Cecily Brown
03 Sep - 07 Nov 2010
Cecily Brown, Based on a true story, 2010
Oil on canvas, 216 x 226 cm
Courtesy Contemporary Fine Arts & Gagosian Gallery
Photo: Jochen Littkemann, Berlin
© Cecily Brown
Oil on canvas, 216 x 226 cm
Courtesy Contemporary Fine Arts & Gagosian Gallery
Photo: Jochen Littkemann, Berlin
© Cecily Brown
CECILY BROWN
Based On A True Story
03 September – 07 November 2010
»Based on a true story« – diese Angabe steht gewöhnlich am Anfang eines Films oder Romans, dessen Narration auf einer »wahren« Geschichte beruht. Wird sie als Titel einer Ausstellung der Malerin Cecily Brown (*1969 in London, lebt in New York) verwendet, stellt sich die Frage, ob auch die hier gezeigten Bilder auf wahren Geschichten beruhen? Was heißt diese Angabe überhaupt für Gemälde, auf denen wir kein klar definierbares Objekt ausmachen können, Assoziationsketten bilden, aber nicht eindeutig festlegen können, was wir sehen?
Cecily Brown erhielt 1993 ihren Bachelor of Arts an der Londoner Slade School of Art und zog im folgenden Jahr in ihre Wahlheimat New York. Bekannt wurde sie Ende der 1990er Jahre mit großformatigen, expressiven Bildern, die explizit sexuelle Szenen zeigten. Mit der Wahl dieser Sujets ging es ihr nicht um Provokation, sondern um das Erfassen von Körpern mit den Mitteln der Malerei; um das Übersetzen von Körperlichkeit in Farbe. Dabei besteht für Cecily Brown keine klare Trennung zwischen Abstraktion und Figuration, sie versteht diese zwei Aspekte eines Bildes eher als Übergangsmomente im Sehen. „Ich will, dass sich das Sehen des Bildes der Erfahrung, in der Welt zu sein, annähert.“, so Brown. Das Dasein in der Welt ist geprägt von Veränderung, neuen Eindrücken, Bewegung, wechselnden Geschwindigkeiten, Tag und Nacht, Erinnerung und Erleben. Cecily Browns Bilder spiegeln dies und ermöglichen dabei die Entdeckung der Langsamkeit, da sich erst bei längerem Hinsehen Bedeutungsebenen entfalten. So treten nach und nach Andeutungen von Figuren in der Farbe hervor, Körperteile, Umrisse von Tieren, Fratzen, Landschaften oder Menschen – die, kaum wahrgenommen, schon wieder zu einer anderen Gestalt zusammenfließen. Tintenfleck, lachendes Gesicht, Baumkrone, Liebespaar.
Cecily Brown steht für eine neue expressive Malerei. Deutlich sind die einzelnen Pinselstriche erkennbar: eng gesetzte, kurze Abdrücke stehen neben weiten Schwüngen, mal scheint der Pinsel die Leinwand nur gestreift zu haben, mal stützte sich Brown mit dem vollen Gewicht ihres Körpers auf das Malinstrument. Die gestische Malweise Willem de Koonings, aber auch Paul Cézannes Technik der Andeutung von Formen können auf den ersten Blick als Referenzen benannt werden. Edgar Degas, Hieronymus Bosch, Velázquez, die Liste ließe sich fortsetzen. Motive aus der Kunstgeschichte spielen beim Entstehen der Arbeiten ebenso eine Rolle wie Bilder aus Magazinen, Zeitschriften, aus Büchern wie dem »Struwwelpeter« oder »Alice im Wunderland«. Brown schöpft aus einem unendlichen Bilderkosmos, übersetzt Gesehenes, Gehörtes, Assoziiertes auf die Leinwand. Im Malprozess greift sie Sujets oder bildliche Strukturen auf, übermalt sie, überwindet sie, entfernt sich von ihnen und kommt zu einem vorher nicht kalkulierbaren Ergebnis, dem fertigen Bild. Aber ist das Bild fertig? Entwickelt es sich nicht dauernd vor unseren Augen weiter?
