschaftlichem Ernst trieb, Zeichen in Formationen zu untersuchen, um sogenannte "Standarts" zu entwickeln.
Denn der beharrliche Umgang mit Dreieck, Kreis und Quadrat, Kreuz und Punkt, das Durchprobieren und Deklinieren dieser Urformen in breit angelegten Serien spricht für sich und aus den Bildern.
Warum betrachten wir die Bilder von Ralf Winkler alias A.R.Penck nicht wie solche eines namenlosen Höhlenmalers? Denn bei der enormen Fülle an Literatur über den unangepaßten Maler und Querdenker ist es höchst angebracht, sich aus dem vorgeschriebenen Sehen herauszustehlen, um den Blick zu befreien.
Ein schwarzes Kreuz, es scheint zu schweben. Ein kleines Gesicht - Punkt, Punkt, Komma, Strich - lächelt. Wirkt ans Kreuz geheftet, ganz wie die Portraitbilder der Verstorbenen auf den Friedhöfen im Süden Europas.
Davor ein Geist aus der Flasche. Hoch ragt die Stirn des Kahlkopfs auf, er trägt eine Brille oder hat Augen wie Wagenräder, ausladend sein Bart. Die Umrisse der Physiognomie erinnern an Darwin oder einen Alten aus nämlicher Zeit. Wer ist dieser Mann? Das Gelb der Augenbrille nimmt die noch feuchte schwarze Farbe des Kreuzes auf - schliert - und spurt als Linie fort. Schnell und mitreißend fließt der Malstrom. Aus der gelben Brille, die aussieht wie die Radachse einer Lokomotive, kriecht linksseitig in breiter Spur die Bartschlange nach unten hervor. Und wird auf der anderen Seite, dort wo sie am rechten Ohr anlangt, zum linken Bein einer Frau, die ihren prallen Hintern zeigt.
Ich sehe was, was Du nicht siehst! Ein draller Pinseldreher formt die zweite Pobacke. Aber bitte, der Wellenbaum daneben unstrittig, sein Stamm, wie ein Schwert, sticht gegen den Himmel.
Und über dem Baum ein Frauengesicht mit Himmelfahrtsnase, eine Windsbraut, was flüstert sie dem lächelnden Alten ins Ohr?
Entschlossen und gleichzeitig unentschieden tritt all das in Erscheinung, denn wie Irrlichter liegen die Umrisse der Zeichnung auf einem Meer aus Farben. Es tanzen die Geister, die der Maler rief. Das Bild verzichtet auf Tiefe, alles schreit gleichzeitig hier und schwimmt oben auf. Ein blauer Flußbogen trennt das linke Drittel des Bildes ab, über der Biegung schwebt ein diffuses Schlingennest. Was liegt darunter verborgen?
"Grab des Vaters", heißt das Bild und gefällt mir namenlos besser. Wer anders empfindet, mag es mit dem Titel noch einmal versuchen und hineinlegen, was er nun informiert heraussieht.
Macht die Rede vom Maler der Strichmenschen die Runde, schreit im alten Europa jedermann Penck, in der neuen Welt sicherlich Haring. Die Unterschiede sind greifbar und spürbar deutlich.
Keith Haring erzählt, wesentlich beeinflußt von der Welt der Comics und der frühen Graffitibewegung, simple Geschichten, frech verkürzte Moralpiktogramme, mal mehr und mal weniger provokant in Szene gesetzt.
Einfache Botschaften. Klar umrissen und ausgeführt. Einer mit Stock oder Latte rennt hinter einem zweiten her und schlägt auf den Fliehenden ein. Doppel xx vor und einfaches x hinter der Szene stehen als Platzhalter für - könnte überall sein und sich so abspielen. All das trägt sich auf der unteren schmalen Bildzeile zu. Darüber erhebt sich ein Strichmenschenriese. Er bricht den Schlagstock übers Knie - alles wird gut, und das rote Herz im Kreis rechts oben strahlt wie eine glückliche Sonne.
Die Umrißgestalten von Haring verkörpern den leeren Jedermann. Pinselstrichbreit sind die Menschen bei Penck. Nur der Kopf öffnet sich gelegentlich kreisrund, oval oder schlicht als Dreieck.
Gerät A.R.Penck ins Erzählen, bersten die Bilder, halten nicht den Rand, laufen über. Fieberhaft bringt der Malprozeß Symbole, Zeichen und Formen ins Spiel. Bilder ohne Moral und Erbauung, die sich nicht kümmern und bemühen, sondern nur um sich selber drehen.
Wer sie durchläuft, befindet sich auf dem Weg der Malerei. Wie viel auch immer an Geheimnis der Betrachter für sich aufzulösen vermag, das faszinierende Rätsel des Sichtbarmachens bleibt fordernd präsent und konfrontiert ihn mit der Wahrheit der Malerei.
"Systembild-End" - aus dem Jahre 1968 nur ein Beispiel unter vielen. Wie ein B 52 Bomber im Landeanflug schwebt der Balkenstrichadler ein. Schlange und Kreuz zieren Nacken und Kopf. Um ihn herum wimmelt es von Symbolen, Buchstaben, Fischamphoren, Dreiecken, Kreisen, Quadraten, Kreuzen, aber auch Einzelnes taucht auf wie der Kopf einer Katze und ein Baum.
Auf der scheinbaren Horizontlinie, die das Bild in eine helle obere und eine etwas größere dunkle Region darunter teilt, laufen Strichmenschen. Wohin?
Am Boden dominiert die Schlange. Adler und Kreuz auf der Haut. Auch sie ist umgeben von einer Vielzahl an Piktogrammen.
"Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile." A.R.Penck malt das Theorem des Aristoteles in seinen Bildern fort. Denn permanent entsteht ein Mehr im Betrachter durch die jeweilige Art der Vernetzung und Zusammenstellung der einzelnen Komponenten des Bildes. So wächst das Einzelne über sich hinaus. Und ohne Ende fort in eine höhere Komplexität.
Heinrich Heil