Der Brandenburg-Atlas
07 Dec 2016 - 26 Feb 2017
DER BRANDENBURG-ATLAS
Harms Cyrill Bellin, Christiane Bergelt, Birgit Cauer, Clegg & Guttmann, Jana Debrodt, Jörg Engelhardt, Holger Friese, Rainer Gottemeier, Göran Gnaudschun, Katrin Günther, Klaus Hack, Anne Heinlein, Ulrike Hogrebe, Mona Jas, Gabriele Konsor, Lea Kontak, Phillip Langer, David Lehmann, Katrin von Lehmann, Inge Mahn, Antje Majewski, Micha Otto, Ronald Paris, Gudrun Sailer, Jörg Sasse, Hans Otto Schmidt, Barbara Steppe, Bernd Streiter, Carolin Wachter, Ilse Winckler
7 Dezember 2016 - 26 Februar 2017
Kurator: Gerrit Gohlke
Zwei Monate lang wagen wir ein Experiment: In einer Stichprobe mit 30 Künstlerinnen und Künstlern zeigen wir einen subjektiven Querschnitt durch die künstlerische Produktion in Brandenburg. Unter Missachtung aller Grenzen, Genres, Hierarchien stellen wir aus, was uns aufgefallen ist. Die Ausstellung wird zur Feldstudie - nicht nur über ein Land, sonden auch darüber, wie fließend Kultur und Identität erscheinen, wenn man schaut, ohne das Ergebnis zu kennen.
Die Ausstellung ist für die Betrachtung von außen konzipiert und ist zu den Öffnungszeiten des Gartendenkmals von Sonnenaufgang bis 17 Uhr zu sehen. Nach Ankündigung finden weitere Sonderführungen statt, zu denen der Innenraum für das Publikum geöffnet wird.
Immer wenn in der Gegenwartskunst von Regionen die Rede ist, wird es merkwürdig unkonkret. Zwar gab es einmal geografisch fest umrissene Schulen. Es gab Entwicklungen, die sich von einem Ort her auszubreiten begannen. Heute aber weiß niemand mehr, was eine römische Künstlerin oder ein Berliner Maler wirklich sein könnten. Zu Hause vor der Tür, wenn von brandenburgischer Kunst die Rede ist, klingt der Herkunftsbegriff mehr nach Verwaltungsgrenze als nach künstlerischer Gemeinsamkeit. Die Bereitschaft zur Identifikation mit einem solchen Standort verhält sich umgekehrt proportional zu Erfolg und Selbstbewusstsein im Kunstbetrieb. Die Zeit des Schongauer Meisters ist vorbei. Künstler oder Künstlerin ist man individuell.
Und doch, ob man es nun leugnet oder nicht: Der Kunstbetrieb glaubt an Zentren. Die Kunstwelt lebt nach hierarchischen Gesetzen, in denen Wohn- und Arbeitsorte Klassenbegriffe sind. 1. oder 2. Liga? London oder Liverpool? Berlin oder Hannover? Die Postanschrift des Ateliers markiert das Revier.
Natürlich sind das Klischees. Man arbeitet, wo man muss oder wo es bezahlbar ist. Die Biografien vieler wichtiger Künstler sind mit Dorfnamen verbunden. Und doch bleibt die Ortszugehörigkeit ein Kampfbegriff. Auch im Sinne des ebenso mächtigen Ressentiments: „Warum zeigen Sie nicht mehr Künstler aus der Region?“, heißt eine bekannte Abwehr gegen den Import des Fremden. Dabei könnte in Zeiten, in denen in der Politik wieder die Heimatklischees ausgepackt werden, die Bereitschaft zur Grenzüberschreitung ganz neue Bedeutung erlangen. Kunst kann dabei sachdienliche Hinweise geben, dass nichts so eindeutig, so starr und so unabänderlich ist, wie es scheint. Oft wissen wir gar nicht, was das Regionale eigentlich ausmacht, weil es sich schneller verändert als uns bewusst ist und die Realitäten und Identitäten verfließen.
