Verena Schöttmer
29 Apr - 03 May 2015
I, Too, Wondered Whether I Could Not Sell Something And Succeed In Life., Verena Schöttmer, Ausstellungsansicht, Kunstverein in Hamburg, 2015, Foto: Fred Dott.
VERENA SCHÖTTMER
I, Too, Wondered Whether I Could Not Sell Something and Succeed In Life
29 April - 3 May 2015
„Man sollte meinen, daß ich notwendigerweise da ende, wo der andere anfängt. Doch warum könnte es nicht, statt der Umkehr an der Grenze oder der Wahl des anderen, die noch das Verlangen wäre, der andere zu sein, das Bewußtsein der Wahl als den Besitz eines Vermögens geben, mit dem man in jedem Augenblick wieder mit sich anfangen kann und sich auf diese Weise durch sich bestätigt, daß man alles, was auf dem Spiel steht, wieder eingesetzt hat.“ (von jetzt an werde ich mehrere sein, Eva Meyer)
„TRUST THE DITCH“ fordert die spiegelnde Kette, die auf dem aus Stoffstreifen gewebten Teppich in der Ausstellung von Verena Schöttmer prangt. Es ist ein Spiel mit Statements, die auf Anhängern oder T-Shirts erscheinen, weniger um eine Aussage zu treffen und mehr um Zugehörigkeit zu einer Szene zu behaupten. Die im Rap so gängig wie diskriminierende Bezeichnung für Frauen als Bitch schwingt noch mit. Schöttmer allerdings verschiebt die prollige Aufforderung ins Seltsame: Vertraue dem Graben! Dies ist ein Apell, dem Verborgenen und Unbekannten zu begegnen, der Vorstellungskraft zu folgen und Zwischenräume zu betreten.
Schöttmers Rauminstallationen beinhalten Vorhänge, Paravents oder eben Teppiche – Trennelemente, die verbergen, verhüllen und als Projektionsflächen der Imagination alles versprechen können und nichts einlösen müssen. Es sind theatrale Inszenierungen oder auch museale Displays, deren Spiel mit Affekten und Erwartungen die Künstlerin aufgreift: Jedes Szenario und jedes Ereignis lässt sich denken, jede Fantasie, jedes Trugbild, jedes Klischee und vor allem jede Unmöglichkeit. Es ist das Andere, das sie thematisiert, ein Anderes, das immer auch unerreichbar scheint und deshalb umso begehrenswerter ist.
Schöttmers künstlerische Produktion verbindet traditionelles Handwerk mit Popkultur, Mode mit Kunst und Dekoration oder Accessoires mit Funktion. Der Teppich, den sie im Kunstverein in Hamburg präsentiert, ist aus gemusterten Stoffen, synthetischen Fellen, Strick oder Tweed gefertigt, die sie in Streifen geschnitten und zu einem neuen Geflecht zusammengefügt hat. Gewebe ist hier nicht nur als textiles Material, sondern als ein gedankliches Konstrukt zu verstehen, wie beispielweise Jacques Derrida es auf die Schrift anwandte, um zu verdeutlichen: Sprache ist „ein Spiel von Verweisungen, das nirgends endet – und unsere sprachlichen Prozesse, unsere Kooperationen und „Verständigungsversuche“ sind nichts anderes als Anschlüsse.“ Derrida entdeckte überall Texte und Texturalität – Webstrukturen der Ordnung, ob es sich nun um Bauwerke oder literarische Werke handelt: Texte werden gebaut und Gebäude gewoben. Zur etwa gleichen Zeit in den 1970er Jahren wurden auch durch die kulturwissenschaftliche Analyse geschlechtsspezifischer Festschreibungen textile Materialien und Verarbeitungsweisen in das Feld der Kunst überführt. Selbst Künstlerinnen wie die Weberin Gunta Stözl, die 1927 als erste Frau die Webwerkstatt des Bauhauses übernahm, waren in die theoretischen Diskurse ihrer Zeit längst nicht eingebunden.
Schöttmer überwindet feste Zuschreibungen, testet Grenzen aus und gestaltet intermediale Räume: Die Installation im Kunstverein verbindet sich mit Soundstrukturen, die von Alexander Tsitsigias und Rasmus Engler komponiert wurden und einen sich kontinuierlich steigernden Klangteppich erzeugen. In dieser Schichtung verwandelt sich das Verhältnis zum unbekannten Anderen und wird Teil der Inszenierung:
Das Unbekannte ist nicht mehr das gegensätzlich Fremde, sondern die Option, die den Handlungsspielraum erweitert. Schöttmer thematisiert dies, indem sie Trennungen inszeniert, mediale Grenzen überschreitet und der Möglichkeit einen tatsächlichen Raum gibt.
Verena Schöttmer (geboren 1978 in Meppen, lebt und arbeitet in Hamburg) studierte an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg bei Pia Stadtbäumer und Michaela Melián. 2013 erhielt sie das Georg-Meistermann-Stipendium und war bis 2014 Artist in Residence im weissen haus in Wien. Ausstellungen hatte Schöttmer u.a. bei Bräuning Contemporary, Hamburg, im Böhmen, Berlin, im Kunstverein Harburger Bahnhof, Hamburg und im Kunstverein Ettlingen.
