Shannon Bool
16 May - 30 Jun 2009
SHANNON BOOL
"Major Arcana"
Schicksalsfiguren oder Heilmittel?
16.05.2009 - 30.06.2009
Angesichts der bisherigen Arbeit von Shannon Bool ist es nur konsequent, dass plötzlich das Tarot im Mittelpunkt einer Ausstellung steht. Spiel und Deutungswerkzeug in einem, verbunden mit kunsthandwerklicher und künstlerischer Fertigkeit, mit Hoffnungen und Schicksalsschlägen machen das Tarot zur perfekten Metapher für die Arbeitsweise Bools. In sublimer Melancholie und mit präzisem Auge entwickelt sie ein verwobenes System von Bezügen, Wertigkeiten und Intentionen, die vergleichbar sind mit den Bezugsrahmen und Ideologien spezialisierter Wissensgebiete. Aber diese Wissensgebiete sind bei Bool, wie auch in der Esoterik oder in der Kunst, nicht linear und einfach zu durchschauen, sondern geheimnisvoll und verschlüsselt. Lässt man sich jedoch auf diese "Tour de Force" in das Theater des Lebens ein, eröffnet sich ein Spannungsfeld, in dem festgelegte Kategorien gehörig durcheinander gewirbelt werden, um der Frage nach der heutigen condition humaine einen wesentlichen Schritt näher zu kommen.
Bool beginnt ihre Untersuchung mit dem Major Arcana–Tarot, das Ende des 16. Jahrhunderts in Italien und Frankreich zur Blüte gelangte und auf den „Visconti-Sforza-Trionfikarten“ beruht, die im 15. Jahrhundert im Umfeld der Mailänder Herzogsfamilien produziert und gespielt wurden. Tarotkarten haben eine lange Geschichte, die bis in die Antike zurück reicht, aber deren Blütezeit in der Jetztzeit liegt. Das verwundert kaum, spiegelt das Tarot doch innere und äußere Prozesse und stellt Zusammenhänge her, die kausal nicht zu erklären sind. Das mag man als zeitgeistigen Kitsch ablehnen, aber dennoch steht die kulturhistorische Erfolgsgeschichte diesem Verdacht gegenüber ebenso wie auch die Sinnsuche in einer heutigen fragmentierten Welt. Aber beginnen wir mit unserer Spurensuche in der italienischen Renaissance. Interessant an den Spielkarten der Familie Visconti-Sforza ist, dass sie zu den wenigen privaten Auftragsarbeiten gehörten, die zu jener Zeit an Künstler vergeben wurden. Dementsprechend orientiert sich die Ikonographie auch nicht an religiösen Vorgaben oder allgemeinen Repräsentationspflichten, sondern sind in ihrer Darstellungsart den Normen der Zeit gegenüber fast ungehörig frei. Frauen spielen in diesen Karten eine Hauptrolle, basierend auf deren Status im frühen Mittelalter, wodurch sie auch formal im gotischen Stil gehalten sind. Die Päpstin, der Stern, die Gerechtigkeit, die Liebenden und der Teufel stehen oder sitzen flach vor goldenem Hintergrund und bilden so einen Fetisch, der von schönen Frauen, Fruchtbarkeit, aber auch der Sünde bestimmt wird. Das wirkt auf der einen Seite antiquiert, heute wie damals, aber die grundlegenden Fragen an das Schicksal wie auch deren Heilmittel ändern sich eigentlich nie. Der Aktualität angemessen überführt Bool die Motive in eine eigene Bildsprache. Ist die Repräsentation vielleicht nicht aktuell, die Interpretation könnte jedoch kaum näher an unserer Realität liegen. Die entstehenden „neuen“ Bilder werden zu Vorgängen, die die Zusammenhänge in der Welt des Sehens, Sprechens und Denkens neu verteilen: ob eine Priesterin aus den Visconti-Sforza-Karten; ein Teppich, dessen Vorlage einem englischen Pub entstammt, der aber im traditionsreichen nach bester, hochwertiger Tradition in Taskale in Anatolien geknüpft wurde; der "Stripper Pole" (girl interrupted), eine Stange, die aus in Kanada und Italien gesammelten Kiefernzapfen von einem Kunstschmied handwerklich korrekt in Berlin und der Lüneburger Heide gefertigt wurde; oder ein esoterischer, religiöser und damit auch wieder schicksalhafter philosophischer Diskurs.
