Kadel Willborn

Benedikt Hipp

22 Nov - 21 Dec 2007

© Benedikt Hipp
Leihhaus, 2007, oil on wood, 176 x 135,5 cm
BENEDIKT HIPP
"Leihhaus"

22.11.2007 - 21.12.2007

Benedikt Hipp ist ein Künstler, der nicht primär an Kunst interessiert ist. Das klingt zunächst einmal modisch: Koketterie mit der Nicht-Kunst-als-Kunst, der zunehmend dröge running gag der musealen Kultur seit Duchamp. Bei Hipp verhält es sich ein wenig anders. Kunst interessiert ihn nur insofern, als sie eine dienende Rolle erfüllt. Dienend wem? Dienend dem Kult.
Doch gemach! Damit sind nicht etwa jene Rituale gemeint, bei welchen bleiche junge Männer im Mondschein Jungfrauen opfern. Auch nicht der zeitgenössische Kult um die Kunst als das „Sonntagsgesicht der Gier“ (Peter Sloterdijk). Etymologisch leitet sich „Kult“ vom lateinischen Substantiv cultus (Pflege, Bildung) und dem Verb colere (bebauen, bewohnen) her. In der Ära, welche wir die heroische Moderne nennen, wollten die Künstler tatsächlich reale Orte bauen und bewohnbar machen, sprich: kultivieren. Suprematisten, Surrealisten und Futuristen träumten nicht so sehr vom komfortablen Altenteil im White Cube, sondern hofften auf die Revolutionierung des sozialen und politischen Lebens. Die Kunst wollte wirken – nicht nur auf der Leinwand und der spiegelnden Bronze. Erst seit der postmodernen Pop-Art gaben sich die Künstler wieder vermehrt systemimmanent und affirmativ. Andy Warhol bevorzugte Suppe statt Erlösung.
Benedikt Hipps Ölgemälde stellen eine komplexe Auseinandersetzung mit dem Erbe der heroischen Moderne dar. Der postmoderne Streichelzoo vermag den Künstler weniger zu fesseln. So greift in seinem Gemälde Das Vermächtnis (2007) eine menschliche Figur in ein schwarzes Quadrat, als versuche sie zu ertasten, was sich dahinter verbirgt. Sie scheint sich zu fragen: Was steckte hinter Malewitsch? Bei Hipp gibt der Bildhintergrund die Antwort: nichts als eine weitere schwarze Fläche. Die Verführung und das Geheimnis bestanden darin, dass es kein Geheimnis gab.
In Momenten wie diesem wird deutlich, dass Hipp zwar der Tradition der heroischen Moderne nachspürt und fasziniert ist von ihrer auratischen Kraft, die quasi-religiöse Aufladung jedoch vermeidet. Zugleich entzieht er sich postmoderner Selbstreferenzialität und Subjektverdrossenheit. Es geht nicht mehr um das „Ganze“, doch es geht auch nicht um den „Tod des Autors“. Im Zentrum aller Gemälde steht der Einzelne, das Subjekt. Selten zeigen die Leinwände mehr als eine Figur. Selbst eine Blume tritt bei Hipp nie als Teil eines Straußes, sondern stets isoliert auf.
Meist sind die Bildelemente vor einem schwarzen Hintergrund positioniert. Wir könnten dieses Dunkel als Statthalter des „Offenen“ deuten, welches sich für Martin Heidegger einzig der menschlichen Existenz zu erkennen gibt. Und wie sich das in Hipps Arbeiten wiederkehrende Motiv des Zeltdachs nach oben öffnet, so öffnen sich die Gemälde gleichsam nach hinten. Nicht mehr auf eine bessere Welt, sondern auf eine, in der sich der Einzelne immer wieder aufs Neue behaupten und erfinden muss. „Denn Menge ist Unwahrheit“, wie Kierkegaard schrieb.
Mit dieser Verortung des Einzelnen im Offenen knüpft Hipp an eine maßgebliche Idee der abendländischen Moderne an, die wenig zu tun hat mit ihren späten heroischen und utopischen Kollektivierungsversuchen. Die Rede ist von der großen Erzählung vom autonomen Subjekt, das sich in der Neuzeit aus dem Fatalismus seiner Geburt löste um sich selbst zu zeugen. Heidegger brachte die Konsequenz dieser Entwicklung in einem Satz auf den Punkt, der für die französischen Existentialisten zentral wurde: „L'homme se fait“.
