Bundeskunsthalle

Arno Fischer

Retrospektive

05 Nov 2009 - 03 Jan 2010

© Arno Fischer
Westberlin, 1. Mai, Tiergarten, 1959
Institut für Auslandsbeziehungen e.V., Stuttgart
ARNO FISCHER
Retrospektive
5. November 2009 bis 3. Januar 2010

Arno Fischer zählt zu den bedeutendsten Fotografen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Seine Bilder und seine Lehrtätigkeit in Leipzig, Berlin und Dortmund haben drei Generationen von Fotografen nicht nur im Osten Deutschlands maßgeblich geprägt.

Geboren wurde er 1927 als Sohn eines Schriftsetzers im Berliner Arbeiterbezirk Wedding. Nach einer Modelltischlerlehre studierte er ab 1948 in Berlin Bildhauerei und begann, nach vereinzelten früheren Anfängen, seit 1950 wieder zu fotografieren. Zum Schlüsselerlebnis wurde 1955 die Ausstellung „Family of Man“, in der Edward Steichen das humanistische Potential der Fotografie unter Beweis stellte und die Gemeinschaft aller Menschen in einem „Jahrhundert der Katastrophen“ beschwor.

Arno Fischers erste, aus historischer Perspektive immer bedeutender erscheinende Werkgruppe entstand zwischen 1954 und 1960. Bekannt geworden unter der Bezeichnung „Situation Berlin“, schildert diese breit angelegte Fotoserie die soziale, kulturelle und politische Realität in der Vier-Sektoren-Stadt. Die bereits angekündigte Buchveröffentlichung dieser Fotografien verbot die DDR-Kulturbürokratie: Der Mauerbau im August 1961 lieferte die unmittelbare Begründung für die Entfernung des fertigen Buchentwurfs von der Leipziger Buchmesse. Fischers frühe Berlin-Bilder sind ein überaus eindringliches Zeugnis der von den Wunden des Zweiten Weltkrieges und der Hysterie des Kalten Krieges gezeichneten Stadt. Sie bilden den ersten Themenschwerpunkt der Ausstellung.

Seit 1962 arbeitete Arno Fischer für die ostdeutsche Kultur- und Modezeitschrift „Sibylle“. In deren Umfeld wirkten einige der besten Fotografen und Journalisten, die sich der allgegenwärtigen ideologisch geprägten Uniformität zu entziehen suchten und das Blatt auch international konkurrenzfähig machen wollten. Fischers Modefotografien nahmen den theoretischen Anspruch der DDR-Kulturauffassung beim Wort. Mode ist für ihn keine Form übersteigerter Designgelüste, sondern Ausdruck einer Lebenskultur, die sich als ästhetisches Korrektiv des Alltags ohne Klassenschranken versteht. So gehören seine Bilder zu frühen Beispielen einer heute noch praktizierten Modefotografie, die fernab der Studio-Inszenierungen Ausdrucksmittel der „street-photography“ einsetzt. Die Ausstellung zeigt mehrere dieser Arbeiten.

Eine Auswahl aus Arno Fischers vielseitigem Porträtschaffen bildet die nächste Werkgruppe. Seine frühen, im Nachkriegsberlin aufgenommenen Bildnisse entstanden vorwiegend im Umfeld von Film, Musik und Theater. Später ließ er sich keine Gelegenheit entgehen, auch internationale Stars zu porträtieren: Marlene Dietrich, Juliette Gréco, Yehudi Menuhin, um nur einige zu nennen, aber auch Schauspielerinnen, Regisseure, Tänzerinnen und Künstler, deren Namen heute kaum noch bekannt sind. Mit gleicher Sensibilität und wachem Interesse fotografierte er unbekannte Menschen. In diesen Porträts wird Arno Fischers Herkunft aus der figürlichen Bildhauerei besonders deutlich: Es sind Bilder von ebenso großer Einfachheit wie gelassener Ruhe, die den Wesenskern des Gegenübers in fragilem Gleichgewicht zwischen Vertraulichkeit und Distanz festhalten.

In seinem Fotografenleben ist Arno Fischer viel gereist, in der DDR wie im Ausland. „Am Wege“ heißt das vierte Kapitel der Ausstellung. Es versammelt Bilder aus der DDR, den Ländern Mittel- und Osteuropas, aus Indien und Afrika. Diese Aufnahmen zeugen von der enormen Beobachtungsgabe des Fotografen. Nicht der „fruchtbare Moment“ bestimmt ihre zeitlose Wirkung, sondern die Geschichte, die hinter den Bildern liegt. „Wenn ich an einer Bushaltestelle einen Mann fotografiere, der auf einen Bus wartet, muss auf dem Foto mehr zu sehen sein, als ein Mann, der auf einen Bus wartet.“, so formulierte der Fotograf sein künstlerisches Credo.

In den Jahren 1978 und 1984 reiste Arno Fischer nach New York. Doch erst 1988 konnten 150 der dort entstandenen Fotografien in dem Buch „New York. Ansichten“ publiziert werden, zu dem Heiner Müller einen Text schrieb. Diese Bilder erstaunen noch heute durch die Intensität und Genauigkeit, mit welcher Arno Fischer Menschen und Situationen in dieser ebenso fremden wie faszinierenden Stadt festhielt. Zahlreiche dieser Bilder sind als Vintage-Prints in der Ausstellung zu sehen.

Den letzten Schwerpunkt der Ausstellung bildet eine Reihe von Polaroid-Fotografien, die Arno Fischer in seinem Garten aufnahm. 1978 kauften Fischer und seine Ehefrau, die Fotografin Sibylle Bergemann, ein Neubauernhaus in Gransee nördlich von Berlin. Im gleichen Jahr begann er, mit der Sofortbildkamera SX 70 Stillleben und Details dieses Gartens zu fotografieren: Pflanzen und Steine, Gerät und Mobiliar. Diese Bilder, einmalig und unwiederholbar, präsentieren sich als eine Verdichtung seines Werks an einem sehr persönlichen Gegenstand. Von Jahr zu Jahr verbrachte Arno Fischer mehr Zeit an diesem Ort, der für ihn mittlerweile zu einem verwunschenen Refugium geworden ist. Die „Garten“-Serie, die erst 2007 mit der Einstellung der Produktion von Polaroid-Filmen abbrach, umfasst Bilder aus 30 Jahren, die der Künstler zu Triptychen zusammenfügte. Der zeitliche Zusammenhang ist darin aufgehoben, die drei Jahrzehnte scheinen im jeweiligen Moment der Aufnahme zusammenzufallen und ihm Dauer zu verleihen.

Eine Ausstellung des Instituts für Auslandsbeziehungen e.V., Stuttgart,
in Zusammenarbeit mit der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn
 

Tags: Sibylle Bergemann, Arno Fischer