Kunstraum Innsbruck

Almagul Menlibayeva

23 Mar - 11 May 2013

© Almagul Menlibayeva
My Silk Road to You 3, 2011
Lambda print mounted on alu-dibond
28 x 42 in. (71 x 107 cm), Ed. of 5
Courtesy Priska C. Juschka Fine Art, NY
ALMAGUL MENLIBAYEVA
23.03.13 - 11.05.13

Der Kunstraum Innsbruck zeigt mit der Ausstellung „An Ode to the Wastelands and Gulags‟ (dt. Eine Ode an die Ödnis und Gulags) erstmals in Österreich eine umfassende Auswahl von Videoarbeiten der in Berlin und Kasachstan lebenden Künstlerin Almagul Menlibayeva (geb. 1969). In poetisch aufgeladenen Bildern spiegelt die Künstlerin die zurückliegende Kultur des Schamanismus und des Nomadismus im Kontext der post-sowjetischen Identität ihres Heimatlandes wider und wirft einen kritischen Blick auf den sozialen, gesellschaftlichen und politischen Wandel in Zentralasien. Der Titel skizziert eine geografische Linie, die alle drei Videoarbeiten ‒ Kurchatov 22 (2012), Milk for Lamb (2010) und Exodus (2009) ‒ miteinander verbindet. Während Kurchatov 22 die verlassenen und kontaminierten Atomtestfelder und Kasernen in der Steppe zeigt, beschreiben die beiden anderen Videos das Fortleben der spirituellen Welt der Nomaden vor den Ruinen der Arbeitslager, deren Erbauer die Insassen der auch in Kasachstan existierenden Gulags waren. Zu Zeiten der Sowjets wurde die nomadische und schamanistische Kultur unterbunden und die Menschen zur Sesshaftigkeit angehalten.

Die Videoarbeiten laden sich zu kryptischen und mythologischen Erzählungen auf, die sensibel Einblick in das Schicksal und die Lebensbedingungen der Nomadenkultur geben und ihre Glaubenswelt, Geschlechterrollen und Handlungsweisen untersuchen. Damit werden die vielschichtigen religiösen, kulturellen und politischen Ebenen des nomadischen und schamanistischen Erbes sowie die sozialistische Vergangenheit Kasachstans zum zentralen Ausgangspunkt der Arbeiten von Almagul Menlibayeva. Die Videoarbeit Milk for Lambs erkundet die emotionalen und geistigen Spuren der alten Glaubenssysteme in Zentralasien, die vor allem durch das Aufeinandertreffen der zoroastrischen Ideologie des ehemaligen Persien und des Tengrismus (Religion des Himmels), dem einstigen Glauben aller mongolischen und Turkvölker Zentralasiens, aufgeladen ist. Mit der Kamera begleitet Menlibayeva jene ehemaligen Nomaden ‒ die sich nur mehr zu besonderen Anlässen in der Steppe treffen, um ihre Rituale zu zelebrieren ‒ und lässt bildgewaltige Kameraeinstellungen entstehen, die subtil die Geschichten und Mythen der Stämme in ihren männlichen und weiblichen Lebensweisen unterscheiden. In ähnlicher Weise gibt auch das Video Exodus Einblicke in die Lebenskultur der Nomaden.

Zentrales Werk der Ausstellung ist die fünfteilige Video-Installation Kurchatov 22. Der Titel bezieht sich auf die gleichnamige Stadt, die nach dem Atomwissenschaftler Igor Wassiljewitsch Kurchatov (1903‒1960) benannt wurde und im Nordosten von Kasachstan liegt. Die Stadt war zu Zeiten des Eisernen Vorhangs operatives Zentrum des in unmittelbarer Nähe befindlichen Atomwaffentestgebiets von Semipalatinsk. Die Stadt, eine der drei „Closed Cities‟ in Kasachstan, stand unter strikter Bewachung und war im Kernland der Sowjetunion unter Eingeweihten auch als Kurchatov 22 bekannt. Die Ziffer bezieht sich darauf, dass es aus Geheimhaltungsgründen keine direkten Postanschriften der Bewohner gab, sodass der Versand aller Briefstücke zuhanden eines Postfachs erfolgte. In dem 18.400 Quadratkilometer großen Testgelände wurde unter der direkten Weisung von Josef Stalin (1879‒1953) und dem Geheimdienstchef Lavrenti Pavlovich Beria (1899‒1953) ab 1948 bis 1993 ca. 456 über- und unterirdische Nukleartests vorgenommen (ca. 10 Tests pro Jahr), ohne dass die Bevölkerung der Umgebung geschützt oder vorgewarnt wurde. Almagul Menlibayeva hat die gegenwärtigen Bewohner aufgesucht und sie nach ihren Erfahrungen und vor allem nach den gesundheitlichen Nachwirkungen der Tests befragt. „Kurchatov 22‟ ist damit ein eindringliches Porträt der politischen Gegenwart Kasachstans, die erst am Anfang der Aufarbeitung ihrer sozialistischen Vergangenheit steht und gleichzeitig nach den Wurzeln ihrer gesellschaftlichen Identität sucht. (Karin Pernegger)

Almagul Menlibayeva (geb. 1969) lebt und arbeitet in Berlin und in Kasachstan. Sie hat an der Art & Theatre University in Almaty/Kasachstan studiert. Internationale Anerkennung erhielt sie durch ihre Teilnahme an der 15th Biennale of Sydney (2006); an der 51., 52. und 53. Biennale in Venedig; der 10th Sharjah Biennale (2011); im Jahr 2012 an der 4th Moscow Biennale, der 1st Kiev Biennial, Ukraine, der 18th Biennale of Sydney und der Mediterranean Biennale of Contemporary Art, Sachnin, in Israel. Zeitgleich zur Ausstellung im Kunstraum Innsbruck nimmt die Künstlerin mit der Arbeit Kurchatov 22 an der 7th Asia-Pacific Triennale of Contemporary Art, Brisbane/Australien, teil.
 

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