Olaf Nicolai
09 Jun - 30 Sep 2012
Olaf Nicolai: „Yeux de paon“, 2007
Vorhang, Baumwolle und Seide
305 x 810 cm, Auflage: 3/3 EA
Courtesy Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin
Courtesy Carolina Nitsch Project Room
Foto: Làszlo Tòth
© VG BILD-KUNST
Vorhang, Baumwolle und Seide
305 x 810 cm, Auflage: 3/3 EA
Courtesy Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin
Courtesy Carolina Nitsch Project Room
Foto: Làszlo Tòth
© VG BILD-KUNST
OLAF NICOLAI
The peacock with his long train appears more like a dandy than a warrior, but he sometimes engages in fierce contests*
9. Juni bis 30. September 2012
Die Farbenpracht der Pfauenfeder ist trügerisch. Tatsächlich stellt sich das ebenso verlockende wie bekannte Farbenspiel erst ein, wenn Licht auf das Gefieder fällt. Ein sich überlagerndes Reflexionsgitter mikroskopisch kleiner Stäbchen bewirkt Interferenzen, die einen Teil des weißen Lichts auslöschen und im Moment der Betrachtung für den Eindruck der Komplementärfarben sorgen. Damit schuldet sich das ästhetische Erlebnis nicht etwa einer Farbgebung des Gefieders selbst.
Vielmehr beruht es auf Licht, Reflexion und Prozessen individueller Betrachtung - naturwissenschaftliche und wahrnehmungsphysiologische Phänomene, die Olaf Nicolai aufgreift und radikalisiert in den größeren Zusammenhang politischer sowie gesellschaftlicher Aspekte stellt.
"Bei Licht betrachtet ..." lautet eine Phrase, die zumeist dann genutzt wird, wenn etwas vor seiner unmittelbaren Aufdeckung steht oder anders erscheint, als es zuvor gesehen beziehungsweise angenommen wurde – Sinnfiguren, die auch Worten wie 'erklären' oder Begriffen wie 'Aufklärung' (im Englischen Enlightenment) etymologisch einbeschrieben sind. Das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Licht, Sehen und Begreifen, die Gemengelage objektiver und subjektiver Faktoren und deren Auswirkung auf die Bilderzeugung überführt Olaf Nicolai mittels vier ineinandergreifender Arbeitskomplexe in ein sinnliches Raumerlebnis, in dem physikalische, ästhetische und ideologische Faktoren sich zunehmend überlagern.
Mehrere, jeweils acht Meter lange und drei Meter hohe, schwebend befestigte Seidenvorhänge – "Yeux de Paon" (2008) gliedern die Ausstellungsfläche und illustrieren mit ihren rhythmisch eingewebten Mustern das Motiv des Pfauenauges im Schwarz-Weiß. Die von den Stoffbahnen vage definierten Raumzonen füllen leuchtend bunte, von den Besuchern benutzbare Bücher, deren Seiten im Irisdruck hergestellt wurden und damit trotz serieller Produktion jeweils Unikate sind. Denn der Irisdruck erzeugt durch den gleichmäßigen mechanischen Auftrag der drei Grundfarben Yellow, Magenta und Cyan in einem Druckvorgang mehrere Farben, mit ineinander laufenden unterschiedlich bunten Farbrändern - eine Palette, die sich steigert, bis alle Farben vermischt sind. Eigentlich handelt es sich um ein historisches Druckverfahren, das vor allem die Kunst und 'Gegenkultur' der 1960/70er Jahre 'wiederentdeckt' hat, aufgrund geringer Produktionskosten und der unvorhersehbaren psychedelischen Farbeffekte.
Allein, laden die Vorhänge und Bücher den Raum visuell auf, liefern sie in ihrer sonderbaren Redundanz aus Wiederholung und Einmaligkeit doch kein figuratives Bild – eine Bildlosigkeit, die der neue Film von Olaf Nicolai im angrenzenden Projektionsraum potenziert. Ausgangsmaterial für "à la cantonade" (im Theater der Terminus für eine Rede in die Kulisse, adressiert an eine für die Zuschauer nicht sichtbare Figur) ist eine studentische Produktion aus Ungarn ("Agitatorok", 1969), die in der Zeit eines eher 'liberalen' ungarischen Kommunismus die nationalen Revolutionsereignisse 1919 kritisch befragt, wobei sich Brecht'sches Agitationstheater und Sprachduktus der 1969er Jahre stilistisch vermengen. Nach dem Eingriff von Olaf Nicolai sind die Bilder des Films getilgt. Die Leinwand bleibt schwarz bis auf die englischen Untertitel. Hörbar ist hingegen die ursprüngliche Tonspur in ungarischer Sprache, die Olaf Nicolai ergänzen ließ, um eine Audiodeskription der Handlung für Blinde. Text und Sprache verlagern die fehlenden Bilder zum Revolutionsfilm in die Imagination und Gegenwart der Zuhörer.
In diesem gleichsam äußeren wie inneren Zwiespalt aus Augenschein und Bedeutungsfindung, dem Grundprinzip der Wahrnehmung, siedelt der Ausstellungstitel selbsterklärend als leuchtender Neonschriftzug an der Kopfwand des Hallenraumes - sinnfällig dort, wo die Inszenierung sich die Waage hält, zwischen Sichtbarem und Imagination, zwischen Objektivem und Subjektivem: Ein Zitat von Charles Darwin, das je nach Leserichtung, nicht ohne Ironie Evolution, Ästhetik und Revolution sprichwörtlich miteinander verbindet...
