Kunstraum Kreuzberg / Bethanien

CTM 12 – Spectral. Festival for Adventurous Music and Related Arts

28 Jan - 19 Feb 2012

CTM 12 – SPECTRAL. FESTIVAL FOR ADVENTUROUS MUSIC AND RELATED ARTS

Programm im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien:
Ghosts Off The Shelf – Ausstellung kuratiert von Thibault de Ruyter
The Crystal World Open Laboratory von Martin Howse, Jonathan Kemp und Ryan Jordan
Ausstellung mit Begleitprogramm
28. Januar bis 19. Februar 2012

Zum wiederholten Mal gastiert Berlins experimentierfreudiges Musik- und Kunstfestival CTM mit seinem Ausstellungsprogramm im Kunstraum Kreuzberg / Bethanien. Mit seiner Ausgabe 2012 widmet sich das Festival mit dem Thema SPECTRAL der gegenwärtigen Konjunktur des Geisterhaften, Mysteriösen und Dunklen in experimenteller Musik, Avant-Pop und Kunst.
Aus diesem Anlaß präsentiert das Festival im Kunstraum Kreuzberg / Bethanien die Ausstellung Ghosts Off The Shelf des Kurators und Kunstkritikers Thibaut de Ruyter sowie das Projekt Crystal World Open Laboratory von Martin Howse, Jonathan Kemp und Ryan Jordan.
Im Projektraum des Kunstraum Kreuzberg / Bethanien sind Installationen und Arbeiten von AUDiNT, Chris Salter, Anke Eckardt, Felix Kubin, Ursula Bogner und Laura López Paniagua zu erleben.
Als Satelliten zum Programm im Kunstraum zeigt der Berliner Künstler Nik Nowak vom 27. Januar bis 5. Februar sein Objekt Panzer im Lokdock neben dem Berghain sowie „Das Geschehen“, eine Gemeinschaftsarbeit mit Moritz Stumm im Berghain.
Neben dem Programm in Kooperation mit dem Kunstraum Kreuzberg/Bethanien präsentiert das CTM.12-Festival vom 30. Januar bis 5. Februar ein umfangreiches Musikprogramm an den Spielorten HAU, Berghain, Passionskirche, Gretchen, Kater Holzig, Horst Krzbrg, .HBC. und, in Zusammenarbeit mit der transmediale, im Haus der Kulturen der Welt. Ein in Zusammenarbeit mit dem Philosophen, Psychohistoriker und Autor Andreas L. Hofbauer entwickeltes Diskursprogramm wird den Fragen des Themas zwischen Kunst, Theorie und Musik nachgehen.

GHOSTS OFF THE SHELF
Die Ausstellung Ghosts Off The Shelf des Kunstkritikers und Kurators Thibaut de Ruyter im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien beschäftigt sich mit dem Verschwinden analoger Videoformate und der gegenwärtigen Renaissance der ihnen eigenen Ästhetik. Wir alle besitzen ein paar altmodische Bänder, können aber oft nicht mehr sehen (und wissen), was sich darauf befindet. Die Teilnehmer der Ausstellung sind bildende Künstler, die in den vergangenen Dekaden Videoarbeiten produziert haben. Sie wurden von Thibaut de Ruyter gebeten, ihm einen „Geist“ zu übergeben, ein Werk, welches nur noch in ihrem Gedächtnis existiert, durch die Präsentation in der Ausstellung jedoch eine neue Daseinsform finden wird. Es geht hierbei sowohl um eine spezifische Ästhetik als auch um das Verschwinden persönlicher Erinnerungen und Daten, die durch technischen Fortschritt bald nicht mehr existieren werden. Ghosts Off The Shelf stellt Fragen nach dem Umgang mit den exponentiell anwachsenden Kapazitäten technischer Archive und ihren „Geistermedien“. Teilnehmende Künstler sind u.a. Yokna Patofa, Joep van Liefland, Valérie Favre.
http://ghosts.ctm-festival.de (aktiv zur Ausstellungseröffnung)Kunstraum Kreuzberg/Bethanien
Eröffnung: Freitag 27.1.2012, 19:00
Ausstellung 28. Januar bis 19. Februar 2012
Öffnungszeiten: täglich 12 – 19:00

