Kestner Gesellschaft

Julian Göthe

24 Feb - 08 May 2011

Julian Göthe, Extended Version 2010
Installation, rope, metal, Installation view at Migros Museum für Gegenwartskunst, Zurich 2010
Courtesy Galerie Daniel Buchholz, Cologne/Berlin © Julian Göthe
JULIAN GÖTHE
The Shadows Took Shape
24 February – 08 May 2011

Die Objekte, Zeichnungen und Collagen von Julian Göthe (*1966 in Berlin) kombinieren minimalistische Strenge mit Dramatik und Glamour. Seine Arbeiten zeugen von einer intensiven Auseinandersetzung mit epochalen wie auch randständigen kunst- und kulturgeschichtlichen Phasen, mit Hoch- und Populärkultur vor allem der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Gestaltungsideen aus dem Art Déco der 1920er und 1930er Jahre treffen auf die Ästhetik der Set-Dekorationen früher Hollywoodfilme. Bezüge zum körperhaften, vom Surrealismus geprägten Stilnovo Möbeldesign im Italien der 1950er Jahre wiederum werden mit Strategien der unpersönlich, industriell und schematisch angelegten minimalistischen Kunst der 1960er Jahre verschränkt. Wie ein roter Faden zieht sich ein Interesse an alltäglichen Anwendungen häufig als vulgär oder geschmäcklerisch stigmatisierter neoklassischer und modernistischer Formen durch sein Werk.

Eben eine solche Verspieltheit prägt auch manieristische Strömungen des 16. und 17. Jahrhunderts, die einen weiteren wichtigen Bezugspunkt für Göthes Arbeit darstellen. Kurz vor dem Barock als Gegenprogramm zu den klassischen Harmonieidealen der Hochrenaissance entstanden, wird das Streben nach Klarheit und Ordnung durch starke Ausschweifungen in Körper- und Architekturdarstellungen unterlaufen. Die nüchterne, zweckmäßige Form wird überlagert von der Lust an Detailreichtum und dem Zurschaustellen großer Kunstfertigkeit. Solche prägnanten Gegenpole des Drangs nach apollinischer Ordnung einerseits und dionysischer Groteske andererseits – nach Sachlichkeit und Emotionalität – lassen sich auf vielfältige Weise innerhalb Göthes Werk selbst erkennen. So verweist bereits der einem Jazzalbum von Sun Ra entnommene Ausstellungstitel »The Shadows Took Shape« [Die Schatten nahmen Gestalt an] nicht nur auf die Anwesenheit unterschiedlichster, die ›klare Form‹ stets attackierende Gegenbewegungen, sondern versteht sich zugleich auch als Hinweis auf die reduzierte, in schwarz-weiß gehaltene Farbskala der Ausstellung.

Im Obergeschoss der kestnergesellschaft ist ein Ensemble aus vier Skulpturen auf einem bühnenhaften Sockel platziert. In ihrer spiegelnden Lackschwärze fordern die raumgreifenden Objekte über ihr Volumen und die erhöhte Präsentation Aufmerksamkeit ein. Ihre Gestaltung zeigt eine verschwenderische, ans Aggressive grenzende Wirkung von Zacken, Ausstülpungen und einer makellosen Oberfläche. Die Titel einzelner Werke lauten »Immer nur Lächeln« (The Sublimes), »Oxygen« oder »No No, Nanette!«. Die distanzierende Perfektion wird konterkariert durch den Einsatz einer – häufig Musikstücke zitierenden – emotionalen Sprache, die Assoziationen von Pop, Glamour, aber auch Bedrohlichkeit anstößt.

Ergänzt wird das Szenario durch weitere, auf einem gegenüberliegenden Sockel präsentierte Objekte, die mit ihrer Farbgebung und einer kreatürlichen, gängige Geschmacksgrenzen provozierenden Anmutung einen scharfen Kontrast zur Gegenseite schaffen. In Göthes Werk wird unterschwellig stets auch ein Drama des Sozialen, des schmalen Grats zwischen dem Gelingen und Scheitern von Kommunikation verhandelt. Wie in einem Kammerspiel werden Konfliktpotenziale von Abstoßung und Anziehung, Gemeinschaft und Isolation, Begehren und Zurückweisung ausgetragen.

Zentrale Motive der Ausstellung variiert Göthe in »Extended Bang«, einer Wandarbeit aus Seilen, die in zeichnerischer Härte und weicher Materialität die Bildsprachen aufnimmt und spiegelt: Es vermittelt sich ein illusorischer Raum, der sich sowohl als imaginäre Bühne für die Performance der Kunstwerke wie für die Bewegung der Ausstellungsbesucher anbietet: Allein durch ihre körperliche Anwesenheit nehmen sie eine Haltung gegenüber den Kunstwerken ein. In »Nocturne«, einem neuen Animationsfilm Göthes, reduziert sich die Idee dieses Raumes auf eine endlose, beklemmend wirkende Kamerafahrt durch einen Parcours üppig dekorierter Salons, in denen die fetischhaften Objekte und Anmutungen ins Medium des Trickfilms überführt werden.

In Collagen wie etwa »Raphael/Gwyneth« kombiniert Julian Göthe u.a. einen Kupferstich des flämischen Manieristen Hendrick Goltzius mit einem wesenhaft-unheimlichen Designerstuhl von Raphael, Bodybuilder-Posen und Karl-Heinz Rummenigges Beinen, während sich aus dem Hintergrund kubistisch-abstrakte Formen in den Bildraum drängen. Göthe ist weniger an einer akribischen Rückschau auf einzelne kulturelle Bezüglichkeiten interessiert als vielmehr an deren Wirkweise als Artikulation von Begehren. Ungleich nüchterner, dem Slapstick ebenfalls nicht abgeneigt, wird dies in einer Reihe neuer Collagen deutlich, die Fotografien männlicher Oberkörper mit einem klischeehaft
belegten Brillenmodell – das Göthe auch selbst trägt – verschmelzen. Vor diesem Hintergrund versteht sich Göthes Arbeit auch als trickreiche Reflexion auf den Reiz, zugleich aber auf die Zumutung der Modelle von Schönheit und Überlegenheit, die im gegenwärtigen Alltag dominant sind.

Julian Göthe hatte zuletzt unter anderem Einzelausstellungen im Nationaltheater München/Pinakothek der Moderne und in der Kunsthalle Basel (mit Nairy Baghramian). Zudem hat er seine Werke bei zahlreichen Gruppenausstellungen wie im Migros Museum Zürich, der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, und der Kunsthalle Baden-Baden präsentiert. Göthes Arbeiten befinden sich unter anderem in der Bundeskunstsammlung, der Sammlung der Pinakothek der Moderne, der Sammlung Goetz und der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen.
 

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