Michael Wolf
09 Jan - 20 Feb 2011
MICHAEL WOLF
Tokyo Compression
09 January - 20 February, 2011
Hauptverkehrszeit in Tokio: Der deutsch-amerikanische Fotograf Michael Wolf porträtiert vom Bahnsteig der Untergrundbahn aus durch die Scheiben der Waggons die dort eingepferchten Menschen. Die Bilder, die entstehen, zeigen die erdrückende Situation, in die sich hier Abertausende Bewohner tagtäglich begeben müssen. Der Blick durch die häufig beschlagenen oder von herunterlaufendem Kondenswasser getrübten Scheiben macht den extremen Platzmangel fast physisch spürbar.
Michael Wolf erforscht in der Porträtserie Tokyo Compression die Strategien, die die Menschen anwenden, um die extreme Enge in der U-Bahn zu überstehen. Zwar verbieten die gesellschaftlichen Regeln ein unmittelbares Reagieren, eine Preisgabe von Emotionen wie Beklemmung, Angst, Aggression oder Ekel, die die physische Bedrängnis hervorruft, dennoch zeigt sich das Leiden auf den Gesichtern der Porträtierten. Vor das Gesicht oder den Körper gehaltene Hände schützen eine Privatsphäre, die es im Hier und Jetzt nicht gibt, geschlossene Augen zeugen von der Flucht in ein inneres Exil. Resignation zeigt sich dort, wo die Porträtierten direkt in die Kamera des Fotografen schauen, ohne sichtlich darauf zu reagieren.
Der Massentransport macht den Einzelnen einsam und das Subjekt zum Objekt. Als solches sind die Mitfahrenden alle gleich, weil sie sich in derselben unentrinnbaren Situation befinden; soziale oder nationale Unterschiede spielen keine Rolle mehr, jede Biografie ist hier bedeutungslos. Der Einzelne ist Teil einer homogenen anonymen Masse, in der kein echtes „Wir“ einer sinnvollen Gemeinschaft existiert. Er harrt in Platznot aus - bis zum Ausstieg nach draußen, wo ihn die Zeitnot moderner Gesellschaften ereilt.
Trotz der Thematik haben Michael Wolfs Porträtaufnahmen nichts Verstörendes an sich, vermögen beim empathischen Betrachter höchstens ein wenig Unbehagen auszulösen. Dennoch kann er die Fotografien als schön empfinden: Schön ist ihre Farbigkeit, schön der Ausdruck der Gesichter, schön das Wasser am Waggonfenster, das die Menschen dahinter manchmal nur schemenhaft erkennen lässt.
Tokyo Compression ist Teil der Auseinandersetzung des Fotografen mit den Bedingungen und Phänomenen urbanen Lebens. Ist es in anderen Werkserien die in die Höhe strebende Architektur von Hong Kong oder Chicago, die Massen von Menschen schluckt und anonymisiert, spürt Wolf in Tokyo Compression der Ohnmacht und Vereinzelung des modernen Menschen innerhalb unseres hoch technisierten Lebensumfeldes nach.
Estella Kühmstedt
Michael Wolf wurde 1954 in München geboren und wuchs in Amerika auf. Er studierte ab 1972 an der Universität von Kalifornien sowie Bildjournalistik an der Folkwangschule in Essen bei Otto Steinert. Neben journalistischen Auftragsarbeiten für internationale Zeitschriften wie für den STERN arbeitet er für die Agentur Laif und realisiert seit Jahren eigene Projekte. Der renommierte Fotograf und Fotobuchautor lebte viele Jahre in Hong Kong und ist bestens bekannt mit der chinesischen Mentalität. Wolf gewann 2005 und 2010 den ersten Preis der World Press Photo Awards und ist nominiert für den Prix Pictet 2010 (Thema „Wachstum“) für das Werk Architecture of Density (Dichte-Architektur), das die Wolkenkratzer von Hong Kong zeigt. In seinem neuesten Projekt Paris Street View spürt Michael Wolf Privates auf der Weltkarte von Google auf.
