Jacky Strenz

Max Brand

07 May - 16 Jul 2011

© Max Brand
untitled, 2011
Oil paint, acrylic paint, aerosol lacquer,
fineliner, felt, pen, chalk, china ink,
cotton on fabric
160 x 130 cm; 62,9 x 51,1 inches
MAX BRAND
Meine Gedanken
7 May - 16 July, 2011

Schlechte Sichtverhältnisse. Der Blick von der Straße wird von einem Vorhang getrübt. Die mangelnde Transparenz ist Absicht, ist doch der Ausstellungsraum nichts weniger als die Veranschaulichung einesGehirns, und als solches bekanntlich von außen nur bedingt einsehbar.
Einmal eingetreten, bietet sich die unverstellte Sicht auf zwei- und dreidimensionale Äquivalente für „Meine Gedanken“. „Seine“ genaugenommen, doch Besitzverhältnisse sind hier zweitrangig, denn die Metaphern, die Max Brand für Denkprozesse findet, sind grundsätzlicher Natur und daher übertragbar. Tatsächlich sind eskollektive Strukturen, die seine Bilder nachzeichnen. Wer jemals das eigene Denken beobachtet hat, wird Ähnlichkeiten feststellen zwischen Gedanken- und Bildfiguren. So lassen sich Brands Gemälde als Visualisierung des Denkens betrachten.
Ob detailreich oder verkehrsberuhigt – auf sämtlichen Arbeiten finden sich Schemen von Mensch, Tier und Pflanze. Oszillierend zwischen Karikatur und Piktogramm weisen sie gerade eben genug Ähnlichkeit mit Bekanntem auf, um als Chiffre identifiziert zu werden, ohne aber den Anspruch eines Abbilds zu erheben. Solche Klischees der sichtbaren Realität verdeutlichen den Unterschied zwischen Denken und Wahrnehmen. Im sinnlichen Kontakt erleben wir Phänomene in ihrer Komplexität. Denkend aber aktivieren wir lediglichden diskursiven Rest dieser vielschichtigen, weil ästhetischen Erfahrung. Da das eigentliche Erlebnis rationalnicht fassbar ist, bleibt im Bildgedächtnis lediglich der Umriss einer ursprünglichen Fülle, bestehend auswiederkehrenden Charakteristika: Auge und Hand, Schnabel und Schnauze – die Vielfalt der Vegetation auf eine Pril-Blume geschrumpft. Die kindliche Handschrift der Kürzel verweist auf die Tatsache, dass die in der Kindheit gespeicherten visuellen Eindrücke die Grundlage aller späteren Wahrnehmung bilden.
Doch da sich subjektives Erleben und der daraus gebildete Vorrat von Sinneseindrücken innerhalb eines kulturellen Kontextes vollzieht, der bereits frühe Prägungen mitgestaltet, bevorzugt Brand Bildträger mit sichtbarer Geschichte – bedruckte Stoffe, vom Maler gefunden, dabei aber eher ausgewählt als aufgelesen.
Die so angedeutete Gegenwart des Vergangenen scheint auch in der erkennbaren Vielschichtigkeit der Gemälde auf, deren aktuelle Erscheinung lediglich die letzte vorhergehender Stufen darstellt. Letztere lassen sich mit unbewaffnetem Auge erkennen, ganz so, wie auch aktuelle Gedanken ihre eigene Entstehungsgeschichte nur notdürftig verbergen. Doch während wir uns selten zurückliegender Überlegungenbewusst sind, die zum gegenwärtigen Erleben beigetragen haben, schieben sich in Brands Bildern „unterbewusste Inhalte“ durch die oberste Schicht des Bildträgers. Palimpsestartig schimmern halbherzig übertönte Farben und modifizierte Formen durch die labile Oberfläche und berichten von der Macht der Geschichte.
Jede Leinwand enthält eine Vielzahl visueller Metaphern für Entstehung und Wandlung von Denkprozessen. Während die wenigsten Verbindungen gerade, d.h. folgerichtig verlaufen, dominieren tastende, planlos mäandernde Linien das Terrain. Sie beginnen zaghaft oder grandios, stottern, verblassen, leuchten auf, schleichen aus, brechen ab, kreuzen, schließen und verknoten sich. Zuweilen treten sie auf der Stelle, umfahren die einmal geglückte Form wieder und wieder – Lieblingsgedanken, die wir immer dann zitieren, wenn uns zu neuen Problemen nichts Neues einfallen will.
Die Kombination flüchtiger und ausgearbeiteter Zonen vermittelt den Eindruck beständiger Unbeständigkeit. Ähnlich wie wechselnde Geistesverfassungen liegen grelle, mitunter krasse Passagen neben wolkigen Gebilden, in denen die Mischung vieler Farben zu vager Dumpfheit, das Verknüpfen vieler Fäden ins Dickicht geführt hat. Die Applikation zusätzlicher Textilien und der stellenweise pastose Farbauftrag erweitert die eigentlich unzulässige Verflachung geistiger Aktivität in die dritte Dimension. Zugelassene und herbeigeführte Spuren von Alterungsprozessen bringen die vierte Dimension der Zeit ins – buchstäbliche -Spiel.

