Kadel Willborn

Myriam Holme

04 Apr - 09 May 2009

© Myriam Holme
Imzwischensonst, 2009
aluminium, stain, acrylic, lacquer, gold leaf, chalk
145 x 196,5 cm
MYRIAM HOLME
"etwas, das leises gewohnt ist"

04.04.2009 - 09.05.2009

Myriam Holmes Malerei bildet eine Morphologie des Freilegens und Verbergens: Im Gegenüberstellen und Zusammenfügen von Polaritäten untersucht die Künstlerin in der Ausstellung „etwas, das leises gewohnt ist“ die Interaktion von Raum und Fläche, welche sie simultan im plastischen Bild vereint. Holme erweitert den Bildraum ihrer Arbeiten, indem sie die Dreidimensionalität ihrer früheren, installativen Raumsituationen in der aktuellen Schau auf einem Bildträger zusammen führt. Die Künstlerin verwendet dabei Aluminiumtafeln, welche zuvor als Offset-Druckerplatten für Plakatwerbung gedient haben, und dadurch spezifische Gebrauchsspuren wie einen regenbogenartigen Farbverlauf am Rand der Platten sowie leichte Einkerbungen aufweisen. Myriam Holme versieht diese mit zusätzlichen, linear verlaufenden Faltungen, welche den flachen Bildträger zu einem in den Raum auslaufenden Korpus erweitern.
In einem alchimistisch-experimentellen Malprozess mit Farbe und Chemikalien erprobt Holme die Wechselwirkung sich anziehender und abstoßender Substanzen auf der Oberfläche des Bildträgers. Das Vereinen von Stoffen wie Beize, Lack und Blattgold, sowie das Übereinanderlegen und Schichten von Acrylfarbe, Bleistift und Kreide – wie in dem Bild „imzwischensonst“ – erzeugt eine räumliche Bildkomposition, die von Holme gesteuert, aber ebenso von der Eigendynamik der miteinander reagierenden Materialien bestimmt ist. Ballung und Streuung von Farbpigmenten, sowie das Herausbilden kristalliner Strukturen, steht in einer konträren, als auch ergänzenden Betrachtung zu Holmes früherer Malerei auf Pappelholz: den Vorgang des Aufnehmens von Farbe in die Holzfaser wendet die Künstlerin in ihren neuen Arbeiten auf Papier an, welches sie in Collage-Technik auf den Aluminiumbildträger appliziert.
Die unterschiedlichen Formate der Platten verlangen eine verschiedenartige Weise der Bearbeitung, bei welcher das eigene Körpermaß im Prozess des Entstehens der Bilder entscheidend ist. Ein konkreter Körperbezug ist vor allem in der Arbeit „entimmernd“ sichtbar: das zwei mal drei Meter dimensionierte Bildobjekt veräußerlicht dem Betrachter nicht nur die Ein- und Auswirkung von Kraft, sondern verweist auch auf die damit verbundene Fragilität, welche Holme im Bruch der Oberfläche des massiv wirkenden Materials als flankierte Berührung sichtbar werden lässt. Große, türkistransparente Glasbruchsteine, welche malerische Strukturen aus dem Bild aufgreifen und diese haptisch im Ausstellungsraum fortsetzen, lassen die Arbeit zwischen Leichtigkeit und Schwere pendeln. Die Künstlerin visualisiert hier nicht nur die Möglichkeit der Transformation von Strukturen, sondern auch das fragile und unvorhersehbare Moment des Umschwungs: eine Zäsur, welche sich in ihren Bildern als ephemerer, doch fixierter Abdruck spiegelt.
Der Prozess des Betrachtens, welcher durch die Veränderung des Lichts und dessen Reflexion auf der Oberfläche – wie auch durch die Bewegung des Betrachters selbst – zwischen aktiver und passiver Betrachtung wechselt, legt sich schließlich gleich einer Firnis über Myriam Holmes Malerei. Die Zuordnung von Materialität löst sich hierbei auf und changiert zwischen Stofflichkeit und Abbild derselben. Holmes Bilder sind dabei Projektionsflächen und Reflexionsebenen zugleich, die sich unter Lichteinfall eigenständig im Raum fortschreiben. Die opaken Umrisslinien und Verdichtungen aus Farbe erinnern hingegen an einen vergangenen Augenblick, den die Künstlerin aus der Situation heraus überführt und in ihren Bildern festhält. Der Titel ihrer Arbeiten – und einhergehend Sprache als solche – bilden eine Substanz, welche Holme als abschließende, immaterielle Schicht über ihre Bilder legt. Myriam Holme schöpft dabei aus einer von ihr zusammengetragenen Gedichtsammlung, aus welcher sie in Hinblick auf das jeweilige Bild Sprachfragmente zu einer poetischen Wortagglomeration zusammen zieht, dem einzelnen Bild zuschreibt, und in Korrespondenz zu ihrer Malerei als bedeutungsreiche Metapher hinterlässt.

Christina Irrgang