In den Gemälden von Benedikt Hipp existiert dieser „homme“ weiterhin, doch er erobert nicht wie neuzeitliche Über-Subjekte à la Hernán Cortés ganze Kontinente, er bietet seine Kunst nicht wie André Breton zur Weltenrettung feil. Er unterlässt es auch, wie die Existentialisten „persönliche Sorgen zu philosophischen Problemen“ (Claude Levi-Strauss) zu erheben. Hipps Gestus ist nüchterner, distanzierter. Er sucht ästhetische Nischen in der konsolidierten Konsumkultur. Seine Hybris ist bescheiden. Hier lässt Zarathustra mit den letzten Menschen die Gläser erklingen, Herakles verlängert seinen süßen Sklavendienst bei Omphale auf unbestimmte Zeit.
In keinem Gemälde wird dies so deutlich wie in Kleines Riesenrad (2007). Hipp reflektiert darin subtil unsere Alltagswelt, die selbst Züge einer gigantischen Plastik angenommen hat. Eine bunte Lichterkette umschließt das Gemälde, gleichsam als Metapher für die nie endende Kirmes des Konsums. Die Kunst steht nicht mehr außerhalb des Spektakels, sie lebt innerhalb der „société du spectacle“ und muss dort neue Strategien des colere (bebauen, bewohnen) finden. Ungeachtet einer gewissen Wehmut, welche das Gemälde verströmt, agitiert Hipp nicht gegen den Markt. Er agiert im Markt. Dort entdeckt er für sich und seine Kunst genügend Spielraum für einen cultus. Man erinnere sich: Erst die Genesis der „freien“ Märkte ermöglichte die Genesis der „freien“ Kunst...
In Die große Hoffnuung (2007)) ironisiert der Titel eine Phalanx geometrisch angeordneter Farbfelder, Relikte der heroischen Moderne, als die Abstraktion auf radikale Neuerung hoffen ließ. Zugleich deutet die Komposition in Anspielung auf den Militarismus vieler Avantgardisten die Form eines Eisernen Kreuzes an. Im Zentrum des Kreuzes: Schwarz/Weiß, Entweder/Oder.
Bei Hipp gibt es kein Entweder/Oder. Abstrakte und gegenständliche Elemente sind ineinander verzahnt. Etwa im Gemälde Leihhaus (2007), wo ein menschlicher Kopf einen ornamentalen Baukörper krönt. Die Grabenkämpfe sind vorüber. Jene müden Scharmützel zwischen den Gralshütern der Abstraktion und denen der Gegenständlichkeit, welche auch heute noch in regelmäßigen Abständen aufflackern, bieten nur mehr Abenteuer für Sandkastengeneräle.
Hipp geht es um den „Dritten Weg“ zwischen der Anmaßung der heroischen Moderne und der Unverbindlichkeit der Postmoderne. Um diesen Weg besser zu verstehen, könnte man seine Ästhetik mit Heideggers Essay „Der Ursprung des Kunstwerks“ (1935/36) vergleichen. Heidegger entwickelt darin aus traditionellen, ja hintermondig anmutenden Motiven (dem griechischen Tempel, van Goghs „Bauernschuhen“) einen einerseits elitär-entrückten, andererseits jedoch modernen, prozesshaft-offenen Kunstbegriff. Seine Begriffe sind verstaubt, doch die Sätze glitzern taufrisch. Auch Hipps Formenvokabular wirkt anachronistisch, wiewohl es nicht weniger modern ist als etwa das von Jeff Koons. Hipp zeigt, dass Modernität formal und medial unspezifisch und damit notwendigerweise: subjektiv ist. Die heroische Moderne erkannte dies nicht, die Postmoderne betont es zu Tode. In den Arbeiten von Hipp ist die Achtung und der Respekt vor dem Ernst der heroischen Moderne ebenso spürbar wie die Kritik ihrer Anmaßung; er gesteht der postmodernen Ernüchterung ihre Berechtigung zu und erkennt zugleich die ästhetische Sackgasse, in welche sie mündet. Deshalb behält Hipp den Kult der Moderne bei. Doch es ist kühler geworden um den Kult. Die Kunst präsentiert sich hier, auf nüchterne Weise, als Dienerin und Medium des mündigen Subjekts, wie es Neuzeit, Aufklärung, Moderne einforderten. Dieses Subjekt bebaut und pflegt mit der Kunst einen realen, wirklichen Ort, wohl wissend, dass dieser immer ein fiktiver sein wird.
Autor: Jörg Scheller
 

Tags: André Breton, Benedikt Hipp, Jeff Koons, Andy Warhol