Bundeskunsthalle

Liam Gillick

01 Apr - 08 Aug 2010

© Liam Gillick
How are you going to behave,
A kitchen cat speaks, Deutscher Pavillon,
Biennale Venedig 2009, courtesy the Artist,
Casey Kaplan, New York und Esther Schipper, Berlin
LIAM GILLICK
Ein langer Spaziergang...
Zwei kurze Stege...*
1. April bis 8. August 2010

Der 1964 in England geborene Liam Gillick gehört seit Beginn der 1990er Jahre zu den prominentesten Vertretern der Weiterentwicklung konzeptueller Kunst und zählt zu den einflussreichsten Künstlern der Gegenwart. 2009 wurde er ausgewählt, den Deutschen Pavillon bei der 53. Biennale in Venedig zu gestalten. Die Bundeskunsthalle widmet Liam Gillick nun erstmals in Deutschland eine umfangreiche Einzelausstellung, die die Entwicklung seines Werkes anhand wichtiger Werkgruppen und Themen darstellt. Gut 60 Kunstwerke aus fast zwei Jahrzehnten bilden eine theoretische und sinnliche Plattform, auf der Stringenz, Kontinuität und Schönheit des Werkes erfahrbar werden.

Wer die Ausstellung besucht, wird von der Klarheit der Farben und Materialien, mal spröde, mal glänzend, der Poesie der Worte, der formalen Strenge und Serialität, dem Spiel von Licht und Reflexion verführt und zum Verweilen verleitet. Das Werk provoziert grundlegende Fragen über die Möglichkeiten und Funktion der Kunst in unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit. Damit spielt der in New York und London lebende Künstler, dessen Werk sich nicht auf ein künstlerisches Medium begrenzen lässt, eine wichtige Rolle für die kritische Reflexion unserer ästhetischen Erwartungen. Liam Gillick schuf außerdem ein umfangreiches publizistisches Werk, das Essays, Kritiken, fiktionale Texte und theatergleiche Szenarien umfasst. Gillicks Ausstellungsräume, die auch die Vorstellung, was Ausstellen bedeuten kann, verändern, werden zu Orten, die unsere Sinnlichkeit ansprechen, das Nachdenken provozieren und der Kunst eine zentrale Stellung für die Bestimmung unserer Zukunft zuweisen.

VIELE SPAZIERGÄNGE AUF VIELEN KURZEN STEGEN

WARUM EIN LANGER SPAZIERGANG, ZWEI KURZE STEGE?
Weil ein langer Spaziergang auf einem kurzen Steg bedeutet, dass jemand nass wird.

WER IST JETZT DIE KATZE?
Es ist keine Katze. Es ist ein trauriges Logo für eine Ausstellung. Etwas, was man bei einer Sportveranstaltung bekommt. Möglicherweise ist das ein provinzelles Fussball- Maskottchen für eine Mannschaft, die nicht spielen kann.

WAS IST DAS BESONDERE AN DER BUNDESKUNSTHALLE?
Im Winter gibt es da einen Aufkleber an der Tür mit einem durchgestrichenen Schlittschuh. Dies bedeutet: „Keine Schlittschuhe im Ausstellungsraum”. Ich habe niemals vorher daran gedacht, Schlittschuhe in einer Galerie zutragen, aber in Bonn besteht diese Gefahr.

ERZÄHL MIR ETWAS MEHR ÜBER DEN TITEL
Er beschreibt eine Art des Arbeitens. Er weist auf das Verlangen, am falschen Ende zu beginnen und rückwärts zu arbeiten. Weiter in Kreisen sich zu bewegen oder sogar die gleiche Route noch einmal zu nehmen.

DAS IST ES ALSO, WAS HIER STATTFINDET?
Es handelt sich um eine Ausstellung, die in bestimmter Weise retrospektive Qualität hat. Eine Anzahl von Schlüsselinstallationen aus den letzten zehn Jahren werden versammelt und wieder her gestellt. Dies wird akzentuiert mit anderen Werken, die wie ein Gegengewicht zu den größeren Strukturen inszeniert sind.

WAS IST DANN MIT VENEDIG?
Ja, das Werk aus dem Deutschen Pavillon in Venedig wird hier sein. Um zu zeigen, dass es auch beabsichtigt war, dass es unabhängig vom Gebäude in Venedig funktioniert. Schon früh in meinem Arbeitsprozess hatte ich versucht, die Obsession mit diesem Gebäude abzubauen, indem ich ein Modell des Vorschlags aus den 1950er-Jahren für ein neues Gebäude von Arnold Bode anfertigte. Aber selbstverständlich wurde das Gebäude selbst wieder einmal der Star und das Problem. Die Venedig-Struktur wird in Bonn sein, um zu zeigen, wie sie in meinem Kontext funktioniert und nicht im Rahmen einer internationalen Ausstellung, die permanent Schaden erleidet durch die ungelösten Spannungen mit der Vergangenheit – das gilt ja nicht nur für Deutschland.

