Contemporary Fine Arts

Jonathan Meese

22 Feb - 22 Mar 2014

JONATHAN MEESE
Johnny Come Home II
22 February - 22 March 2014

Contemporary Fine Arts freut sich, Jonathan Meese mit einer Ausstellung von Gemälden aus dem Jahr 2006 zu würdigen – eine Zeit, als der Künstler sich in einer Hochphase seines Schaffens befand.
Heute könnte man fast meinen, über Jonathan Meese sei alles gesagt, so immens ist der Output seiner künstlerischen Laufbahn, die 1998 auf der Berlin Biennale ihren Anfang nahm. Seitdem wurde er mit unzähligen Kommentaren, Einordnungen und Kritiken bedacht, die dem Titel seiner Biennale-Arbeit „Ahoi de Angst“ beinahe eine prophetische Ebene verleihen – als hätte Meese geahnt, dass er durch weite Gewässer segeln würde.
„Ahoi de Angst“ war ein labyrinthisches Panoptikum voller Jugendhelden, durch das man wandelte wie durch Gehirnwindungen eines totalen Fans; wild bespickt mit Fotos und Postern von Klaus Kinski, Che Guevara, Bill Clinton oder Romy Schneider, hingen dazwischen Poster voller hingeschmierter Figuren- und Wortmalereien, Selbstportraits und Sensenmänner, stümperhaft versehen mit Worten wie „Clan of Clan“. Es gab einen Fernseher, eine Discokugel, ein Sofa und einen Plattenspieler. Das Ganze war ein energetisches Allover aus Kult und Kitsch, Hochkultur und Softporno, Tragik und Komödie – und stand bereits genau für das, was Meese bis heute ist: Ein Künstler, der seine eigene Person in den Dienst der Kunst stellt und damit hinter das Werk zurücktritt.
Allerdings erschließt sich dieser universelle, gar unpersönliche Anspruch nicht auf den ersten Blick. Die virilen, dunkel tönenden Namen, die sich als Leitmotive durch das Werk ziehen, zählen zwar zur bildungsbürgerlichen Allgemeinbildung. Doch Stalin, Hitler, Wagner, Nietzsche, Caligula, Alex de Large, Darth Vader und Lautréamont münden jenseits jeden Zusammenhangs in absurde Titelschöpfungen für konturlose, dickfarbige, collagierte, fragmentiert-figürliche Bildwelten, wie sie auch in der ausgestellten Portraitserie zu sehen sind: Einigermaßen sinnbefreit, im pubertierenden Gralsrittersound grollend, heißen die Werke dort „Im 8.
Namen des Erzfisches“, „Dein Stahlblindes geortetes Geschlechtsteil riecht“ oder „Die Verdammtin im Tiertum“. Dass der übergeordnete Anspruch in diesen Bild-Text-Inszenierungen sich nicht jedem sofort erschließt, liegt daran, dass Meese immer wieder sein eigenes Konterfei und den eigenen Körper, eigene Jugendhelden und selbst die eigene Mutter ins Spiel bringt, sich selbst mit den historischen Größen verknüpft, ja sich sogar ihre Merkmale aneignet und ein groteskes Maskenspiel betreibt – gekrönt von naiv anmutenden, ostentativ wiederholten Provokationen mit Abformungen erigierter Penisse, Hitlergruß und düster schwelenden Präfixen „Erz“ und „Arch“. Aber was man für die Zurschaustellung eines inneren Pandämoniums halten könnte, hat mit Narzissmus nichts zu tun. Meese geht es nicht um Meese selbst. In spielerischer Hingabe beschwört er die totale Offenheit des Seins durch die „Diktatur der Kunst“, jenseits der Axiome starrer Regeln und Ideologien.
„Die Kunst hat ihre eigenen Gesetze, die wir gar nicht kennen. Wir versuchen, der Kunst immer unsere Gesetze aufzuzwingen. Und es ist viel interessanter einfach abzuwarten und zu schauen, was sie uns da vorsetzt“, hat Meese 2006 gesagt. Und: „Ich habe den sentimentalen Glauben, dass Kunst noch immer etwas Kraftvolles ist, etwas Individuelles, das sich gegen die enorme Bürokratie stellt, die alles übernimmt.“ Meese sieht die Kunst als vom Künstler unabhängige Größe, als Denk- und Handlungsalternative zu immer härter werdenden Alltagsregularien. Doch kann die Kunst alleine existieren – jenseits eines Schöpfers, der ihre Gesetze bestimmt?
Tatsächlich liegt die Crux von Meeses Kunst – egal in welchem Medium er arbeitet – in der Verteidigung ihrer Mythen und Archetypen, die ein universelles Weltbild kreieren, das über den Einzelnen, auch über ihn als Künstler, hinausreicht. Für Meese muss der Künstler der Kunst und damit den Menschen dienen, also keinen Selbstausdruck betreiben – weshalb immer wieder Figuren auftauchen, die diese Allgemeingültigkeit verkörpern; es sind repräsentative, detaillose Charaktere, von denen er keine individuellen Erzählungen, sondern deren Essenz er freilegt.
Durch die Übertragung dieser Essenz in die Kunst kann Meese mit solchen Stereotypen spielen – auch in Kombination mit dem Selbstportrait, das niemals persönlich und stimmungsbeladen wirkt, sondern wie alle anderen Figuren klischeehaft, hermetisch und auf schelmenhafte Weise mythendurchtränkt.
„Die Selbstinszenierung der Künstlergestalt durch Meese [hat] etwas bewusst Exemplarisches, [er] stellt den Beispielcharakter des Künstlers in den Vordergrund“, erklärt Robert Fleck, der die Kraft seines Werks auf dessen „utopischen Charakter“ zurückführt. „Meese stellt sich mit all seiner darstellerischen Energie, die ihn auszeichnet, als die Summe aller Figuren und Namen der deutschen Mythologie bis zu Darth Vader dar“, so Friedrich Meschede. „Jonathan Meese ist in gewisser Hinsicht ein Gnostiker, einer, der jedoch auf seinem Erlösungsweg keine Pfütze und keinen Erdknollen auslässt und damit auf Schritt und Tritt dem Finsteren und Bösen begegnet, wobei er wie ein Chamäleon selbst dessen Schattierungen annimmt“, schreibt Veit Loers. Und Susanne Titz spricht von einem „Kollaps der Zeit“ in Meeses Werk, entstanden aus „reiner Kopfarbeit, zeitlos unklar, dabei vielfach anstößig, doch auf eine eigenartig beschwichtigende, weil Persönliches offenbarende Weise“. Also doch persönlich?
Ja und nein. Meeses Bilderschlacht ist nicht aus einer Suchmaschine generierbar; sie entstammt einem individuellen Wahrnehmungsrepertoire.
Doch eben das filtert und reduziert Meese so weit, bis er zum Kern der Dinge vordringt – so wie Picassos Frauenportraits und Van Goghs Selbstbildnisse nicht von der Illustration, sondern von der Transzendierung über das bloße Ego hinaus leben. Meese versteht sich als „Soldat der Kunst“ – als einer, der einem geistigen und ästhetischen Freiraum dient, die Möglichkeiten der Poesie freilegt und so dem Betrachter die Enge der Gesellschaft als Spiegel vorhält.
 

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