In der Ausstellung Based on a True Story lässt sich das Spiel mit bildlichen Andeutungen in verschiedenen Ausformungen beobachten. Einige Bilder, etwa Based on a True Story (2010) oder The Redhead (2009) zeigen Umrisse einer weiblichen Gestalt, deren Kopf dem Betrachter entgegen, aus dem Bild heraus ragt. Doch auch hier ist es weniger die Darstellung eines Körpers, als vielmehr eine Übersetzung von Körperlichkeit ins Bild. Brown geht es, ebenso wie dem Maler Francis Bacon, nicht um das geistige Erfassen des Motivs, sondern um die körperliche Wahrnehmung des Bildes. Bacon wollte, dass »die Farbe direkt auf das Nervensystem wirkt«, das Bild durch Mark und Bein geht.
Die deutlich vertikale Struktur von Envy (2009–2010) mit den schwingenden Horizontalen geht auf ein Filmstandbild aus einem Stummfilm zurück, welches Tänzerinnen auf Stufen mit seitlich erhobenen Armen zeigt. Bandit (2010) ruft Erinnerungen an Edgar Degas’ »Spartanische Mädchen fordern Jungen zum Wettkampf« (1860–1862) hervor. Gleich einer Melodie, welche, obschon abstrakt, Stimmungen und Assoziationen hervorruft, Geschichten ohne Worte erzählen kann (die sich mit anderen, eigenen, erinnerten Geschichten verweben), verdichten sich Cecily Browns Bilder zu Fixierungen von Zeit, die deutliche Spuren ihrer Entstehung tragen. Die Malerin spielt virtuos mit dem Zufall, gibt der Eigenwilligkeit der Farbe Raum, übt nur Kontrolle aus, um sie im nächsten Moment wieder aufzugeben.
Das monumentale Bild Thriller (2008–2009) zeugt von diesem Ringen um bestimmte Uneindeutigkeit, um eine Vielgestaltigkeit, die doch nicht beliebig wird. Es kommen einem Schlachtenbilder in den Sinn, möglicherweise aufgewühlte apokalyptische Himmel, aus denen unbeschreibliches Grauen oder himmlisches Licht hervorbrechen kann. Versuchen wir, dem Bild einen Sinn zu geben, üben auch wir Kontrolle aus – wenn wir unsere Gedanken loslassen, erleben wir die Offenheit dann als Freiheit oder als unangenehme Unsicherheit? Können wir alles noch einmal anders sehen? Während der Dauer der Betrachtung verdichtet sich Farbe zu Figur, fließt wieder auseinander, nur um sich erneut zu einer anderen Gestalt zusammen zu fügen abstrakt, figurativ, unabgrenzbar, Farbe und immer wieder Farbe, so wahr wie alle darin liegenden Geschichten.
Based On A True Story
03 September – 07 November 2010
»Based on a true story« – diese Angabe steht gewöhnlich am Anfang eines Films oder Romans, dessen Narration auf einer »wahren« Geschichte beruht. Wird sie als Titel einer Ausstellung der Malerin Cecily Brown (*1969 in London, lebt in New York) verwendet, stellt sich die Frage, ob auch die hier gezeigten Bilder auf wahren Geschichten beruhen? Was heißt diese Angabe überhaupt für Gemälde, auf denen wir kein klar definierbares Objekt ausmachen können, Assoziationsketten bilden, aber nicht eindeutig festlegen können, was wir sehen?
Cecily Brown erhielt 1993 ihren Bachelor of Arts an der Londoner Slade School of Art und zog im folgenden Jahr in ihre Wahlheimat New York. Bekannt wurde sie Ende der 1990er Jahre mit großformatigen, expressiven Bildern, die explizit sexuelle Szenen zeigten. Mit der Wahl dieser Sujets ging es ihr nicht um Provokation, sondern um das Erfassen von Körpern mit den Mitteln der Malerei; um das Übersetzen von Körperlichkeit in Farbe. Dabei besteht für Cecily Brown keine klare Trennung zwischen Abstraktion und Figuration, sie versteht diese zwei Aspekte eines Bildes eher als Übergangsmomente im Sehen. „Ich will, dass sich das Sehen des Bildes der Erfahrung, in der Welt zu sein, annähert.“, so Brown. Das Dasein in der Welt ist geprägt von Veränderung, neuen Eindrücken, Bewegung, wechselnden Geschwindigkeiten, Tag und Nacht, Erinnerung und Erleben. Cecily Browns Bilder spiegeln dies und ermöglichen dabei die Entdeckung der Langsamkeit, da sich erst bei längerem Hinsehen Bedeutungsebenen entfalten. So treten nach und nach Andeutungen von Figuren in der Farbe hervor, Körperteile, Umrisse von Tieren, Fratzen, Landschaften oder Menschen – die, kaum wahrgenommen, schon wieder zu einer anderen Gestalt zusammenfließen. Tintenfleck, lachendes Gesicht, Baumkrone, Liebespaar.
