Clegg & Guttmann
05 - 07 Sep 2014
CLEGG & GUTTMANN
Die Sieben Künste von Pritzwalk
5 - 7 September 2014
Kurator: Gerrit Gohlke
In der Kunst gilt ein striktes Unten und Oben, es herrscht ein strenggläubiger Kult des Erfolgs. Umsätze müssen stimmen, Besuchermassen beeindrucken. Projektziele sollen sich generalstäblich erfüllen. Am Ende zählt nur, was sich in den Medien als erfolgreiches Produkt darstellen lässt. Doch was geschieht, wenn Kunst sich mutwillig um ihre mediale Verwertbarkeit nicht schert? Wenn der aktuelle Trend nichts zählt, weil der Mittelpunkt eines Projektes abseits der gutinformierten Kunstbetriebsmetropolen liegt? Können Künstler Teilhabe radikal wörtlich nehmen und sich auf das Jasagen anstelle der Abgrenzung konzentrieren?
Genau dies haben die Konzeptkünstler Clegg & Guttmann (Michael Clegg * 1957 in Dublin, Martin Guttmann * 1957 in Jerusalem) im Norden Brandenburgs getan. Sie haben die Einwohner der Zwölftausend-Einwohner-Stadt Pritzwalk aufgefordert, alle künstlerischen Inhalte eines dreimonatigen Ausstellungsprojekts selbst zu entwickeln und so das kollektive Selbstporträt einer Kleinstadt zu entwickeln. Nur, was die Bürger selbst vorschlagen, entwickeln und unterstützen würden, sollte in sieben gleichzeitig genutzten Ausstellungsräumen zu sehen sein.
Das Ergebnis ist erstaunlich. Über 60 Bürgervorschläge sind von Juni bis heute eingegangen und wurden so weit wie möglich umgesetzt. Die zunehmend verwaiste Innenstadt wurde zur Werkstatt und einem Schauraum Pritzwalker Akteure, von denen viele zum ersten Mal an die Öffentlichkeit getreten sind. Inzwischen wurden sogar ein Kunstverein und eine Bibliothek gegründet.
Im knapp 130 km von Berlin und Potsdam entfernten Pritzwalk ist das Selbstbild einer Stadt entstanden. Es ist zugleich ein radikaler Selbstversuch der Bildenden Kunst.
"Die sieben Künste von Pritzwalk“ setzen damit einen bürgerschaftlichen Auftrag um, der im Rahmen des europäischen Netzwerks „Neue Auftraggeber“ an den Brandenburgischen Kunstverein Potsdam (BKV) herangetragen worden war. „Neue Auftraggeber“ hat es sich zum Ziel gesetzt, Bürger vor allem in Regionen abseits der Kunstbetriebszentren zu ermächtigen, künstlerische Projekte zu initiieren. Eine Gruppe Pritzwalker Bürgerinnen hatte sich an den künstlerischen Leiter des BKV, Gerrit Gohlke, gewandt, der in Brandenburg für das Netzwerk als Mediator tätig ist.
Dabei war das Ziel anfangs, die Innenstadt der Prignitzer Kleinstadt durch ein Ausstellungsprojekt wiederzubeleben. Clegg & Guttmann verschärften das von Gohlke im Laufe von zwei Jahren im engen Kontakt mit lokalen Akteuren entwickelte Konzept eines „Porträts der schweigenden Mehrheit“ jedoch radikal, indem sie erklärten, es gehe nicht um eine von außen geleitete Intervention, sondern um die Offenlegung eines vorhandenen Potentials. „Sieben Künste“ gebe es in der von Schrumpfungsprozessen erfassten Stadt. Sieben Geschäfte sollten den sieben Disziplinen Musik, Film, Tanz, Theater, Bildende Kunst, Sprache und Mode gewidmet werden und allein Aktivitäten der Einwohner Raum bieten. Vom selbstgestalteten Plakat bis zur selbstkuratierten Ausstellung sollte die Gestalt des Projektes von innen entstehen. Lediglich sieben massive Holzrahmen dienten als vorgegebene Markierung der Ausstellungsflächen, die weder durch eine Design-Identität noch durch Architekturinstallationen vorgeprägt wurden. „Wenn nichts geschieht“, so Clegg & Guttmann zu Beginn des Projekts, „wird nichts zu sehen sein. Es gibt kein Scheitern, weil es keine Vorgaben gibt.“ Schon zu Beginn der Ausstellungstätigkeit lagen jedoch über 30 Bürgervorschläge vor. Die Bürgerschaft machte sich tatkräftig zu Hausherren der von immer neuen Leerständen bedrohten Innenstadt.