Der „Brandenburg-Atlas“ ist in dieser Hinsicht eine Mischung aus Laborinstrument und Demonstration. Die „Berücksichtigung der regionalen Identität“ verlangt die Kulturpolitik und hat dafür ihre Gründe. Was aber stellen wir uns unter dieser Identität vor und was finden wir, wenn wir uns auf den Weg machen, sie zu suchen? „Kulturland“ heißt ein Fördergeber in Brandenburg. Uns interessiert, was unter Gegenwartsbedingungen ein Kulturland wäre.
Auf der Suche nach einer Antwort haben wir einen Schaukasten eingerichtet. Er dient uns als gläserne Vitrine des nebeneinander Auffindbaren. Wer sich bereit erklärt, darin ausgestellt zu werden, willigt in die Zumutung ein, um des Experimentes willen einer Herkunftsbezeichnung unterworfen zu werden. Wir haben ohne Anspruch auf Repräsentativität oder gar Vollständigkeit Ateliers besucht, sind Empfehlungen gefolgt und haben schließlich ein fast 25 Meter langes Regalsystem errichtet, das keiner Überschrift und keiner Ordnung folgt. Die Gemeinsamkeit aller Objekte ist allein, dass uns jedes Exponat überzeugt. Jedes wollten wir Ihnen zeigen. Jedes ist mit dem Produktionsort Brandenburg verknüpft. Jedes hat sich seine Nachbarschaft nicht ausgesucht und verlangt in ihr völlig für sich allein unsere Aufmerksamkeit.
Natürlich kennen wir die feinen Unterschiede im Kunstbetrieb und wissen, dass er voller Grenzen ist. Differenzen und Differenzierung gehören zu unserem Geschäft. Was, wenn wir aber den Bezugsrahmen verschieben? Das Ausgrabungsfeld nach einem anderen Kriterium abstecken? Uns von einem Begriff leiten lassen, der zu Projektionen einlädt, der ständig genutzt wird, aber von dem es keine überprüfbare Anschauung gibt? Was, wenn wir einfach abwarten, was zu sehen ist?
In einer Zeit, in der sich ein überwunden geglaubtes Verständnis homogener kultureller Identität ausbreitet, erscheint es uns ein sinnvolles Experiment, die Vereinbarkeit des Unvereinbaren zu testen. Nicht der verbindende Brückenschlag zwischen Identitäten ist einer neuen konservativen Weltsicht wichtig, sondern die Verteidigung einer imaginierten festen Identität. Unser Atlas will stattdessen ein Spiegelbild sein, in dem wir uns, ungeschützt von festen Kategorien beim Beobachten sehen.
Es gehört zu den positiven Erfahrungen des Projekts, das sich alle eingeladenen Künstlerinnen und Künstler vorbehaltlos auf unser Forschungsvorhaben eingelassen haben, wohl wissend, dass auch ein Schaukasten, der Grenzen aufheben will, seinerseits eine strikte formale Begrenzung ist. Die Stichprobe und die Diskussion darüber, was in ihr zu sehen sein sollte, ist also ein Gemeinschaftsprojekt aller Beteiligten.
Vor allem aber ist dieser „Atlas“ eine Stichprobe unserer eigenen Aufmerksamkeit. Er deutet eben auch an, was uns zuweilen entgeht, was sich nicht in unser System fügt. Indem es unsere übliche kuratorische Arbeitsweise außer Kraft setzt, weist es auch auf die blinden Flecken hin, die unsere (und jede) Ausstellungspraxis stets unausgesprochen hat.
So ist das Projekt vor allem eines: ein Plädoyer für Grenzüberschreitungen. Da, wo es glückt, stellt es vielleicht unsere Projektionen durch Anschauung und Konkretion auf die Probe.
Der BKV dankt allen beteiligten Künstlerinnen und Künstlern, Tischlermeister Jürgen Arnold, Petra Schmidt Dreyblatt und Daniela Dietsche.