Cecily Brown steht für eine neue expressive Malerei. Deutlich sind die einzelnen Pinselstriche erkennbar: eng gesetzte, kurze Abdrücke stehen neben weiten Schwüngen, mal scheint der Pinsel die Leinwand nur gestreift zu haben, mal stützte sich Brown mit dem vollen Gewicht ihres Körpers auf das Malinstrument. Die gestische Malweise Willem de Koonings, aber auch Paul Cézannes Technik der Andeutung von Formen können auf den ersten Blick als Referenzen benannt werden. Edgar Degas, Hieronymus Bosch, Velázquez, die Liste ließe sich fortsetzen. Motive aus der Kunstgeschichte spielen beim Entstehen der Arbeiten ebenso eine Rolle wie Bilder aus Magazinen, Zeitschriften, aus Büchern wie dem »Struwwelpeter« oder »Alice im Wunderland«. Brown schöpft aus einem unendlichen Bilderkosmos, übersetzt Gesehenes, Gehörtes, Assoziiertes auf die Leinwand. Im Malprozess greift sie Sujets oder bildliche Strukturen auf, übermalt sie, überwindet sie, entfernt sich von ihnen und kommt zu einem vorher nicht kalkulierbaren Ergebnis, dem fertigen Bild. Aber ist das Bild fertig? Entwickelt es sich nicht dauernd vor unseren Augen weiter?
In der Ausstellung Based on a True Story lässt sich das Spiel mit bildlichen Andeutungen in verschiedenen Ausformungen beobachten. Einige Bilder, etwa Based on a True Story (2010) oder The Redhead (2009) zeigen Umrisse einer weiblichen Gestalt, deren Kopf dem Betrachter entgegen, aus dem Bild heraus ragt. Doch auch hier ist es weniger die Darstellung eines Körpers, als vielmehr eine Übersetzung von Körperlichkeit ins Bild. Brown geht es, ebenso wie dem Maler Francis Bacon, nicht um das geistige Erfassen des Motivs, sondern um die körperliche Wahrnehmung des Bildes. Bacon wollte, dass »die Farbe direkt auf das Nervensystem wirkt«, das Bild durch Mark und Bein geht.
Die deutlich vertikale Struktur von Envy (2009–2010) mit den schwingenden Horizontalen geht auf ein Filmstandbild aus einem Stummfilm zurück, welches Tänzerinnen auf Stufen mit seitlich erhobenen Armen zeigt. Bandit (2010) ruft Erinnerungen an Edgar Degas’ »Spartanische Mädchen fordern Jungen zum Wettkampf« (1860–1862) hervor. Gleich einer Melodie, welche, obschon abstrakt, Stimmungen und Assoziationen hervorruft, Geschichten ohne Worte erzählen kann (die sich mit anderen, eigenen, erinnerten Geschichten verweben), verdichten sich Cecily Browns Bilder zu Fixierungen von Zeit, die deutliche Spuren ihrer Entstehung tragen. Die Malerin spielt virtuos mit dem Zufall, gibt der Eigenwilligkeit der Farbe Raum, übt nur Kontrolle aus, um sie im nächsten Moment wieder aufzugeben.
Das monumentale Bild Thriller (2008–2009) zeugt von diesem Ringen um bestimmte Uneindeutigkeit, um eine Vielgestaltigkeit, die doch nicht beliebig wird. Es kommen einem Schlachtenbilder in den Sinn, möglicherweise aufgewühlte apokalyptische Himmel, aus denen unbeschreibliches Grauen oder himmlisches Licht hervorbrechen kann. Versuchen wir, dem Bild einen Sinn zu geben, üben auch wir Kontrolle aus – wenn wir unsere Gedanken loslassen, erleben wir die Offenheit dann als Freiheit oder als unangenehme Unsicherheit? Können wir alles noch einmal anders sehen? Während der Dauer der Betrachtung verdichtet sich Farbe zu Figur, fließt wieder auseinander, nur um sich erneut zu einer anderen Gestalt zusammen zu fügen abstrakt, figurativ, unabgrenzbar, Farbe und immer wieder Farbe, so wahr wie alle darin liegenden Geschichten.