Brandenburgischer Kunstverein

Anonymous

01 Sep - 20 Oct 2013

ANONYMOUS
Eine Ausstellung über den Gegenwert
Von 1. September 2013 bis 20. Oktober 2013

„Anonymous“ ist eine Ausstellung, in der alles das fehlt, worauf der gegenwärtige Kunstbetrieb ebenso wie die Medien, die über ihn berichten, allergrößten Wert legen: Namen, Biografien, Rangfolgen, messbar gemacht an Marktpreisen, Ausstellungslisten und anderen Meilensteinen in vielversprechenden Karrieren. Indem wir diese Daten zurückhalten, ignorieren wir auch alle Informationen, die aus solchen personalisierten Informationen abgeleitet werden: Die Einordnung von Werken in Erfolgsbiografien, die Legitimation der Exponate aus dem bisherigen Lebensweg eines Künstlers. "Anonymous" ist eine Ausstellung ohne Legenden, Personen, Prominenz und Betriebsgespräche. Für zwei Monate zeigen wir nackte Kunst.
Kurator: N. N.
Ausstellungsort: Freundschaftsinsel Eröffnung: Samstag, 31. August 2013 , 18:00
Eigentlich ändert sich nichts: Kunst hängt an Wänden, lässt sich betrachten und interpretieren. In Wahrheit ändert sich alles: Was ist ein Exponat, was eine Ausstellung wert, wenn das System Kunstbetrieb nicht seinen Segen gibt? Wenn niemand weiß, wer verantwortlich ist für die Hervorbringung an der Wand? Wenn wir nur noch unserem eigenen spontanen Urteil über das Objekt vertrauen können? Wenn die Werke selbst miteinander und dem Publikum kommunizieren, nicht die Erzählungen über Werke, wie Museen und Ausstellungshäuser sie jeden Tag aufs Neue hervorbringen müssen?

An „Anonymous“ haben mehrere KuratorInnen mitgewirkt. Es wird eine Anzahl von KünstlerInnen ausgestellt. Präzisere Aussagen zu Namen und Personen sind nicht verfügbar. Dabei wird die Ausstellung als fortlaufender anonymer Workshop der AusstellungsmacherInnen realisiert. Sie beginnt zum Zeitpunkt der Eröffnung mit einem einzigen Werk und wird während der Ausstellungsdauer fortlaufend ergänzt und zugleich umgehängt. Die KuratorInnen verzichten darauf, zu Beginn eine abschließende Werkliste vorzulegen oder auch nur anzufertigen, sondern revidieren ihre eigene Auswahl im Dialog mit der jeweils aktualisierten Hängung. Zwar wurden die Verfügbarkeit und die Transportvoraussetzungen einer Reihe von Leihgaben vorab geklärt. Die Konzeption sieht aber vor, dass weitere Objekte laufend und spontan hinzugefügt werden können und sollen. Auch im weiteren Verlauf der Ausstellung wird, während der Werkkorpus an- und zusammenwächst, kein Hinweis auf die Herkunft oder die Vorgeschichte der gezeigten Arbeiten gegeben. Und selbst wenn einzelne Exponate Besuchern mit Vorwissen bekannt erscheinen mögen, geben andere möglicherweise Rätsel auf, widersetzen sich den zunächst entwickelten Mutmaßungen und Hypothesen über Sinn und Zweck der Ausstellung oder verführen zu Ausdeutungen, die eine vorherige Einordnung in einen biografischen oder kunsthistorischen Zusammenhang verboten hätte.

Die Idee zu diesem Vorgehen entstand aus dem langjährig wachsenden Unbehagen der AusstellungsmacherInnen an einem Kunstbetrieb, der Methoden und Prozesse zunehmend ignoriert oder erst dann zur Kenntnis nimmt, wenn sie als Ergebnis eines wachsenden Markterfolgs gesichert erscheinen. So hatten Museen und Galerien die 2009 im Brandenburgischen Kunstverein gezeigte und in diesem Jahr verstorbene Künstlerin Channa Horwitz bis zu ihrem 76. Lebensjahr weitgehend ignoriert und ihr Ausstellungsmöglichkeiten verweigert. Als die Grafikerin und Konzeptualistin am Ende ihres Lebens durch die Vermittlung eines Künstlerkollegen wiederentdeckt und Schritt für Schritt in den Kunstmarkt unseres Jahrzehnts integriert wurde, galt sie plötzlich als Beispiel eigensinniger Authentizität, als Vertreterin eines ehrfurchtgebietenden individuellen Sonderwegs. 2013 wurde sie zur Biennale in Venedig eingeladen. Der Markt kämpft nun, nach ihrem Tod um den Zugriff auf ihre Werke.

Wie viel aber hat diese ständige, nervöse Sortierung von „Positionen“, ihre Promotion in Institutionen noch mit der Entwicklung (und Selbstkritik) künstlerischer Methoden zu tun? Gibt es Werke, die sich absichtsvoll vom herrschenden Kunstbetrieb entkoppeln? Führen Lebenswerke wie jenes von Channa Horwitz ein Doppelleben wie Jekyll und Hyde, bei dem der plötzliche „Erfolg“ im Ausstellungsbetrieb nur das verzerrte zweite Gesicht einer künstlerischen Entwicklung ist, deren Konsequenz gerade in einer Verweigerung betriebsgerechter Planerfüllung bestand? Sind die Werke, und das ist unsere zentrale Fragestellung, nach ihrem „Erfolg“ für das Publikum besser oder schlechter zu erkennen? Und warum interessiert uns so brennend der Erfolg (statt etwa der „Beschränkung“, die Horwitz als Kraftquelle nannte?)

Damit ist beiläufig ein Name gefallen. Tatsächlich aber wollen wir Urlaub nehmen von Namen, Biografien, Listen und Hierarchien und bieten Ihnen unsere Ausstellungsräume in diesem Sinne als Erholungsraum an. Die Ausstellung ist nicht misszuverstehen als Dechiffrierungsspiel um Namen und Positionen, sondern sie wirbt für einen sich ständig verändernden Aufenthaltsraum der Kunst, ein Spiegelkabinett aus Gegenständen, in dem die Namen und Summen abgeschaltet sind. Das Publikum ist autorisiert, zu denken, was es will.

Einzige Informationsquelle wird ein Karteikartensystem mit Reflexionen und Informationen zu den ausgestellten Exponaten sein, das wir aber nur in dem Maße vervollständigen, wie seine Inhalte nicht auf Personen und gesicherte betriebliche Erkenntnisse verweisen. Der Karteikasten wächst in dem Umfang, in dem der Ausstellung weitere Werke zugeführt werden. Im Übrigen gilt das gesprochene Wort zwischen Besuchern, dem Personal des Vereins und den sich ständig verändernden Aussagen der Werke.
 

Tags: Channa Horwitz