Dabei reichten die eingehenden Vorschläge von der Einrichtung einer Strandbar (nicht realisiert) bis zu Kunstausstellungen, einem Rap-Workshop, Comedy-Abenden, einer Jugendbibliothek, erotischem Bauchtanz oder einer Filmdokumentation durch Jugendliche (alle realisiert). Clegg & Guttmann beeinflussten ebenso wie der Kurator die Projekte nicht, jurierten nicht, gestalteten sie nicht nach Maßstäben der eigenen institutionellen Gewohnheiten um, sondern ermöglichen das Machbare und verstanden sich als Mitarbeiter der lokale Akteure. „Wo wir helfen, helfen wir nach unseren Standards“, so Michael Clegg, „genau so, wie wir unsere eigenen Arbeiten ernst nehmen.“
Im Verlauf dreier Monate wurde das Projekt so zu einem Dialog der Stadt mit sich selbst, der auch zu Kontroversen führte. War es richtig, eine Kinder- und Jugendbibliothek aus DDR-Kinderbüchern einzurichten, wie sie gerade aus vielen Regalen verschwinden, um abseits ideologischer Minenfelder, die Großeltern- und Enkelgeneration wieder ins Gespräch über die eigene Geschichte zu bringen? Die Meinungen gingen auseinander. Ist eine nachhaltige kulturelle Nutzung ein denkbarer Weg für eine entvölkerte Einkaufsstraße oder verdeckt die Kunst nur vorübergehend den Umsatzmangel? Beide Meinungen wurden vehement vertreten. Es gab aber auch Analysen wie die einer Projektteilnehmerin: „Wir müssen unsere Blockaden lösen“, gab sie als Projektziel vor. „Die Sieben Künste von Pritzwalk“ entwickelten sich beiläufig zu einem Diskurs darüber, was Kultur zuzutrauen ist, was Kunst im Zusammenstoß mit ökonomischen Umständen ausrichten kann und für wen Kultur eigentlich da sein soll. Wozu brauchen wir sie? Wer entscheidet über sie? Wie weit erlauben wir uns einen wirklichen Dialog über unsere Identität?
Zum Abschluss des Projekts und als gleichwertiger Projektbestandteil entsteht ein Buch, in dem auch von Clegg & Guttmann gemachte Bürgerporträts zu sehen sein werden. Sie erleben am Abschlusswochenende die Welturaufführung des „Pritzwalk-Songs“, sehen drei Ausstellungen, Ausschnitte aus Filmen und haben Gelegenheit mit allen Akteuren drei faszinierende Monate enger Zusammenarbeit zu feiern.
„ich tu, was ich tu aus Leidenschaft / würd ́gern noch mehr tun, doch die Zeit ist knapp / doch ich weiss schon, es gibt n nächstes Mal / Pritzwalk hat Talent, Mann, auf jeden Fall“
Zeilen aus dem Pritzwalk Song, getextet in einem Workshop des Musikers und Seeed-Texters Ono Ngcala mit Yves-Dominique Snelinski (13), Paul Tews (11) und Justin Drews (12)
Kuratiert von Gerrit Gohlke
Projektkoordination: Romy Range
Die Sieben Künste von Pritzwalk
5 - 7 September 2014
Kurator: Gerrit Gohlke
In der Kunst gilt ein striktes Unten und Oben, es herrscht ein strenggläubiger Kult des Erfolgs. Umsätze müssen stimmen, Besuchermassen beeindrucken. Projektziele sollen sich generalstäblich erfüllen. Am Ende zählt nur, was sich in den Medien als erfolgreiches Produkt darstellen lässt. Doch was geschieht, wenn Kunst sich mutwillig um ihre mediale Verwertbarkeit nicht schert? Wenn der aktuelle Trend nichts zählt, weil der Mittelpunkt eines Projektes abseits der gutinformierten Kunstbetriebsmetropolen liegt? Können Künstler Teilhabe radikal wörtlich nehmen und sich auf das Jasagen anstelle der Abgrenzung konzentrieren?
Genau dies haben die Konzeptkünstler Clegg & Guttmann (Michael Clegg * 1957 in Dublin, Martin Guttmann * 1957 in Jerusalem) im Norden Brandenburgs getan. Sie haben die Einwohner der Zwölftausend-Einwohner-Stadt Pritzwalk aufgefordert, alle künstlerischen Inhalte eines dreimonatigen Ausstellungsprojekts selbst zu entwickeln und so das kollektive Selbstporträt einer Kleinstadt zu entwickeln. Nur, was die Bürger selbst vorschlagen, entwickeln und unterstützen würden, sollte in sieben gleichzeitig genutzten Ausstellungsräumen zu sehen sein.
Das Ergebnis ist erstaunlich. Über 60 Bürgervorschläge sind von Juni bis heute eingegangen und wurden so weit wie möglich umgesetzt. Die zunehmend verwaiste Innenstadt wurde zur Werkstatt und einem Schauraum Pritzwalker Akteure, von denen viele zum ersten Mal an die Öffentlichkeit getreten sind. Inzwischen wurden sogar ein Kunstverein und eine Bibliothek gegründet.
Im knapp 130 km von Berlin und Potsdam entfernten Pritzwalk ist das Selbstbild einer Stadt entstanden. Es ist zugleich ein radikaler Selbstversuch der Bildenden Kunst.