Mit Unterstützung des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg.
Harms Cyrill Bellin, Christiane Bergelt, Birgit Cauer, Clegg & Guttmann, Jana Debrodt, Jörg Engelhardt, Holger Friese, Rainer Gottemeier, Göran Gnaudschun, Katrin Günther, Klaus Hack, Anne Heinlein, Ulrike Hogrebe, Mona Jas, Gabriele Konsor, Lea Kontak, Phillip Langer, David Lehmann, Katrin von Lehmann, Inge Mahn, Antje Majewski, Micha Otto, Ronald Paris, Gudrun Sailer, Jörg Sasse, Hans Otto Schmidt, Barbara Steppe, Bernd Streiter, Carolin Wachter, Ilse Winckler
7 Dezember 2016 - 26 Februar 2017
Kurator: Gerrit Gohlke
Zwei Monate lang wagen wir ein Experiment: In einer Stichprobe mit 30 Künstlerinnen und Künstlern zeigen wir einen subjektiven Querschnitt durch die künstlerische Produktion in Brandenburg. Unter Missachtung aller Grenzen, Genres, Hierarchien stellen wir aus, was uns aufgefallen ist. Die Ausstellung wird zur Feldstudie - nicht nur über ein Land, sonden auch darüber, wie fließend Kultur und Identität erscheinen, wenn man schaut, ohne das Ergebnis zu kennen.
Die Ausstellung ist für die Betrachtung von außen konzipiert und ist zu den Öffnungszeiten des Gartendenkmals von Sonnenaufgang bis 17 Uhr zu sehen. Nach Ankündigung finden weitere Sonderführungen statt, zu denen der Innenraum für das Publikum geöffnet wird.
Immer wenn in der Gegenwartskunst von Regionen die Rede ist, wird es merkwürdig unkonkret. Zwar gab es einmal geografisch fest umrissene Schulen. Es gab Entwicklungen, die sich von einem Ort her auszubreiten begannen. Heute aber weiß niemand mehr, was eine römische Künstlerin oder ein Berliner Maler wirklich sein könnten. Zu Hause vor der Tür, wenn von brandenburgischer Kunst die Rede ist, klingt der Herkunftsbegriff mehr nach Verwaltungsgrenze als nach künstlerischer Gemeinsamkeit. Die Bereitschaft zur Identifikation mit einem solchen Standort verhält sich umgekehrt proportional zu Erfolg und Selbstbewusstsein im Kunstbetrieb. Die Zeit des Schongauer Meisters ist vorbei. Künstler oder Künstlerin ist man individuell.
Und doch, ob man es nun leugnet oder nicht: Der Kunstbetrieb glaubt an Zentren. Die Kunstwelt lebt nach hierarchischen Gesetzen, in denen Wohn- und Arbeitsorte Klassenbegriffe sind. 1. oder 2. Liga? London oder Liverpool? Berlin oder Hannover? Die Postanschrift des Ateliers markiert das Revier.
Natürlich sind das Klischees. Man arbeitet, wo man muss oder wo es bezahlbar ist. Die Biografien vieler wichtiger Künstler sind mit Dorfnamen verbunden. Und doch bleibt die Ortszugehörigkeit ein Kampfbegriff. Auch im Sinne des ebenso mächtigen Ressentiments: „Warum zeigen Sie nicht mehr Künstler aus der Region?“, heißt eine bekannte Abwehr gegen den Import des Fremden. Dabei könnte in Zeiten, in denen in der Politik wieder die Heimatklischees ausgepackt werden, die Bereitschaft zur Grenzüberschreitung ganz neue Bedeutung erlangen. Kunst kann dabei sachdienliche Hinweise geben, dass nichts so eindeutig, so starr und so unabänderlich ist, wie es scheint. Oft wissen wir gar nicht, was das Regionale eigentlich ausmacht, weil es sich schneller verändert als uns bewusst ist und die Realitäten und Identitäten verfließen.