Tokyo Compression
09 January - 20 February, 2011
Hauptverkehrszeit in Tokio: Der deutsch-amerikanische Fotograf Michael Wolf porträtiert vom Bahnsteig der Untergrundbahn aus durch die Scheiben der Waggons die dort eingepferchten Menschen. Die Bilder, die entstehen, zeigen die erdrückende Situation, in die sich hier Abertausende Bewohner tagtäglich begeben müssen. Der Blick durch die häufig beschlagenen oder von herunterlaufendem Kondenswasser getrübten Scheiben macht den extremen Platzmangel fast physisch spürbar.
Michael Wolf erforscht in der Porträtserie Tokyo Compression die Strategien, die die Menschen anwenden, um die extreme Enge in der U-Bahn zu überstehen. Zwar verbieten die gesellschaftlichen Regeln ein unmittelbares Reagieren, eine Preisgabe von Emotionen wie Beklemmung, Angst, Aggression oder Ekel, die die physische Bedrängnis hervorruft, dennoch zeigt sich das Leiden auf den Gesichtern der Porträtierten. Vor das Gesicht oder den Körper gehaltene Hände schützen eine Privatsphäre, die es im Hier und Jetzt nicht gibt, geschlossene Augen zeugen von der Flucht in ein inneres Exil. Resignation zeigt sich dort, wo die Porträtierten direkt in die Kamera des Fotografen schauen, ohne sichtlich darauf zu reagieren.
Der Massentransport macht den Einzelnen einsam und das Subjekt zum Objekt. Als solches sind die Mitfahrenden alle gleich, weil sie sich in derselben unentrinnbaren Situation befinden; soziale oder nationale Unterschiede spielen keine Rolle mehr, jede Biografie ist hier bedeutungslos. Der Einzelne ist Teil einer homogenen anonymen Masse, in der kein echtes „Wir“ einer sinnvollen Gemeinschaft existiert. Er harrt in Platznot aus - bis zum Ausstieg nach draußen, wo ihn die Zeitnot moderner Gesellschaften ereilt.
Trotz der Thematik haben Michael Wolfs Porträtaufnahmen nichts Verstörendes an sich, vermögen beim empathischen Betrachter höchstens ein wenig Unbehagen auszulösen. Dennoch kann er die Fotografien als schön empfinden: Schön ist ihre Farbigkeit, schön der Ausdruck der Gesichter, schön das Wasser am Waggonfenster, das die Menschen dahinter manchmal nur schemenhaft erkennen lässt.
Tokyo Compression ist Teil der Auseinandersetzung des Fotografen mit den Bedingungen und Phänomenen urbanen Lebens. Ist es in anderen Werkserien die in die Höhe strebende Architektur von Hong Kong oder Chicago, die Massen von Menschen schluckt und anonymisiert, spürt Wolf in Tokyo Compression der Ohnmacht und Vereinzelung des modernen Menschen innerhalb unseres hoch technisierten Lebensumfeldes nach.
Estella Kühmstedt
Michael Wolf wurde 1954 in München geboren und wuchs in Amerika auf. Er studierte ab 1972 an der Universität von Kalifornien sowie Bildjournalistik an der Folkwangschule in Essen bei Otto Steinert. Neben journalistischen Auftragsarbeiten für internationale Zeitschriften wie für den STERN arbeitet er für die Agentur Laif und realisiert seit Jahren eigene Projekte. Der renommierte Fotograf und Fotobuchautor lebte viele Jahre in Hong Kong und ist bestens bekannt mit der chinesischen Mentalität. Wolf gewann 2005 und 2010 den ersten Preis der World Press Photo Awards und ist nominiert für den Prix Pictet 2010 (Thema „Wachstum“) für das Werk Architecture of Density (Dichte-Architektur), das die Wolkenkratzer von Hong Kong zeigt. In seinem neuesten Projekt Paris Street View spürt Michael Wolf Privates auf der Weltkarte von Google auf.