Die Ausstellungsfolge wird kuratiert von Bettina Steinbrügge und Nadine Droste. In Kooperation mit der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg. Zur Ausstellung ist eine Publikation erschienen.
I, Too, Wondered Whether I Could Not Sell Something and Succeed In Life
29 April - 3 May 2015
„Man sollte meinen, daß ich notwendigerweise da ende, wo der andere anfängt. Doch warum könnte es nicht, statt der Umkehr an der Grenze oder der Wahl des anderen, die noch das Verlangen wäre, der andere zu sein, das Bewußtsein der Wahl als den Besitz eines Vermögens geben, mit dem man in jedem Augenblick wieder mit sich anfangen kann und sich auf diese Weise durch sich bestätigt, daß man alles, was auf dem Spiel steht, wieder eingesetzt hat.“ (von jetzt an werde ich mehrere sein, Eva Meyer)
„TRUST THE DITCH“ fordert die spiegelnde Kette, die auf dem aus Stoffstreifen gewebten Teppich in der Ausstellung von Verena Schöttmer prangt. Es ist ein Spiel mit Statements, die auf Anhängern oder T-Shirts erscheinen, weniger um eine Aussage zu treffen und mehr um Zugehörigkeit zu einer Szene zu behaupten. Die im Rap so gängig wie diskriminierende Bezeichnung für Frauen als Bitch schwingt noch mit. Schöttmer allerdings verschiebt die prollige Aufforderung ins Seltsame: Vertraue dem Graben! Dies ist ein Apell, dem Verborgenen und Unbekannten zu begegnen, der Vorstellungskraft zu folgen und Zwischenräume zu betreten.
Schöttmers Rauminstallationen beinhalten Vorhänge, Paravents oder eben Teppiche – Trennelemente, die verbergen, verhüllen und als Projektionsflächen der Imagination alles versprechen können und nichts einlösen müssen. Es sind theatrale Inszenierungen oder auch museale Displays, deren Spiel mit Affekten und Erwartungen die Künstlerin aufgreift: Jedes Szenario und jedes Ereignis lässt sich denken, jede Fantasie, jedes Trugbild, jedes Klischee und vor allem jede Unmöglichkeit. Es ist das Andere, das sie thematisiert, ein Anderes, das immer auch unerreichbar scheint und deshalb umso begehrenswerter ist.
Schöttmers künstlerische Produktion verbindet traditionelles Handwerk mit Popkultur, Mode mit Kunst und Dekoration oder Accessoires mit Funktion. Der Teppich, den sie im Kunstverein in Hamburg präsentiert, ist aus gemusterten Stoffen, synthetischen Fellen, Strick oder Tweed gefertigt, die sie in Streifen geschnitten und zu einem neuen Geflecht zusammengefügt hat. Gewebe ist hier nicht nur als textiles Material, sondern als ein gedankliches Konstrukt zu verstehen, wie beispielweise Jacques Derrida es auf die Schrift anwandte, um zu verdeutlichen: Sprache ist „ein Spiel von Verweisungen, das nirgends endet – und unsere sprachlichen Prozesse, unsere Kooperationen und „Verständigungsversuche“ sind nichts anderes als Anschlüsse.“ Derrida entdeckte überall Texte und Texturalität – Webstrukturen der Ordnung, ob es sich nun um Bauwerke oder literarische Werke handelt: Texte werden gebaut und Gebäude gewoben. Zur etwa gleichen Zeit in den 1970er Jahren wurden auch durch die kulturwissenschaftliche Analyse geschlechtsspezifischer Festschreibungen textile Materialien und Verarbeitungsweisen in das Feld der Kunst überführt. Selbst Künstlerinnen wie die Weberin Gunta Stözl, die 1927 als erste Frau die Webwerkstatt des Bauhauses übernahm, waren in die theoretischen Diskurse ihrer Zeit längst nicht eingebunden.
Schöttmer überwindet feste Zuschreibungen, testet Grenzen aus und gestaltet intermediale Räume: Die Installation im Kunstverein verbindet sich mit Soundstrukturen, die von Alexander Tsitsigias und Rasmus Engler komponiert wurden und einen sich kontinuierlich steigernden Klangteppich erzeugen. In dieser Schichtung verwandelt sich das Verhältnis zum unbekannten Anderen und wird Teil der Inszenierung:
Das Unbekannte ist nicht mehr das gegensätzlich Fremde, sondern die Option, die den Handlungsspielraum erweitert. Schöttmer thematisiert dies, indem sie Trennungen inszeniert, mediale Grenzen überschreitet und der Möglichkeit einen tatsächlichen Raum gibt.
Verena Schöttmer (geboren 1978 in Meppen, lebt und arbeitet in Hamburg) studierte an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg bei Pia Stadtbäumer und Michaela Melián. 2013 erhielt sie das Georg-Meistermann-Stipendium und war bis 2014 Artist in Residence im weissen haus in Wien. Ausstellungen hatte Schöttmer u.a. bei Bräuning Contemporary, Hamburg, im Böhmen, Berlin, im Kunstverein Harburger Bahnhof, Hamburg und im Kunstverein Ettlingen.
Die Ausstellungsfolge wird kuratiert von Bettina Steinbrügge und Nadine Droste. In Kooperation mit der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg. Zur Ausstellung ist eine Publikation erschienen.