Gabriele Senn

Kerstin von Gabain

26 Jan - 17 Mar 2007

KERSTIN VON GABAIN
"Backdrop"

Bemalte Planen, eine lautsprecherartige Skulptur, Dias von einem Freiluft-Musik-Event. Was Kerstin von Gabains Backdrop versammelt, nimmt sich wie ein kleiner Querschnitt durch das Grundinventar gelebter Popkultur aus. Dabei geht es ihr nicht um ein Zitieren bzw. Aus-dem-Zusammenhang-Reißen als vielmehr um den transformatorischen Akt – die Umformulierung bzw. Neuorganisation dieser Grundelemente zu einem installativen Ensemble. Backdrop bedient sich nicht so sehr an anderswo praktizierten und dort eigendynamisch funktionierenden Abläufen als dass sie diese Abläufe auf eine Art visuelles bzw. skulpturales Vokabular zurückverfolgt.
Ging mit der letzten größeren popmusikalischen Umwälzung – Rave, Techno, elektronische Musik – die Entwicklung neuer sozialer und räumlicher Organisationsformen einher, so ist dies, abgesehen von gerne bemühten DJ-Events, im aktuellen Kunstbetrieb bislang kaum wahrgenommen worden. Dabei kommen das Aufsuchen und Besetzen unerschlossener Territorien, wie dies die frühe Rave-Kultur initiiert hat und in ihren nicht-kommerziellen Ausläufern bis heute praktiziert wird, einem anfänglichen Impuls der Land Art durchaus nahe. „LAND IS EMPTY OF SQUAT ANYWAY“ – so die Aufschrift auf einer von Kerstin von Gabains Planen – liest sich wie der konzeptuelle Brückenschlag zwischen dem Diskurs eines Robert Smithson und einem illegal im Nirgendwo stattfindenden Rave.
Wichtig ist – und damit findet sich ein weiteres Ideologem der ursprünglichen Techno-Bewegung aufgegriffen – der Do-it-yourself-Gedanke. Nicht industriell oder maschinell gefertigt ist die dem klassischen Freiluft-Event-Design angelehnte Typografie der bemalten Planen, sondern mit handgearbeiteten Schablonen hergestellt. Nicht zuletzt durch diese anti-industrielle, in der Ausführung nicht perfekte Produktionsweise reiht sich von Gabain in den Zusammenhang von Selbstorganisation und Selbstermächtigung ein – so wie dies auch die Arbeit „FREE ART FOR FREE PEOPLE“, Artikulation eines frommen techno-utopischen Wunsches, unterstreicht.
Dass dieses utopische Moment längst von kommerziellen Club- und Event-Betreibern ad absurdum geführt worden ist, scheint von Gabains Konzentration auf elementares Formen- und Hintergrundinventar (worauf auch der Ausstellungstitel „Backdrop“ verweist) nicht weiter zu stören. Die abstrahierten und in Pressspan nachgebauten Lautsprecherboxen erinnern unter anderem daran, dass die Minimal Art und die moderne Popmusik mehr miteinander teilen als in der Kunst- und Kulturgeschichte bislang angenommen wurde. Und gerade weil der Pop- und Rockzirkus sich heute überwiegend in megalomanischen Inszenierungen ergeht, ist es umso nötiger, immer wieder auf die einfachen Basiskomponenten dieser Kultur hinzuweisen. So wie dies die simple geometrische Box, einfach handhabbar und relativ leicht transportabel, im Bereich selbst organisierter sozialer Zusammenkünfte immer noch ist.
Schließlich sind da noch die dokumentarischen Dias von Veranstaltungen, deren Formelemente Backdrop herauspräpariert: improvisierte Zeltstätten, temporär aufgeschlagene Lager, in die Landschaft montierte Durchgangsorte. Auch hier geht es Kerstin von Gabain weniger um eine 1:1-Wiedergabe, das Herholen aus anderen, entfernten Zusammenhängen, als dass sie transformatorisch bzw. abstrahierend mit dieser Formenwelt verfährt. Und so verwandeln sich windschiefe Zeltplanen in proto-psychedelische Grafiken, werden ephemere Erlebnisorte zu gekrümmten Räumen, deren Sogwirkung auch abseits des Events, am „Nicht-Ort“ der Galerie (wie Smithson gesagt hätte), beharrlich weiter
Christian Höller
 

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