Kestner Gesellschaft

Larry Sultan

11 Jun - 22 Aug 2010

Larry Sultan, Palm Springs, Sprinkler
from the series 'Pictures from Home', 1991
© The Estate of Larry Sultan
Courtesy Galerie Thomas Zander, Cologne
LARRY SULTAN
Katherine Avenue
11 June – 22 August 2010

In seiner zwischen 1984 und 2009 gefertigten Trilogie Pictures from Home, The Valley und Homeland reflektiert Larry Sultan (1946-2009) das Leben in den kalifornischen Vororten. Das im Rücken von Los Angeles gelegene San Fernando Valley ist geografischer Schauplatz seiner Kindheit und Kulisse für einen Großteil seiner künstlerischen Arbeit gleichermaßen. In den jeweils über längere Zeiträume entstandenen Fotoserien verwebt er die idyllischen Orte seiner Erinnerung mit gesellschafts– und sozialpolitischen Themenkomplexen. Pictures from Home (1984-1992) wurde ursprünglich als Künstlerbuch publiziert. Als politisch motivierte Untersuchung des Familienbildes während der Reagan-Ära angelegt, entfaltet die Serie sich zu einer poetischen Erzählung über die Grenzlinien von dokumentarischer und privater Fotografie. Sultan beginnt mit dem Projekt, kurz nachdem sein Vater seinen Job bei der Firma »Eversharp Schick« verliert.
Ähnlich einem Regisseur porträtiert Sultan seine Eltern bei den täglichen Erledigungen und Festtagsritualen bis hin zum Umzug nach Palm Springs. Häufig wartet er Momente ab, in denen Gestik, Licht und Kulisse ideal für seine Geschichte zusammenfallen, andere Bilder entstehen eher spontan. Doch im Gegensatz zu einem Filmdreh schweigen Sultans Schauspieler nicht, sondern widersprechen den Bildern. In Dad on Bed (1984) sehen wir Larry Sultans Vater Irving im Anzug auf dem Ehebett, während er mit apathischer Körpersprache an der Kamera vorbeischaut. Eine Melancholie oder Doppelbödigkeit sieht Sultans Vater jedoch nicht, sondern etwas anderes: »Wessen Wahrheit ist das? Es ist Dein Foto, aber mein Bild«, sagt er zu seinem Sohn in einem der vielen Gespräche, die in dem Künstlerbuch abgedruckt sind. Zudem vergrößert Sultan Film Stills aus den Familienfilmen seiner Eltern. Durch Farbe und Körnung wirkt das Tableau wie ein nostalgischer Traum, der niemals endet – doch bei näherer Betrachtung scheinen einige Bilder unheimlich.
Pictures from Home balanciert auf ernsthafte und zärtliche Weise auf dem schmalen Grat zwischen Fakt und Fiktion, auf dem die Mythen von Heimat, Familie und dem eigenen Leben beruhen – und beweist die Relativität von bildlichen Wahrheiten. In The Valley (1998-2003) untersucht Larry Sultan die Drehorte der kalifornischen Pornofilmindustrie, die sich zur Filmproduktion in amerikanischen Privathäusern einmietet. Sultans Fokus liegt dabei weniger auf einer moralischen Bewertung von Pornografie. Vielmehr interessiert er sich für das häusliche Leben der Vorstadt als symbolisch aufgeladene Kulisse von Wertvorstellungen. Er konzentriert sich auf Randzonen der Filmdrehs und zeigt die Kulisse samt Akteuren als Meta-Theater. Er fertigt einen Film im Film an, der sich spiegelverkehrt zum Plot der Pornofilme verhält: die Ausschweifungen tauchen nur am Rande auf. Eine Verwirrung für das Sehen, denn auf der Suche nach dem visuellen Schock werden die Betrachter/innen kaum fündig. Die Bedeutung der Kulisse nimmt zu und entfacht so einen interpretatorischen Sog. Sultan schafft offene Narrationen, die gewöhnliche Elemente von Häuslichkeit als reichen Fundus für Assoziationen anbieten. Ein Erzählstrang in The Valley widmet sich den Schauspielern in den Drehpausen. Wir sehen erschöpfte, gelangweilte oder sinnierende Menschen, so etwa in Topanga Skyline Drive #1 (1999). Die alltägliche Versunkenheit des Darstellers wird durch dessen Nacktheit in der Einbauküche zwar gebrochen – zerbricht aber nicht. So macht Sultan die Bruchlinien zwischen den beruflichen und privaten Identitäten des Lebens sichtbar, indem er sie in eine Gleichzeitigkeit setzt.
In Sultans jüngster Serie Homeland (2006-2009) rücken die Mythen um die kalifornische Landschaft in den Vordergrund. Sultan arbeitet mit mittelamerikanischen Tagelöhnern, die in den Kleinstädten ihre Arbeitsdienste anbieten und inszeniert sie, etwa wie in Canal District, San Rafael (2006), am Rande des öffentlichen Lebens in der Natur bei der Ausübung rituell wirkender Tätigkeiten. Er eignet sich ur-amerikanische Sehnsuchtsbilder von Weite an, die wir etwa auch aus der romantischen Malerei der Hudson River School kennen. Wenn Sultan deren spektakuläre Bildrhetoriken mit der Realität einer globalen Arbeitsgegenwart kombiniert, schafft er Panoramen der Beunruhigung, die zwischen Unbehagen und Schönheit changieren. Sultan geht es jedoch weniger um eine Kritik an konkreten politischen Missständen. Die absurde künstlerische Geste, den Männern exakt jene Orte anzubieten, die in seinen Erinnerungen Geborgenheit bieten, verweist auf einer weiteren Ebene auf die Grenzen eines Zusammengehens von Kunst und Politik. Das Leben in den kalifornischen Vororten dient in Sultans Werk als serienübergreifendes Prisma zur Reflexion globaler Themen: Arbeit, Begehren, Identität. Die Integration einer konzeptuellen Vorgehensweise, die das Wahrheitspotenzial von Bildern anzweifelt, und einer emotional unterlegten Beschäftigung mit diffusen Begriffen wie »Heimat« macht Sultans Ausnahmestellung in der zeitgenössischen Kunst aus. Larry Sultan hat wesentliche Teile der Ausstellung noch vor seinem Tod im Dezember 2009 konzipiert.
 

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