"Die sieben Künste von Pritzwalk“ setzen damit einen bürgerschaftlichen Auftrag um, der im Rahmen des europäischen Netzwerks „Neue Auftraggeber“ an den Brandenburgischen Kunstverein Potsdam (BKV) herangetragen worden war. „Neue Auftraggeber“ hat es sich zum Ziel gesetzt, Bürger vor allem in Regionen abseits der Kunstbetriebszentren zu ermächtigen, künstlerische Projekte zu initiieren. Eine Gruppe Pritzwalker Bürgerinnen hatte sich an den künstlerischen Leiter des BKV, Gerrit Gohlke, gewandt, der in Brandenburg für das Netzwerk als Mediator tätig ist.
Dabei war das Ziel anfangs, die Innenstadt der Prignitzer Kleinstadt durch ein Ausstellungsprojekt wiederzubeleben. Clegg & Guttmann verschärften das von Gohlke im Laufe von zwei Jahren im engen Kontakt mit lokalen Akteuren entwickelte Konzept eines „Porträts der schweigenden Mehrheit“ jedoch radikal, indem sie erklärten, es gehe nicht um eine von außen geleitete Intervention, sondern um die Offenlegung eines vorhandenen Potentials. „Sieben Künste“ gebe es in der von Schrumpfungsprozessen erfassten Stadt. Sieben Geschäfte sollten den sieben Disziplinen Musik, Film, Tanz, Theater, Bildende Kunst, Sprache und Mode gewidmet werden und allein Aktivitäten der Einwohner Raum bieten. Vom selbstgestalteten Plakat bis zur selbstkuratierten Ausstellung sollte die Gestalt des Projektes von innen entstehen. Lediglich sieben massive Holzrahmen dienten als vorgegebene Markierung der Ausstellungsflächen, die weder durch eine Design-Identität noch durch Architekturinstallationen vorgeprägt wurden. „Wenn nichts geschieht“, so Clegg & Guttmann zu Beginn des Projekts, „wird nichts zu sehen sein. Es gibt kein Scheitern, weil es keine Vorgaben gibt.“ Schon zu Beginn der Ausstellungstätigkeit lagen jedoch über 30 Bürgervorschläge vor. Die Bürgerschaft machte sich tatkräftig zu Hausherren der von immer neuen Leerständen bedrohten Innenstadt.
Dabei reichten die eingehenden Vorschläge von der Einrichtung einer Strandbar (nicht realisiert) bis zu Kunstausstellungen, einem Rap-Workshop, Comedy-Abenden, einer Jugendbibliothek, erotischem Bauchtanz oder einer Filmdokumentation durch Jugendliche (alle realisiert). Clegg & Guttmann beeinflussten ebenso wie der Kurator die Projekte nicht, jurierten nicht, gestalteten sie nicht nach Maßstäben der eigenen institutionellen Gewohnheiten um, sondern ermöglichen das Machbare und verstanden sich als Mitarbeiter der lokale Akteure. „Wo wir helfen, helfen wir nach unseren Standards“, so Michael Clegg, „genau so, wie wir unsere eigenen Arbeiten ernst nehmen.“
Im Verlauf dreier Monate wurde das Projekt so zu einem Dialog der Stadt mit sich selbst, der auch zu Kontroversen führte. War es richtig, eine Kinder- und Jugendbibliothek aus DDR-Kinderbüchern einzurichten, wie sie gerade aus vielen Regalen verschwinden, um abseits ideologischer Minenfelder, die Großeltern- und Enkelgeneration wieder ins Gespräch über die eigene Geschichte zu bringen? Die Meinungen gingen auseinander. Ist eine nachhaltige kulturelle Nutzung ein denkbarer Weg für eine entvölkerte Einkaufsstraße oder verdeckt die Kunst nur vorübergehend den Umsatzmangel? Beide Meinungen wurden vehement vertreten. Es gab aber auch Analysen wie die einer Projektteilnehmerin: „Wir müssen unsere Blockaden lösen“, gab sie als Projektziel vor. „Die Sieben Künste von Pritzwalk“ entwickelten sich beiläufig zu einem Diskurs darüber, was Kultur zuzutrauen ist, was Kunst im Zusammenstoß mit ökonomischen Umständen ausrichten kann und für wen Kultur eigentlich da sein soll. Wozu brauchen wir sie? Wer entscheidet über sie? Wie weit erlauben wir uns einen wirklichen Dialog über unsere Identität?
Zum Abschluss des Projekts und als gleichwertiger Projektbestandteil entsteht ein Buch, in dem auch von Clegg & Guttmann gemachte Bürgerporträts zu sehen sein werden. Sie erleben am Abschlusswochenende die Welturaufführung des „Pritzwalk-Songs“, sehen drei Ausstellungen, Ausschnitte aus Filmen und haben Gelegenheit mit allen Akteuren drei faszinierende Monate enger Zusammenarbeit zu feiern.
„ich tu, was ich tu aus Leidenschaft / würd ́gern noch mehr tun, doch die Zeit ist knapp / doch ich weiss schon, es gibt n nächstes Mal / Pritzwalk hat Talent, Mann, auf jeden Fall“
Zeilen aus dem Pritzwalk Song, getextet in einem Workshop des Musikers und Seeed-Texters Ono Ngcala mit Yves-Dominique Snelinski (13), Paul Tews (11) und Justin Drews (12)
Kuratiert von Gerrit Gohlke
Projektkoordination: Romy Range