Einzig gemeinsames Merkmal von Farbe und Material ist ihre gleichzeitige Anwesenheit in diesem Bild– bzw. Kopfträger. Organisches und Synthetisches, Schrilles und Zartes stehen so unvermittelt nebeneinander wie widersprüchliche Gedanken. Dieses Zusammentreffen des Disparaten spitzt sich in den Skulpturen zu: Die Mischung von Gips und Gießharz veranschaulicht die Gleichzeitigkeit von Transparenz und Dichte, von geistiger Klar- und Trübheit. Die von einem Tau umwundene Hirnform weckt Zweifel am vermeintlich grenzenlosen geistigen Entwicklungspotential. Die lediglich an einer Außenseite bemalte, graue Materie1 hingegen erinnert an das proportionale Verhältnis von erforschten und unerforschten Hirnfunktionen.
Farbenfroh, verwickelt und mit hartnäckig unbekanntem Inhalt thront ein geheimnisvolles Bündel wie eineuneinnehmbare Festung inmitten eines kristallklar überschaubaren Milieus: der nicht auflösbare Rest – das Hirn - umgeben von allem, was es schon weiß.

His thoughts

OnPoor vision. The view of the street is obscured by a curtain. The lack of transparency is deliberate; the exhibition space is after all nothing less than the visualisation of a brain and as such is only partially visible from outside. Once entered, the universal view of two and three-dimensional equivalents for “My Thoughts” opens up. “His” to be exact, but relations of property are secondary here for the metaphors that Max Brand finds for thought processes are of a fundamental nature and therefore transferable. These are actually collective structures that his pictures trace. Anyone who has ever observed his own thinking will draw similarities between images and thoughts. Brand’s paintings can therefore be viewed as the visualisation of thought.

Whether rich in detail or reduced of traffic – on all the works schemes of humans, animals and plants can be found. Oscillating between caricature and pictogram, they show just enough similarity with the known to be identified as a code, without holding any claim to depiction. Such clichés of visible reality emphasize the difference between thought and perception. In sensual contact we experience phenomena in their complexity. Thinking, we only activate the discursive remnants of this many-layered, because aesthetic, experience. As the actual experience is not rationally comprehensible, only the outline of an original abundance remains in the visual memory, consisting of recurring characteristics: eye and hand, beak and snout – the diversity of vegetation reduced to an Ariel flower. The child-like handwriting and initials point to the fact that the visual impressions saved in childhood build the foundations for all later perceptions.

But as subjective experience, and the store of sensory impressions formed from this, takes place within a cultural context which helps form even early conditioning, Brand privileges images with visible history – printed fabrics found by the painter, though chosen rather than simply picked up. The presence of the past hinted at here also appears in the recognisably multiple-layered paintings, whose current appearance represents only the final of many steps. These can be recognised with the naked eye, just as current thoughts only scantily hide the history of their formation. Though while we are seldom conscious of past considerations that have contributed to what we presently experience, “subconscious contents” push through the top layer of the picture carrier, like a palimpsest overtoned colours and modified forms shine through the unstable façade and report on the power of history.

Every canvas contains a multitude of visual metaphors for creation and change of thought processes. While only few connections run straight or sequentially, grasping, aimlessly meandering lines dominate the terrain. They begin hesitantly or grandly, stutter, fade, light up, run out, break up, cross and tangle. Occasionally they jog on the spot then encircle a successful shape again and again – favoured thoughts that we repeatedly quote when we have no new answer to a new problem.

The combination of fleeting and elaborate zones gives the impression of constant inconsistency. Similar to changing moods, bright, even garish passages lie next to cloudy forms in which the mixture of many colours, the joining of many threads, has resulted in a thicket. The application of additional textiles and in places the pastose handling of paint broadens the utterly inadmissible flattening of mental activity in the third dimension. Admissible and deliberate marks of aging processes bring the fourth dimension of time into – literally – the game.

A common trait of both colour and material is their simultaneous presence in this picture carrier and mental carrier. The organic and synthetic, the loud and the delicate stand as close together as contradictory thoughts. This collision of disparities comes to a head in the sculptures: the mixture of plaster and resin visualises the simultaneity of transparency and opacity, of mental clarity and dimness. The brain form entwined with rope awakens doubts about the supposedly boundless potential for mental development. Materie 1, painted only on one external side reminds us of the proportional relations of explored and unexplored brain function. Brightly coloured, entwined and with stubbornly unknown content, a secretive bundle thrones an impregnable fortress in the centre of a clear and undemanding milieu: the interminable remnant – the brain – surrounded by everything that it already knows.
 

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