The peacock with his long train appears more like a dandy than a warrior, but he sometimes engages in fierce contests*
9. Juni bis 30. September 2012
Die Farbenpracht der Pfauenfeder ist trügerisch. Tatsächlich stellt sich das ebenso verlockende wie bekannte Farbenspiel erst ein, wenn Licht auf das Gefieder fällt. Ein sich überlagerndes Reflexionsgitter mikroskopisch kleiner Stäbchen bewirkt Interferenzen, die einen Teil des weißen Lichts auslöschen und im Moment der Betrachtung für den Eindruck der Komplementärfarben sorgen. Damit schuldet sich das ästhetische Erlebnis nicht etwa einer Farbgebung des Gefieders selbst.
Vielmehr beruht es auf Licht, Reflexion und Prozessen individueller Betrachtung - naturwissenschaftliche und wahrnehmungsphysiologische Phänomene, die Olaf Nicolai aufgreift und radikalisiert in den größeren Zusammenhang politischer sowie gesellschaftlicher Aspekte stellt.
"Bei Licht betrachtet ..." lautet eine Phrase, die zumeist dann genutzt wird, wenn etwas vor seiner unmittelbaren Aufdeckung steht oder anders erscheint, als es zuvor gesehen beziehungsweise angenommen wurde – Sinnfiguren, die auch Worten wie 'erklären' oder Begriffen wie 'Aufklärung' (im Englischen Enlightenment) etymologisch einbeschrieben sind. Das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Licht, Sehen und Begreifen, die Gemengelage objektiver und subjektiver Faktoren und deren Auswirkung auf die Bilderzeugung überführt Olaf Nicolai mittels vier ineinandergreifender Arbeitskomplexe in ein sinnliches Raumerlebnis, in dem physikalische, ästhetische und ideologische Faktoren sich zunehmend überlagern.
Mehrere, jeweils acht Meter lange und drei Meter hohe, schwebend befestigte Seidenvorhänge – "Yeux de Paon" (2008) gliedern die Ausstellungsfläche und illustrieren mit ihren rhythmisch eingewebten Mustern das Motiv des Pfauenauges im Schwarz-Weiß. Die von den Stoffbahnen vage definierten Raumzonen füllen leuchtend bunte, von den Besuchern benutzbare Bücher, deren Seiten im Irisdruck hergestellt wurden und damit trotz serieller Produktion jeweils Unikate sind. Denn der Irisdruck erzeugt durch den gleichmäßigen mechanischen Auftrag der drei Grundfarben Yellow, Magenta und Cyan in einem Druckvorgang mehrere Farben, mit ineinander laufenden unterschiedlich bunten Farbrändern - eine Palette, die sich steigert, bis alle Farben vermischt sind. Eigentlich handelt es sich um ein historisches Druckverfahren, das vor allem die Kunst und 'Gegenkultur' der 1960/70er Jahre 'wiederentdeckt' hat, aufgrund geringer Produktionskosten und der unvorhersehbaren psychedelischen Farbeffekte.
Allein, laden die Vorhänge und Bücher den Raum visuell auf, liefern sie in ihrer sonderbaren Redundanz aus Wiederholung und Einmaligkeit doch kein figuratives Bild – eine Bildlosigkeit, die der neue Film von Olaf Nicolai im angrenzenden Projektionsraum potenziert. Ausgangsmaterial für "à la cantonade" (im Theater der Terminus für eine Rede in die Kulisse, adressiert an eine für die Zuschauer nicht sichtbare Figur) ist eine studentische Produktion aus Ungarn ("Agitatorok", 1969), die in der Zeit eines eher 'liberalen' ungarischen Kommunismus die nationalen Revolutionsereignisse 1919 kritisch befragt, wobei sich Brecht'sches Agitationstheater und Sprachduktus der 1969er Jahre stilistisch vermengen. Nach dem Eingriff von Olaf Nicolai sind die Bilder des Films getilgt. Die Leinwand bleibt schwarz bis auf die englischen Untertitel. Hörbar ist hingegen die ursprüngliche Tonspur in ungarischer Sprache, die Olaf Nicolai ergänzen ließ, um eine Audiodeskription der Handlung für Blinde. Text und Sprache verlagern die fehlenden Bilder zum Revolutionsfilm in die Imagination und Gegenwart der Zuhörer.
In diesem gleichsam äußeren wie inneren Zwiespalt aus Augenschein und Bedeutungsfindung, dem Grundprinzip der Wahrnehmung, siedelt der Ausstellungstitel selbsterklärend als leuchtender Neonschriftzug an der Kopfwand des Hallenraumes - sinnfällig dort, wo die Inszenierung sich die Waage hält, zwischen Sichtbarem und Imagination, zwischen Objektivem und Subjektivem: Ein Zitat von Charles Darwin, das je nach Leserichtung, nicht ohne Ironie Evolution, Ästhetik und Revolution sprichwörtlich miteinander verbindet...