Der „Brandenburg-Atlas“ ist in dieser Hinsicht eine Mischung aus Laborinstrument und Demonstration. Die „Berücksichtigung der regionalen Identität“ verlangt die Kulturpolitik und hat dafür ihre Gründe. Was aber stellen wir uns unter dieser Identität vor und was finden wir, wenn wir uns auf den Weg machen, sie zu suchen? „Kulturland“ heißt ein Fördergeber in Brandenburg. Uns interessiert, was unter Gegenwartsbedingungen ein Kulturland wäre.
Auf der Suche nach einer Antwort haben wir einen Schaukasten eingerichtet. Er dient uns als gläserne Vitrine des nebeneinander Auffindbaren. Wer sich bereit erklärt, darin ausgestellt zu werden, willigt in die Zumutung ein, um des Experimentes willen einer Herkunftsbezeichnung unterworfen zu werden. Wir haben ohne Anspruch auf Repräsentativität oder gar Vollständigkeit Ateliers besucht, sind Empfehlungen gefolgt und haben schließlich ein fast 25 Meter langes Regalsystem errichtet, das keiner Überschrift und keiner Ordnung folgt. Die Gemeinsamkeit aller Objekte ist allein, dass uns jedes Exponat überzeugt. Jedes wollten wir Ihnen zeigen. Jedes ist mit dem Produktionsort Brandenburg verknüpft. Jedes hat sich seine Nachbarschaft nicht ausgesucht und verlangt in ihr völlig für sich allein unsere Aufmerksamkeit.
Natürlich kennen wir die feinen Unterschiede im Kunstbetrieb und wissen, dass er voller Grenzen ist. Differenzen und Differenzierung gehören zu unserem Geschäft. Was, wenn wir aber den Bezugsrahmen verschieben? Das Ausgrabungsfeld nach einem anderen Kriterium abstecken? Uns von einem Begriff leiten lassen, der zu Projektionen einlädt, der ständig genutzt wird, aber von dem es keine überprüfbare Anschauung gibt? Was, wenn wir einfach abwarten, was zu sehen ist?
In einer Zeit, in der sich ein überwunden geglaubtes Verständnis homogener kultureller Identität ausbreitet, erscheint es uns ein sinnvolles Experiment, die Vereinbarkeit des Unvereinbaren zu testen. Nicht der verbindende Brückenschlag zwischen Identitäten ist einer neuen konservativen Weltsicht wichtig, sondern die Verteidigung einer imaginierten festen Identität. Unser Atlas will stattdessen ein Spiegelbild sein, in dem wir uns, ungeschützt von festen Kategorien beim Beobachten sehen.
Es gehört zu den positiven Erfahrungen des Projekts, das sich alle eingeladenen Künstlerinnen und Künstler vorbehaltlos auf unser Forschungsvorhaben eingelassen haben, wohl wissend, dass auch ein Schaukasten, der Grenzen aufheben will, seinerseits eine strikte formale Begrenzung ist. Die Stichprobe und die Diskussion darüber, was in ihr zu sehen sein sollte, ist also ein Gemeinschaftsprojekt aller Beteiligten.
Vor allem aber ist dieser „Atlas“ eine Stichprobe unserer eigenen Aufmerksamkeit. Er deutet eben auch an, was uns zuweilen entgeht, was sich nicht in unser System fügt. Indem es unsere übliche kuratorische Arbeitsweise außer Kraft setzt, weist es auch auf die blinden Flecken hin, die unsere (und jede) Ausstellungspraxis stets unausgesprochen hat.
So ist das Projekt vor allem eines: ein Plädoyer für Grenzüberschreitungen. Da, wo es glückt, stellt es vielleicht unsere Projektionen durch Anschauung und Konkretion auf die Probe.
Der BKV dankt allen beteiligten Künstlerinnen und Künstlern, Tischlermeister Jürgen Arnold, Petra Schmidt Dreyblatt und Daniela Dietsche.
Mit Unterstützung des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg.