Gebärden Und Ausdruck
17 Dec 2016 - 19 Feb 2017
GEBÄRDEN UND AUSDRUCK
17 December 2016 – 19 February 2017
Mit Arbeiten von Liz Craft, Michaela Eichwald, Fanal, Birke Gorm, Julia Haller, Honey Suckle Company, Helena Huneke, Stefan Kern, Kontakt Sappho, Veit Laurent Kurz & Ben Schumacher & Stefan Tcherepnin, pcnc_bay und Steit
„Gebärden und Ausdruck“ ist der zweite Teil einer 3-teiligen Ausstellungsreihe, die im Frühjahr dieses Jahres begonnen wurde und in 2017 weitergeführt werden soll. In ihr schreibt sich ein Interesse fort, das bereits Ausgangspunkt der Überlegungen zweier Ausstellungen in der Halle für Kunst war: Zum einen das Interesse am Moment der Ambiguität und Ambivalenz in der zeitgenössischen Kunst („Über das Radikale Nebeneinander“, 2014), zum anderen das an Kenneth Angers Vorstellung vom Film und damit von kultureller und künstlerischer Produktion als magisches Ritual, die konträr zu dem scheint, was sich heute als zutiefst zwiespältiges und ebenso fragwürdiges, von wirtschaftlichen und Machtinteressen durchsetztes Feld der Kunst zeigt („Magic Lantern Cycle“, 2015).
Während sich der erste Teil der Reihe dem Begriff Fantasie gewidmet hat, wendet sich der zweite nun dem Begriff Ausdruck zu; gefolgt von einem dritten Teil, der den Begriff Authentizität ins Blickfeld rücken wird. Alle drei Teile verstehen sich als ineinandergreifende Aspekte eines Nachdenkens über künstlerische Praxis und gründen in dem Versuch, Begriffe für jene Momente zu finden, die an künstlerischen Arbeiten interessant sind; also positiv zu benennen, was denn nun die Aspekte sind, die auf Interesse und Resonanz stoßen, und nicht nur in einer Negation zu formulieren, dass sich manch zeitgenössische Kunst zu sehr im Durchdeklinieren von Referenzen, im Aufrufen eines kritischen Impetus, in einem Diskurs geschulten Vokabular oder in der glatten Oberfläche erschöpft. Erstaunlich ist, dass bei diesem Versuch vor allem Begriffe ins Blickfeld rücken, die vornehmlich als obsolet und reaktionär gelten (Fantasie, Ausdruck, Authentizität). Was jedoch auch interessant ist, und zwar insofern als sich darin ein Begehren zu zeigen scheint, ebenjene Begriffe auch für zeitgenössische Kunst nutzbar zu machen, da mit ihnen offenbar etwas benannt werden kann, das mit dem Wesen und Mehrwert von Kunst zu tun hat; also etwas, das nicht nur Wissen und Erfahrung, sondern auch Intensitäten zu erzeugen vermag. Anliegen der Ausstellungsreihe ist es daher, sich den genannten Begriffen mit dem Bewusstsein von ihrer Aufgeladenheit und Fragwürdigkeit jenseits eines klischeehaften Verständnisses zu nähern, um zu gucken, wie weit und wohin man mit ihnen kommen kann. Allerdings hat sich die Gemengelage in den letzten Jahren verkompliziert. So sieht sich vor dem Hintergrund einer immer lauter werdenden Kritik an entleerten kritischen und politisierten Kunstpraktiken zwar das Aufrufen ebenjener Momente nicht mehr gleich dem Generalverdacht ausgesetzt, einem hoffnungslos altbackenen Kunstbegriff zuzuarbeiten, doch gilt es nun Sensibilitäten dafür zu entwickeln, dass sich im Zuge der Kritik am „Politischen als Stil“ (James Meyer) nicht eine „Neue Empfindsamkeit“, quasi eine „Intensität als Stil“ einschleicht; basierend auf der Reaktivierung einer auf das Formale beschränkten Vorstellung von der Autonomie der Kunst.
Während die Fantasie Grundlage jeglichen Erkennens bildet – denn die Seele denkt, so Aristoteles, nicht ohne Bilder – und rein imaginär bleiben kann, ist es hingegen das Wesen des Ausdrucks sinnlich in Erscheinung zu treten. Ausdruck oder etwas ausdrücken oder sich selber ausdrücken ist jedoch im Unterschied zum Zeichen, das entsprechend festgelegter Konventionen auf etwas hindeutet und benennt, nicht auf eine einfache Bezeichnungsbeziehung oder ein Repräsentationsmodell zurückführen. Vielmehr zeigt sich im Ausdruck eine latente und eben nicht explizite Bedeutung; eine Bedeutung also, die nicht über den Umweg des Sinnzusammenhangs, sondern unmittelbar erzeugt wird, die tendenziell unbestimmt, unabgeschlossen und unendlich ist. Diesem Moment des Unmittelbaren und Ungesättigten, dessen Annäherung ganz im Sinne des Ausdrucksverstehens keine Sache der Decodierung ist, gilt das die Ausstellung leitende Interesse. Wenn im Bezug auf die Fantasie galt, dass diese jeglicher künstlerischen Praxis zugrunde liege, da in ihr imaginäre Bilder mittels Einbildungskraft in reale überführt werden, so scheint diese Allgemeingültigkeit für den Ausdruck indes nicht zuzutreffen. Kann doch ein Gros an zeitgenössischer Kunst als reine Transformationsleistung, als reines Zeichen gesehen werden, das in einem einfachen Referenzmodell aufzugehen scheint. So zielt die Ausstellung explizit auf künstlerische Arbeiten, die gerade nicht in der Repräsentation ihre Voraussetzung finden. Auch wenn damit Momente des Unmittelbaren und Unabgeschlossenen im Vordergrund stehen, soll es jedoch nicht um künstlerische Praktiken gehen, die sich in einem reinen Ausagieren von Unmittelbarkeit erschöpfen. Zwar liegt das Augenmerk auf dem Unmittelbaren, ohne jedoch ausschließen zu wollen, dass es in den adressierten Arbeiten auch Ebenen gibt, die etwas Spezifisches meinen oder auf etwas Konkretes referieren. Wenn Ausdruck also ein zur Erfahrung Kommen ist, ihm jedoch keine Referenzbeziehung zugrunde liegt, so stellt sich die Frage, was oder wer sich da eigentlich ausdrückt, wenn sich etwas ausdrückt. Landläufig wird mit Ausdruck ganz essentialistisch ein Selbst verbunden, es kann sich aber auch etwas durch etwas anderes hindurch ausdrücken (bspw. durch ein Medium). Dabei dient das, durch das etwas ausgedrückt wird, als Instrument und markiert so die Kehrseite dessen, was Benjamin als ‚Sprachmagie‘ bezeichnet hat; wobei er unter ‚Sprache‘ sämtliche Äußerungen verstanden wissen will, sie also von jeglicher Wortgebundenheit loslöst. ‚Etwas durch etwas‘ ausdrücken unterscheidet sich demnach von ‚etwas in etwas‘ ausdrücken. Ist mit dem ersten ein instrumenteller Gebrauch gemeint, durch den Informationen und Inhalte mitgeteilt werden, so bezieht sich das zweite auf jene Ebene des Sprechens, bei der eine vom Sinn unabhängige Bedeutung erzeugt wird. Diese ist, auch wenn sie mit dem Inhalt des Gesagten nicht übereinstimmen muss, ja sogar über das Gesagte hinausgehen kann, dennoch der Sprache implizit und teilt sich in ihr unmittelbar mit. Diese Idee der Sprachmagie, die auch als ‚Ausdrucksmagie‘ bezeichnet werden kann, scheint im Kontext der Ausstellung gerade deshalb interessant, da mit ihr der Versuch unternommen wird, die Wirksamkeit des Ausdrucks daraufhin zu denken, dass sich im Ausgedrückten eben etwas anderes zeigt als das Repräsentierte. Ausdruck kann aber auch aufgeführt werden (etwa im Schauspiel), wobei sich diese Form des Ausdrucks von der zuvor beschriebenen unterscheidet. Sind doch unter anderem die Gefühle, die von den Schauspieler/innen gezeigt werden, nicht zwangsläufig auch ihre, sondern werden lediglich in Szene gesetzt, verdanken sich mithin einer bestimmten Regeln folgenden Übersetzung. Eine ähnliche, nicht mit sich selbst identische Exemplifikation kann auch für künstlerische Werke gelten. Können diese doch beispielsweise Traurigkeit ausdrücken, ohne dass sie selbst traurig sind (oder auch nur traurig sein könnten) wie auch die Künstler/innen nicht zwangsläufig Traurigkeit empfunden haben müssen, um die Werke anzufertigen. Dies bedeutet, dass der Gegenstand, um eine Eigenschaft ausdrücken zu können, diese nicht auch tatsächlich haben muss. Er kann sie allein metaphorisch, muss sie aber eben nicht buchstäblich besitzen. Folglich kann Ausdruck auch Effekt sein. Dies heißt aber nicht, dass er dadurch auch ‚unwahr‘ ist. Stellt sich doch angesichts der Bedingt- und Konstruiertheit von Subjekten ohnehin die Frage, ob letztlich nicht jede Ausdrucksäußerung konstituierenden Bedingungen unterliegt, es demnach also gar keinen „wahren“ (aber eben auch keinen „unwahren“) Ausdruck geben kann. Was wiederum bedeutet, dass jede Vorstellung von Substanz oder Essenz ins Leere laufen muss. Ausdruck ist also an keine Substanz gebunden, obgleich er relational ist und sich auf etwas zurueckführen lässt. Wenn also vom Selbst die Rede ist (etwa das Selbst des Künstlers oder das Selbst des Werkes), ist damit eben nicht ein authentisches, ungebrochenes, mit sich selbst eins seiendes, sprich ein nicht konstruiertes gemeint. Um dieser Ambivalenz gerecht zu werden, aber auch um Ausdruck als etwas über den intendierten Sinn Hinausgehendes, tendenziell Unbestimmtes nicht aufgeben zu muessen, muss beides, d.h. Ausdruck und Konstruktion, zusammengedacht werden. In diesem Versuch scheint eine Nähe zu den Riten der Besessenheit auf, denn auch diese sind, so Michel Leiris, ein zwiespältiger Zustand, bei dem das Verhalten des Besessenen sowohl von echter Beteiligung als auch von an Konventionen geschulten Ausdrucksformen (etwa die Art wie die Besessenen den sie in Besitz nehmenden Geist zu verkörpern haben) gekennzeichnet ist. Obwohl die Besessenheit sich folglich als ein letztlich kontrolliertes Unterfangen erweist, bedeutet die Regulierung und Formalisierung des Besessenseins jedoch nicht, dass es auch in allen Stücken künstlich fabriziert ist. Denn das Interessante und Entscheidende liegt gerade darin, dass die Besessenen zwar eine Rolle spielen, dies aber in dem Glauben, dass sie unter Einwirkung einer tatsächlichen Macht ständen. Etwas Sein und etwas Darstellen ist hier also kein Widerspruch. Vielmehr fallen Täuschung und reale Bekundung in eins, so dass das Besessensein als gelebtes und nicht als gespieltes Theater zu begreifen ist. Denn wäre es reines Theater, wäre es folgenlos. Es wird jedoch von einem Moment des Magischen getragen, bei dem die Wirkung das Register der sie verursachenden Handlungen übersteigt. Interessant scheint in diesem Zusammenhang, dass auch der Expressionismus – seinem Namen nach der Expression verpflichtet – von einem Ineinanderfallen von Konstruktion und Expression und damit von einer Auflösung ihrer scheinbaren Gegensätzlichkeit gekennzeichnet ist. Expressive Kunst kann eine sehr stark konstruierte sein, wenn auch keinen vorgegebenen, kanonischen Regeln folgend, sondern Regeln, die ihren Ursprung in ihr selbst finden und nicht andernorts entlehnt sind. Ausdruck ist hier also an eine relative Autonomie gebunden. Ein weiterer Aspekt des Expressionismus ist es, dass sich bei ihm der Ausdruck in den Arbeiten als Ganzes zeigt, das heißt in bestimmten Eigenschaften, die sie als realisierte Konstellationen aufweisen, und nicht in vereinzelten Zeichen, die an etwas Auszusagendes rückzubinden sind. Da fuer den Expressionismus also das relevant ist, was ausgelöst, und nicht das, was ausgesagt wird, erweist er sich vom Zwang zur Narration ebenso befreit wie vom vorgefertigten Zeichen. Folglich könnte in seinen Prämissen auch eine Antwort auf die Frage liegen, ob und wie sich jenseits von Referenz sowie Fest- und Zuschreibung sprechen ließe. Unabhängig all dieser Überlegungen ist Ausdruck jedoch zuallererst einmal ein in Beziehungtreten und weist Momente der Begegnung und Kommunikation auf. Denn der Mensch bringt sich, so Benjamin, in der ‚Sprache‘ zum Ausdruck, teilt sich mit und zwar dem Anderen mit. Damit liegt im Ausdruck der Zugang zum Anderen, wird uns dieser im Ausdruck erst gegenwärtig. Denn sich ausdrücken lässt sich nicht delegieren. Der Mensch kann zwar von anderen repräsentiert, aber eben nicht ausgedrückt werden. Und in dieser Bezugnahme, in diesem sich an und auf den Anderen (Aus)Richten liegt denn vermutlich auch jene Intensität begründet, die der Ausdruck jenseits von Mitteilung und Aussage zu erzeugen vermag.
(Stefanie Kleefeld)
17 December 2016 – 19 February 2017
Mit Arbeiten von Liz Craft, Michaela Eichwald, Fanal, Birke Gorm, Julia Haller, Honey Suckle Company, Helena Huneke, Stefan Kern, Kontakt Sappho, Veit Laurent Kurz & Ben Schumacher & Stefan Tcherepnin, pcnc_bay und Steit
„Gebärden und Ausdruck“ ist der zweite Teil einer 3-teiligen Ausstellungsreihe, die im Frühjahr dieses Jahres begonnen wurde und in 2017 weitergeführt werden soll. In ihr schreibt sich ein Interesse fort, das bereits Ausgangspunkt der Überlegungen zweier Ausstellungen in der Halle für Kunst war: Zum einen das Interesse am Moment der Ambiguität und Ambivalenz in der zeitgenössischen Kunst („Über das Radikale Nebeneinander“, 2014), zum anderen das an Kenneth Angers Vorstellung vom Film und damit von kultureller und künstlerischer Produktion als magisches Ritual, die konträr zu dem scheint, was sich heute als zutiefst zwiespältiges und ebenso fragwürdiges, von wirtschaftlichen und Machtinteressen durchsetztes Feld der Kunst zeigt („Magic Lantern Cycle“, 2015).
Während sich der erste Teil der Reihe dem Begriff Fantasie gewidmet hat, wendet sich der zweite nun dem Begriff Ausdruck zu; gefolgt von einem dritten Teil, der den Begriff Authentizität ins Blickfeld rücken wird. Alle drei Teile verstehen sich als ineinandergreifende Aspekte eines Nachdenkens über künstlerische Praxis und gründen in dem Versuch, Begriffe für jene Momente zu finden, die an künstlerischen Arbeiten interessant sind; also positiv zu benennen, was denn nun die Aspekte sind, die auf Interesse und Resonanz stoßen, und nicht nur in einer Negation zu formulieren, dass sich manch zeitgenössische Kunst zu sehr im Durchdeklinieren von Referenzen, im Aufrufen eines kritischen Impetus, in einem Diskurs geschulten Vokabular oder in der glatten Oberfläche erschöpft. Erstaunlich ist, dass bei diesem Versuch vor allem Begriffe ins Blickfeld rücken, die vornehmlich als obsolet und reaktionär gelten (Fantasie, Ausdruck, Authentizität). Was jedoch auch interessant ist, und zwar insofern als sich darin ein Begehren zu zeigen scheint, ebenjene Begriffe auch für zeitgenössische Kunst nutzbar zu machen, da mit ihnen offenbar etwas benannt werden kann, das mit dem Wesen und Mehrwert von Kunst zu tun hat; also etwas, das nicht nur Wissen und Erfahrung, sondern auch Intensitäten zu erzeugen vermag. Anliegen der Ausstellungsreihe ist es daher, sich den genannten Begriffen mit dem Bewusstsein von ihrer Aufgeladenheit und Fragwürdigkeit jenseits eines klischeehaften Verständnisses zu nähern, um zu gucken, wie weit und wohin man mit ihnen kommen kann. Allerdings hat sich die Gemengelage in den letzten Jahren verkompliziert. So sieht sich vor dem Hintergrund einer immer lauter werdenden Kritik an entleerten kritischen und politisierten Kunstpraktiken zwar das Aufrufen ebenjener Momente nicht mehr gleich dem Generalverdacht ausgesetzt, einem hoffnungslos altbackenen Kunstbegriff zuzuarbeiten, doch gilt es nun Sensibilitäten dafür zu entwickeln, dass sich im Zuge der Kritik am „Politischen als Stil“ (James Meyer) nicht eine „Neue Empfindsamkeit“, quasi eine „Intensität als Stil“ einschleicht; basierend auf der Reaktivierung einer auf das Formale beschränkten Vorstellung von der Autonomie der Kunst.
Während die Fantasie Grundlage jeglichen Erkennens bildet – denn die Seele denkt, so Aristoteles, nicht ohne Bilder – und rein imaginär bleiben kann, ist es hingegen das Wesen des Ausdrucks sinnlich in Erscheinung zu treten. Ausdruck oder etwas ausdrücken oder sich selber ausdrücken ist jedoch im Unterschied zum Zeichen, das entsprechend festgelegter Konventionen auf etwas hindeutet und benennt, nicht auf eine einfache Bezeichnungsbeziehung oder ein Repräsentationsmodell zurückführen. Vielmehr zeigt sich im Ausdruck eine latente und eben nicht explizite Bedeutung; eine Bedeutung also, die nicht über den Umweg des Sinnzusammenhangs, sondern unmittelbar erzeugt wird, die tendenziell unbestimmt, unabgeschlossen und unendlich ist. Diesem Moment des Unmittelbaren und Ungesättigten, dessen Annäherung ganz im Sinne des Ausdrucksverstehens keine Sache der Decodierung ist, gilt das die Ausstellung leitende Interesse. Wenn im Bezug auf die Fantasie galt, dass diese jeglicher künstlerischen Praxis zugrunde liege, da in ihr imaginäre Bilder mittels Einbildungskraft in reale überführt werden, so scheint diese Allgemeingültigkeit für den Ausdruck indes nicht zuzutreffen. Kann doch ein Gros an zeitgenössischer Kunst als reine Transformationsleistung, als reines Zeichen gesehen werden, das in einem einfachen Referenzmodell aufzugehen scheint. So zielt die Ausstellung explizit auf künstlerische Arbeiten, die gerade nicht in der Repräsentation ihre Voraussetzung finden. Auch wenn damit Momente des Unmittelbaren und Unabgeschlossenen im Vordergrund stehen, soll es jedoch nicht um künstlerische Praktiken gehen, die sich in einem reinen Ausagieren von Unmittelbarkeit erschöpfen. Zwar liegt das Augenmerk auf dem Unmittelbaren, ohne jedoch ausschließen zu wollen, dass es in den adressierten Arbeiten auch Ebenen gibt, die etwas Spezifisches meinen oder auf etwas Konkretes referieren. Wenn Ausdruck also ein zur Erfahrung Kommen ist, ihm jedoch keine Referenzbeziehung zugrunde liegt, so stellt sich die Frage, was oder wer sich da eigentlich ausdrückt, wenn sich etwas ausdrückt. Landläufig wird mit Ausdruck ganz essentialistisch ein Selbst verbunden, es kann sich aber auch etwas durch etwas anderes hindurch ausdrücken (bspw. durch ein Medium). Dabei dient das, durch das etwas ausgedrückt wird, als Instrument und markiert so die Kehrseite dessen, was Benjamin als ‚Sprachmagie‘ bezeichnet hat; wobei er unter ‚Sprache‘ sämtliche Äußerungen verstanden wissen will, sie also von jeglicher Wortgebundenheit loslöst. ‚Etwas durch etwas‘ ausdrücken unterscheidet sich demnach von ‚etwas in etwas‘ ausdrücken. Ist mit dem ersten ein instrumenteller Gebrauch gemeint, durch den Informationen und Inhalte mitgeteilt werden, so bezieht sich das zweite auf jene Ebene des Sprechens, bei der eine vom Sinn unabhängige Bedeutung erzeugt wird. Diese ist, auch wenn sie mit dem Inhalt des Gesagten nicht übereinstimmen muss, ja sogar über das Gesagte hinausgehen kann, dennoch der Sprache implizit und teilt sich in ihr unmittelbar mit. Diese Idee der Sprachmagie, die auch als ‚Ausdrucksmagie‘ bezeichnet werden kann, scheint im Kontext der Ausstellung gerade deshalb interessant, da mit ihr der Versuch unternommen wird, die Wirksamkeit des Ausdrucks daraufhin zu denken, dass sich im Ausgedrückten eben etwas anderes zeigt als das Repräsentierte. Ausdruck kann aber auch aufgeführt werden (etwa im Schauspiel), wobei sich diese Form des Ausdrucks von der zuvor beschriebenen unterscheidet. Sind doch unter anderem die Gefühle, die von den Schauspieler/innen gezeigt werden, nicht zwangsläufig auch ihre, sondern werden lediglich in Szene gesetzt, verdanken sich mithin einer bestimmten Regeln folgenden Übersetzung. Eine ähnliche, nicht mit sich selbst identische Exemplifikation kann auch für künstlerische Werke gelten. Können diese doch beispielsweise Traurigkeit ausdrücken, ohne dass sie selbst traurig sind (oder auch nur traurig sein könnten) wie auch die Künstler/innen nicht zwangsläufig Traurigkeit empfunden haben müssen, um die Werke anzufertigen. Dies bedeutet, dass der Gegenstand, um eine Eigenschaft ausdrücken zu können, diese nicht auch tatsächlich haben muss. Er kann sie allein metaphorisch, muss sie aber eben nicht buchstäblich besitzen. Folglich kann Ausdruck auch Effekt sein. Dies heißt aber nicht, dass er dadurch auch ‚unwahr‘ ist. Stellt sich doch angesichts der Bedingt- und Konstruiertheit von Subjekten ohnehin die Frage, ob letztlich nicht jede Ausdrucksäußerung konstituierenden Bedingungen unterliegt, es demnach also gar keinen „wahren“ (aber eben auch keinen „unwahren“) Ausdruck geben kann. Was wiederum bedeutet, dass jede Vorstellung von Substanz oder Essenz ins Leere laufen muss. Ausdruck ist also an keine Substanz gebunden, obgleich er relational ist und sich auf etwas zurueckführen lässt. Wenn also vom Selbst die Rede ist (etwa das Selbst des Künstlers oder das Selbst des Werkes), ist damit eben nicht ein authentisches, ungebrochenes, mit sich selbst eins seiendes, sprich ein nicht konstruiertes gemeint. Um dieser Ambivalenz gerecht zu werden, aber auch um Ausdruck als etwas über den intendierten Sinn Hinausgehendes, tendenziell Unbestimmtes nicht aufgeben zu muessen, muss beides, d.h. Ausdruck und Konstruktion, zusammengedacht werden. In diesem Versuch scheint eine Nähe zu den Riten der Besessenheit auf, denn auch diese sind, so Michel Leiris, ein zwiespältiger Zustand, bei dem das Verhalten des Besessenen sowohl von echter Beteiligung als auch von an Konventionen geschulten Ausdrucksformen (etwa die Art wie die Besessenen den sie in Besitz nehmenden Geist zu verkörpern haben) gekennzeichnet ist. Obwohl die Besessenheit sich folglich als ein letztlich kontrolliertes Unterfangen erweist, bedeutet die Regulierung und Formalisierung des Besessenseins jedoch nicht, dass es auch in allen Stücken künstlich fabriziert ist. Denn das Interessante und Entscheidende liegt gerade darin, dass die Besessenen zwar eine Rolle spielen, dies aber in dem Glauben, dass sie unter Einwirkung einer tatsächlichen Macht ständen. Etwas Sein und etwas Darstellen ist hier also kein Widerspruch. Vielmehr fallen Täuschung und reale Bekundung in eins, so dass das Besessensein als gelebtes und nicht als gespieltes Theater zu begreifen ist. Denn wäre es reines Theater, wäre es folgenlos. Es wird jedoch von einem Moment des Magischen getragen, bei dem die Wirkung das Register der sie verursachenden Handlungen übersteigt. Interessant scheint in diesem Zusammenhang, dass auch der Expressionismus – seinem Namen nach der Expression verpflichtet – von einem Ineinanderfallen von Konstruktion und Expression und damit von einer Auflösung ihrer scheinbaren Gegensätzlichkeit gekennzeichnet ist. Expressive Kunst kann eine sehr stark konstruierte sein, wenn auch keinen vorgegebenen, kanonischen Regeln folgend, sondern Regeln, die ihren Ursprung in ihr selbst finden und nicht andernorts entlehnt sind. Ausdruck ist hier also an eine relative Autonomie gebunden. Ein weiterer Aspekt des Expressionismus ist es, dass sich bei ihm der Ausdruck in den Arbeiten als Ganzes zeigt, das heißt in bestimmten Eigenschaften, die sie als realisierte Konstellationen aufweisen, und nicht in vereinzelten Zeichen, die an etwas Auszusagendes rückzubinden sind. Da fuer den Expressionismus also das relevant ist, was ausgelöst, und nicht das, was ausgesagt wird, erweist er sich vom Zwang zur Narration ebenso befreit wie vom vorgefertigten Zeichen. Folglich könnte in seinen Prämissen auch eine Antwort auf die Frage liegen, ob und wie sich jenseits von Referenz sowie Fest- und Zuschreibung sprechen ließe. Unabhängig all dieser Überlegungen ist Ausdruck jedoch zuallererst einmal ein in Beziehungtreten und weist Momente der Begegnung und Kommunikation auf. Denn der Mensch bringt sich, so Benjamin, in der ‚Sprache‘ zum Ausdruck, teilt sich mit und zwar dem Anderen mit. Damit liegt im Ausdruck der Zugang zum Anderen, wird uns dieser im Ausdruck erst gegenwärtig. Denn sich ausdrücken lässt sich nicht delegieren. Der Mensch kann zwar von anderen repräsentiert, aber eben nicht ausgedrückt werden. Und in dieser Bezugnahme, in diesem sich an und auf den Anderen (Aus)Richten liegt denn vermutlich auch jene Intensität begründet, die der Ausdruck jenseits von Mitteilung und Aussage zu erzeugen vermag.
(Stefanie Kleefeld)