Die formale Ebene erweitert und vertieft den Kontext. Kunsthandwerk trifft auf Abstraktion trifft auf Realismus trifft auf Esoterik und damit auf hoffnungsvolles Wunschdenken einem ganzheitlichen Morgen gegenüber. Aber dies geht nicht ohne Brüche und Schräglagen. So wird das traditionelle Muster des Teppichs in seiner Zentralperspektive unterbrochen und scheinbar falsch zusammengenäht, der "Stripper Pole" ist zwar auch kunsthandwerklich korrekt gefertigt, aber dennoch in Einzelteile aufgelöst, die Malerei der Tarot-Vorlage trifft auf avantgardistische Abstraktion und kontrastiert dadurch unterschiedliche Weltbilder. Fotogramme, auch ein wichtiges avantgardistisches Medium des neuen, reproduktiven Denkens, sowie Übermalungen komplettieren das Bild. Formale Qualitäten und Materialitäten sind bestimmende ideologische und zeitgeschichtliche Faktoren, die oftmals mehr zur inhaltlichen Bestimmung beitragen als jedes theoretische Traktat.
Bool arbeitet subtil mit den kulturellen und sozialen Subtexten von Symbolen. Material und Inhalt werden in ihrem Kontext verschoben, um dann doch wieder näher an die Komplexität heutiger Wirklichkeiten zu rücken. Es geht um sichtbare und um nicht-sichtbare Bilder. Was zuerst wie eine Geheimwissenschaft anmutet, entschlüsselt sich nach und nach zu einem Gesamtbild, welches sehr genau das Spannungsverhältnis zwischen Rationalität und Irrationalität, zwischen utopischer Avantgarde und heutigen Wunschvorstellungen und zwischen den Ansprüchen einer Gesellschaft und den Aufgaben künstlerische Produktion zu skizzieren vermag.
Jacques Rancière sucht in seinen Schriften zum Bild nach dem historischen Umschlagpunkt, an dem das Kunstbild sich vom Regime der Repräsentation emanzipiert, also anfängt ein "Selbst" zu bekommen. Das bewusste Nicht-Zeigen oder Nicht-Ähnlich-Machen in der heutigen Bildproduktion wird bei ihm zu einem emanzipatorischen Schritt, der neue Möglichkeiten eröffnet bzw. das Blickfeld erweitert. Und genau dies geschieht in der Arbeit von Shannon Bool. Wenn sie ideologische Referenzen, ob die anarchischen Tarot-Karten der italienischen Renaissance, die Symbole heutiger Subkultur und unterdrückter Leidenschaften oder die neue Esoterikwelle in ihre eigene, unverwechselbare Sprache übersetzt, bleibt die Konstruktion immer offensichtlich. Bilder sind gesellschaftlich bestimmt und wandeln sich permanent, allein von Intention und Rezeption abhängend. Die Künstlerin sucht konsequent subtile Auswege aus den traditionellen und figürlichen Darstellungssystemen der Kunst, um dadurch neue Möglichkeiten zur Bestimmung unserer Umwelt zu schaffen. Zwischen analytischer Reflexion und emotionaler Faszination zeigen ihre Arbeiten die Option noch unbekannter Bildräume. Das bleibt geheimnisvoll, aber nicht unentschlüsselbar. Die Tarot-Karten wie auch die Installation von Shannon Bool bieten Deutungswerkzeuge an, die sehr viel mit unseren Wunschvorstellungen zu tun haben und deswegen umso wichtiger sind. Es geht nicht um einen definierten Raum, sondern um einen Möglichkeitsraum, der, um bei der Definition von arcanum zu bleiben, auch Heilmittel bedeuten kann. Das Theater des Lebens lässt aber auch ein negatives Ergebnis uneingeschränkt offen. However, that’s life....