WIRD DIE KATZE WIEDER SPRECHEN?
Dieses Mal auf Deutsch.

WER WIRD DIE ÜBERSETZUNG VORNEHMEN?
Der Text wurde schon in Venedig übersetzt, die Katze hielt ihn in ihrem Maul.

WARUM IST DIE BONNER KATZE SO TRAURIG, DIE VENEDIG KATZE SCHIEN SO SELBSTGEFÄLLIG?
Sie kann keine Schlittschuhe in dem Gebäude tragen. Die Venedig-Katze war nicht blasiert. Sie war eine Stimme. Ein Apparat, wie ein MP3-Spieler oder eine Geschichtsmaschine, die eine Geschichte erzählen kann, ohne einen dominanten Ton anzunehmen. In diesem Gebäude konnte es keine Reden geben. Eine Katze aber, die kann weinen.

SIE HAT KEINE KRALLEN?
Ich habe auch keine Krallen, und ich möchte auch keine haben. Sie trägt aber einen Bundeskunsthallen-Hut. So wie die Hüte, die Teenager als Touristen in London, Kopenhagen oder Amsterdam kaufen.

DARF ICH IHNEN EINIGE ERNSTE FRAGEN STELLEN? SCHÄ TZEN SIE IHRE EIGENE KUNST ALS SPEZIFISCH POST-MEDIAL EIN?
Während die Idee einer spezifischen Post-Medialität „wahr“ ist, trägt sie doch nicht weit genug. Sie ist nicht in der Lage, in dieser fragmentierten Form, genug davon zu vermitteln, was wir die Eventualität der Materialien nennen könnten – die spezifischen Eigenschaften der Beziehungen der Materialität in verschiedenen Kontexten. Deswegen bin ich nicht Post-Medium. Ich glaube nicht, dass man sich zu sehr mit Material und Medium beschäftigen sollte. Ich denke immer in Beziehung zu materiellen Tatsachen, was bedeutet, dass ich nicht wirklich an einen „Effekt“ oder eine „Idee“ denke, um dafür dann eine Möglichkeit des Ausdrucks durch die Wahl des Materials zu finden. Die Beziehung zwischen Materialien und Ideen ist untrennbar miteinander verbunden. Die Interaktion des Subjekts wird durch den Typus des Werks, das produziert wird, vorausgesetzt. Ich gehe davon aus, dass eine Person mit einem Buch buch-bezogene Dinge tun wird und sich auf ein Sitz-ähnliches Objekt setzt. Aber Sie können das Buch auch auf einen Tisch legen oder in die Tasche stecken oder Sie können sich den Sitz auch bloss anschauen. Sicherlich ist das Medium eine soziale Beziehung. Gerade weil ich Formen und Materialien nutze, die eine existierende Funktion und eine Reihe von Assoziationen in der Welt haben. Ich bemühe mich nicht, erhabene Strukturen zu schaffen.

WIE DENKEN SIE ÜBER FARBE IN BEZUG ZUR FORM? ODER AUCH IM BEZUG ZU RASTERN?
Ich bin einer, der Farben pflückt. Dabei arbeite ich mit dem RAL-System auf dem Computerbildschirm, welches ein echtes System ist. Aus diesem Grund leitet sich meine Beziehung zur Farbe selbst aus einer Form ab – dem Computer. Bevor mir dieses System für die Arbeit zur Verfügung stand, gab es keine Farbe.

IN EINER ARBEIT MITTE DER 2000er-Jahre FRAGTEN SIE, „WIE KANN MAN DIE KRISE IN EINER KULTUR DARSTELLEN, DIE VORGIBT, KEINE KRISEN ZU HABEN?“
Während des Modernismus der 1930er-Jahre wurde die Kunst kitschig und stilistisch „postmodern“ – denken wir an Picabia und an Picassos Periode der klassischen Bezüge – ich bin mir nicht sicher, ob ich eine präzise Verbindung zwischen Momenten der Krise in der Kunst und „guten“ Werken ziehen kann. Weil wir doch gerade heute das Aufblühen der gleichen kitschigen, allegorischen Werke sehen. Es ist doch ein Mythos, dass gute Kunstwerke sich in einer Krise durchsetzen. Es gibt natürlich Verpflichtungen, unterschiedlich heranzugehen, aber diese werden immer im Modernismus beeinflusst von dem Vermächtnis des Wunsches nach Autonomie, das bedeutet, dass Künstler häufig gegen die Intuition agieren. Die Frage richtet sich nach der Semiotik der konstruierten Welt. Der Beziehung zwischen Werk, Leben und Arbeit. Beim Werk geht es um Modi der Produktion nicht des Konsums.

Teile des Interviews wurden im Dezember 2009 von Michael Meredith geführt, Lehrbeauftrager für Architektur an der Harvard Universität.
 

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