THE CRYSTAL WORLD OPEN LABORATORY
The Crystal World Open Laboratory von Martin Howse, Jonathan Kemp und Ryan Jordan, in dem die Künstler mit Teilnehmern in einem Workshop zusammenarbeiten, wendet sich gegen den dystopischen Ausblick totaler Transparenz und Determination durch die vollständige digitale Ausleuchtung, Erfassung, Speicherung und Steuerung biologischer und physikalischer Prozesse. Ziel dieses künstlerischen Forschungsprojektes im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, dessen Arbeitsprozesse von den Ausstellungsbesuchern jederzeit mitverfolgt werden können, ist es, die geschlossene Umwelt digitaler Kalkulationen durch gewaltsame De-Kristallisation zu durchbrechen, um mittels experimenteller Re-Kristallisationen psychophysische Verfälschungen und Ungewissheiten in die kristallin-digitalen Zyklen zu ätzen. In einem ersten Schritt sollen die Basismaterialien digitaler Geräte (Gold, Silber, Palladium, Silizium etc.) durch physikalisch-chemische Verfahren zurückgewonnen werden. Dabei werden die oft gefährlichen Prozesse der Wiedergewinnung seltener Rohstoffe aus den Müllkreisläufen nachvollzogen, wie sie Enteignete in allen Teilen der Welt aus Gründen des Überlebens praktizieren müssen. In einem zweiten Schritt werden aus den gewonnenen Rohstoffen neue elektrochemische Versuchsanordnungen konstruiert, in denen chaotische Materialprozesse zum Tragen kommen. Am Ende des Workshopzeitraumes werden die Ergebnisse in einer Mischung aus Präsentation und Performance vorgeführt. Danach verbleiben das Setting, die Materialien und die erstellten Artefakte in der Ausstellung.
Im Rahmen des Projektes The Crystal World Open Laboratory zeigt Ralf Baecker zudem seine Installation „Irrational Computing“. Die Installation ist eine künstlerische Prüfung von Material, Ästhetik und Potential digitaler Prozesse. Die Installation basiert auf Halbleiterkristallen, den Rohstoffen der Informationstechnologie, und bildet durch gezielte Materialmanipulationen eine digitale Signalverarbeitungsmaschine, die an der Trennlinie zwischen Ordnung und Chaos operiert. „Irrational Computing“ verstärkt das Mystische und Magische dieser Materialien, die der Kern unserer uns umgebenden Technologien sind.
http://crystal.xxn.org.ukwww.no-surprises.de Kunstraum Kreuzberg/Bethanien
Eröffnung: Freitag 27.1.2012, 19:00
Ausstellung 28. Januar bis 19. Februar 2012
Öffnungszeiten: täglich 12 – 19:00
Workshop: 30.1. – 4.2. sowie Präsentation: The Crystal World Salon am Sonntag 5.2., 16:00

WEITERE INSTALLATIONEN
Die Installationen „Just Noticeable Difference (JND)“ von Chris Salter und „Between | You | And | Me“ von Anke Eckardt führen die Besucher an liminale Wahrnehmungen heran und beschwören dabei zugleich die Bildwelten eines technischen Magischen sowie die Phantomeffekte unserer Wahrnehmung, die uns den sicheren Boden eindeutiger Ursache-Wirkungsbeziehungen entziehen.
www.chrissalter.comwww.ankeeckardt.org

Das „Dead Record Office“ von AUDiNT (Abkürzung für „Audio Intelligence“), einem künstlerischen Forschungsteam bestehend aus Steve Goodman aka Kode 9, Toby Heys und Jon Cohrs, dokumentiert und inszeniert die militärisch-disziplinarische Nutzung von Schall und setzt den vermeintlichen „good vibrations“ musikalischer Unterhaltung die „bad vibes“ von Konflikt, Kontrollgesellschaft und Paranoia entgegen.
www.audint.net

Ein weiterer Raum stellt mit Arbeiten von Felix Kubin, Ursula Bogner und Laura López Paniagua Fragen nach dem Eigen- und Fortleben der Medienarchive und der darin enthaltenen oder daraus zu konstruierenden Geheimnisse Anderer.Projektraum des Kunstraum Kreuzberg/Bethanien
Eröffnung: Freitag 27.1.2012, 19:00
Ausstellung 28. Januar bis 5. Februar 2012
Öffnungszeiten: täglich 12 – 19:00