Text: Bettina Steinbrügge
"Major Arcana"
Schicksalsfiguren oder Heilmittel?
16.05.2009 - 30.06.2009
Angesichts der bisherigen Arbeit von Shannon Bool ist es nur konsequent, dass plötzlich das Tarot im Mittelpunkt einer Ausstellung steht. Spiel und Deutungswerkzeug in einem, verbunden mit kunsthandwerklicher und künstlerischer Fertigkeit, mit Hoffnungen und Schicksalsschlägen machen das Tarot zur perfekten Metapher für die Arbeitsweise Bools. In sublimer Melancholie und mit präzisem Auge entwickelt sie ein verwobenes System von Bezügen, Wertigkeiten und Intentionen, die vergleichbar sind mit den Bezugsrahmen und Ideologien spezialisierter Wissensgebiete. Aber diese Wissensgebiete sind bei Bool, wie auch in der Esoterik oder in der Kunst, nicht linear und einfach zu durchschauen, sondern geheimnisvoll und verschlüsselt. Lässt man sich jedoch auf diese "Tour de Force" in das Theater des Lebens ein, eröffnet sich ein Spannungsfeld, in dem festgelegte Kategorien gehörig durcheinander gewirbelt werden, um der Frage nach der heutigen condition humaine einen wesentlichen Schritt näher zu kommen.
Bool beginnt ihre Untersuchung mit dem Major Arcana–Tarot, das Ende des 16. Jahrhunderts in Italien und Frankreich zur Blüte gelangte und auf den „Visconti-Sforza-Trionfikarten“ beruht, die im 15. Jahrhundert im Umfeld der Mailänder Herzogsfamilien produziert und gespielt wurden. Tarotkarten haben eine lange Geschichte, die bis in die Antike zurück reicht, aber deren Blütezeit in der Jetztzeit liegt. Das verwundert kaum, spiegelt das Tarot doch innere und äußere Prozesse und stellt Zusammenhänge her, die kausal nicht zu erklären sind. Das mag man als zeitgeistigen Kitsch ablehnen, aber dennoch steht die kulturhistorische Erfolgsgeschichte diesem Verdacht gegenüber ebenso wie auch die Sinnsuche in einer heutigen fragmentierten Welt. Aber beginnen wir mit unserer Spurensuche in der italienischen Renaissance. Interessant an den Spielkarten der Familie Visconti-Sforza ist, dass sie zu den wenigen privaten Auftragsarbeiten gehörten, die zu jener Zeit an Künstler vergeben wurden. Dementsprechend orientiert sich die Ikonographie auch nicht an religiösen Vorgaben oder allgemeinen Repräsentationspflichten, sondern sind in ihrer Darstellungsart den Normen der Zeit gegenüber fast ungehörig frei. Frauen spielen in diesen Karten eine Hauptrolle, basierend auf deren Status im frühen Mittelalter, wodurch sie auch formal im gotischen Stil gehalten sind. Die Päpstin, der Stern, die Gerechtigkeit, die Liebenden und der Teufel stehen oder sitzen flach vor goldenem Hintergrund und bilden so einen Fetisch, der von schönen Frauen, Fruchtbarkeit, aber auch der Sünde bestimmt wird. Das wirkt auf der einen Seite antiquiert, heute wie damals, aber die grundlegenden Fragen an das Schicksal wie auch deren Heilmittel ändern sich eigentlich nie. Der Aktualität angemessen überführt Bool die Motive in eine eigene Bildsprache. Ist die Repräsentation vielleicht nicht aktuell, die Interpretation könnte jedoch kaum näher an unserer Realität liegen. Die entstehenden „neuen“ Bilder werden zu Vorgängen, die die Zusammenhänge in der Welt des Sehens, Sprechens und Denkens neu verteilen: ob eine Priesterin aus den Visconti-Sforza-Karten; ein Teppich, dessen Vorlage einem englischen Pub entstammt, der aber im traditionsreichen nach bester, hochwertiger Tradition in Taskale in Anatolien geknüpft wurde; der "Stripper Pole" (girl interrupted), eine Stange, die aus in Kanada und Italien gesammelten Kiefernzapfen von einem Kunstschmied handwerklich korrekt in Berlin und der Lüneburger Heide gefertigt wurde; oder ein esoterischer, religiöser und damit auch wieder schicksalhafter philosophischer Diskurs.