PANZER
Im Lokdock zeigt der Berliner Künstler Nik Nowak sein Objekt „Panzer“, die künstlerische Repräsentation einer Schallwaffe, die gleichermaßen die Ästhetik militärischer „Stealth“-Technologien, die brachiale Gewalt gepanzerter Fahrzeuge und die Kultur mobiler Soundsysteme zitiert. Diese Kombination löst eine diffuse Faszination für die Bad Vibes aggressiver Frequenzen aus und thematisiert eindrücklich die Rolle von Sound als Mittel zur Stimmung von Massenkörper und Raum. Eröffnung: 27.1. ab 19:00,
Dauer: 27.1. und 31.1 – 5.2.2012
Öffnungszeiten: täglich 18 – 22:00
Ort: Lokdock, neben dem Berghain, Am Wriezener Bahnhof, 10243 Berlin
Dienstag 31.1., 22:00 Performance Nik Nowak vs Ultramoodem (Nik Nowak, Sound & Moritz Stumm, Visuals).Im Berghain während der Konzerte zeigt Nowak zudem „Das Geschehen“, eine Gemeinschaftsarbeit mit Moritz Stumm.
www.niknowak.de
FESTIVALTHEMA – SPECTRAL
Seitdem wir unspektakulär das letzte Millenium hinter uns gelassen haben, drängt sich angesichts der Gleichzeitigkeit von Krise als Dauerzustand und exponentiell wachsender technischer Archive das Gefühl auf, unsere ganze Zukunft läge von nun an in der Vergangenheit. Renaissancen finden nicht statt, sondern man hat den Eindruck, durch kollektive und private Phantasmagorien zu taumeln oder mit diesen zusammenzustoßen. Die westlichen Gesellschaften scheinen von den kulturellen und technischen Artefakten ihrer eigenen nahen Vergangenheit besessen zu sein. Trauernde Klage über diesen Zustand und Verlust kursiert ebenso beschleunigt durch die Medienmaschinen, wie sich die Begeisterung für Postproduktion oder Parallelwelt schneller verflüchtigt, als sie der popkulturelle Theoriemarkt verdauen kann. Digitale Technologien zur Manipulation von Medienartefakten, mediale Verteilungs- und Archivierungsmöglichkeiten von Information sowie die daraus resultierenden redundanzgeschwängerten Anarchive des Internets, Versatzstücke privater Mythologie, Obsession oder popkulturelle Banal-Alchemie lassen die Leistungsträger der Moderne – authentisch leidenschaftliche Künstlerexistenzen, Helden, Individuen und echte Charaktere – verblassen. Auf den Flohmärkten (oder Müllhalden) der globalen Zivilisation herrscht Xeno-Kommunikation: Nur mehr das, was mich öffnet, sich mir aufzwingt, mich aufschließt und mir dadurch kurzfristig einen Zustand simuliert, ich hätte mich an den Strom des hereinbrechenden Neuen und Anderen angeschlossen ermöglicht es mir, mit der Tatsache fertig zu werden, dass dieses vermeintlich Neue unwahrscheinlicher denn je geworden zu sein scheint.
Das hat einen Zug ins Unheimliche, den man dann analysiert haben möchte oder auf den mit Heimweh, Transzendenzsehnsucht oder Retromanie reagiert wird. Auch depressive Versionen bleiben nicht aus. Posttraumatische Stresssymptome als Massenphänomene, allgemeine Ermüdung und der letzte Ausweg einer Bartleby-Politik des „Ich möchte lieber nicht“.
In der zunehmenden Enge zwischen dem Schreckenshorziont der Löschung jeglichen Geheimnisses durch kristallharte, restlos aufklärende Ausleuchtung und den „dark and vibrant matters“ unserer Landschaften und Siliziumarchitekturen, die gerade dort, wo sie sich unendlich zu entfalten scheinen, die Gefahr unkontrollierbarer Wucherungen und entropischer Auflösung bergen, gilt es, weder im gleißenden Licht zu erstarren noch in den opaken Materialströmen unter zu gehen. In dieser „Interzone“ werden die Semionauten zwischen Soundclouds und Deep Level Recordings von Strömen und Transmissionen erfasst, für die ihre bisherigen Transistoren (Transfer Resistoren) ungeeignet sind.
Von regressiven, depressiven oder resignativen Wahrnehmungen erfasst, tauchen sie in die Zeichen- und Materialströme der beständig rezyklierten kulturellen Artefakte und der sie hervorbringenden Medienapparate ein, um durch kombinatorisches Spiel, Bastelei und Bricolage die Fugen offenzuhalten, die die Artikulationen des Anderen durchscheinen lassen. Das ist kein absichtsvolles künstlerisches Programm. Vielmehr ist es feinnerviges, arbeitsames, mal dunkles, mal fröhliches Experimentieren mit Unheimlichem, Verstaubtem und Trash, der Rückgriff auf Vergangenes und Verworfenes bis hin zur Archaik, die Lust am Verformen, Verhallen, Verrauschen und Verflüssigen, Aufbrechen, Verkleben und Verspleißen; geradezu die letzten Mittel, die eingesetzt werden, wo ein Masterplan zwangsläufig fehlen muss.
Unter dem Titel SPECTRAL widmet sich CTM.12 der musikalischen und medialen Heimsuchung durch vergangene ästhetische Entwürfe samt ihren uneingelösten Utopien und Dystopien sowie dem Eindringen in die materiellen Tiefenstrukturen ihrer Trägermedien. Wir begrüßen die plastische Kraft der Schwankungen, Resonanzen, Rauheiten und Instabilitäten, die uns aus dem materiellen Eigenleben von Klängen, Bildern und Geräten als befremdliche bis unheimliche „(An)Wesenheit“ (Arns) entgegentritt. Wir stellen uns auf die Seite der Geister und prüfen, was es mit den „Phantomeffekten“ auf sich hat, die sich durch die Generationen übertragen, die immer schneller aufeinander zu folgen scheinen. Wir heißen die „visitors of someone else’s memories“ willkommen, ohne zu wünschen, dass diese auch bleiben mögen. Wir gehen davon aus, dass nicht das Tote oder Abgelebte uns heimsucht, sondern die Lücken, die die Geheimnisse der anderen in uns hinterlassen haben. Aus diesem Grund besteht kein Anlass zur Trauer, sondern wir arbeiten mit dem, was über-lebt hat und uns nun aus dem Jenseits unserer eigenen Selbstgenügsamkeit und -stilisierung adressiert. Wir hören hin auf das Geraune, das aus den Wänden und Apparaten dringt, über die sich der Schatten von „many thousand departed friends“ (Poe) hinzieht.
Ein Spektrum singulärer Antworten und künstlerischer Positionen, die sich jenseits lebendiger Gegenwart mit den Mutationen und verzerrten Übertragungen dieser Geheimnisse auseinandersetzen wird aufgespannt. Sei es Drag, Hauntology, Hypnagogic Pop, spektrale Synthesizermusik, Re-Edits oder Neo Gothic. Sei es Drone, Psychedelic oder neue Industrial Musik. Über diese Gateways wird in gegenwärtige Realitätskonstruktionen eingedrungen und mit den ihnen innewohnenden Geistern Kontakt aufgenommen; deren Botschaften und Übertragungen dechiffriert (decrypt) und chiffriert (encrypt). Ziel dabei ist nicht Hinzufügung weiterer und neuer individueller Ansichten, sondern die psycho-plastische Transformation, die auf das (Über-)Leben in der Interzone vorbereitet. Die ins Feld geführten Strategien sind verschiedenartig: Hypnotische Verlangsamung und anderen Formen von Psychedelik; Rückkehr zu analogen Medien und physikalischen Transformationen; fiktive, virtuelle und nachträgliche Um- und Neuschreibung eigener Phantasielandschaft, in die man dann aufbricht; Schaffung artifizieller Geheimnisse; DIY-Geschichtschreibung und home-made Medienarchäologie; spezifischen Negativität als bittere bis euphorische Zurückweisung der Gegenwart; Erfahrung der Entrückung, wo man auf neo-mystische Weise ins Licht tritt und von dort her nun die Welt betrachten darf – „as if I were dead“.
Dem Ruf „Vive les fantômes!“ (Jacques Derrida im Film „Ghost Dance“ von Ken McMullen) zu folgen, heißt schließlich, von diesen angerufen worden zu sein. Denn dieser Anruf selbst erreicht uns wie jeder andere auch auf dem Wege der Telekommunikation. Es spielt keine Rolle, ob wir dabei das Jahr 1983 oder 2012 schreiben.
 

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