Die formale Ebene erweitert und vertieft den Kontext. Kunsthandwerk trifft auf Abstraktion trifft auf Realismus trifft auf Esoterik und damit auf hoffnungsvolles Wunschdenken einem ganzheitlichen Morgen gegenüber. Aber dies geht nicht ohne Brüche und Schräglagen. So wird das traditionelle Muster des Teppichs in seiner Zentralperspektive unterbrochen und scheinbar falsch zusammengenäht, der "Stripper Pole" ist zwar auch kunsthandwerklich korrekt gefertigt, aber dennoch in Einzelteile aufgelöst, die Malerei der Tarot-Vorlage trifft auf avantgardistische Abstraktion und kontrastiert dadurch unterschiedliche Weltbilder. Fotogramme, auch ein wichtiges avantgardistisches Medium des neuen, reproduktiven Denkens, sowie Übermalungen komplettieren das Bild. Formale Qualitäten und Materialitäten sind bestimmende ideologische und zeitgeschichtliche Faktoren, die oftmals mehr zur inhaltlichen Bestimmung beitragen als jedes theoretische Traktat.
Bool arbeitet subtil mit den kulturellen und sozialen Subtexten von Symbolen. Material und Inhalt werden in ihrem Kontext verschoben, um dann doch wieder näher an die Komplexität heutiger Wirklichkeiten zu rücken. Es geht um sichtbare und um nicht-sichtbare Bilder. Was zuerst wie eine Geheimwissenschaft anmutet, entschlüsselt sich nach und nach zu einem Gesamtbild, welches sehr genau das Spannungsverhältnis zwischen Rationalität und Irrationalität, zwischen utopischer Avantgarde und heutigen Wunschvorstellungen und zwischen den Ansprüchen einer Gesellschaft und den Aufgaben künstlerische Produktion zu skizzieren vermag.
Jacques Rancière sucht in seinen Schriften zum Bild nach dem historischen Umschlagpunkt, an dem das Kunstbild sich vom Regime der Repräsentation emanzipiert, also anfängt ein "Selbst" zu bekommen. Das bewusste Nicht-Zeigen oder Nicht-Ähnlich-Machen in der heutigen Bildproduktion wird bei ihm zu einem emanzipatorischen Schritt, der neue Möglichkeiten eröffnet bzw. das Blickfeld erweitert. Und genau dies geschieht in der Arbeit von Shannon Bool. Wenn sie ideologische Referenzen, ob die anarchischen Tarot-Karten der italienischen Renaissance, die Symbole heutiger Subkultur und unterdrückter Leidenschaften oder die neue Esoterikwelle in ihre eigene, unverwechselbare Sprache übersetzt, bleibt die Konstruktion immer offensichtlich. Bilder sind gesellschaftlich bestimmt und wandeln sich permanent, allein von Intention und Rezeption abhängend. Die Künstlerin sucht konsequent subtile Auswege aus den traditionellen und figürlichen Darstellungssystemen der Kunst, um dadurch neue Möglichkeiten zur Bestimmung unserer Umwelt zu schaffen. Zwischen analytischer Reflexion und emotionaler Faszination zeigen ihre Arbeiten die Option noch unbekannter Bildräume. Das bleibt geheimnisvoll, aber nicht unentschlüsselbar. Die Tarot-Karten wie auch die Installation von Shannon Bool bieten Deutungswerkzeuge an, die sehr viel mit unseren Wunschvorstellungen zu tun haben und deswegen umso wichtiger sind. Es geht nicht um einen definierten Raum, sondern um einen Möglichkeitsraum, der, um bei der Definition von arcanum zu bleiben, auch Heilmittel bedeuten kann. Das Theater des Lebens lässt aber auch ein negatives Ergebnis uneingeschränkt offen. However, that’s life....
Text: Bettina Steinbrügge