expo
17 Mar - 10 May 2014
EXPO
18. März bis 11. Mai 2014
1973 wurde der Ausstellungspavillon auf der Freundschaftsinsel errichtet, ein Ableger des Aufbruchs, der von den Weltjugendfestspielen in Berlin ausging. Bettina Allamoda und Manfred Pernice erinnern an die Ästhetik dieser Zeit und schaffen im gläsernen Pavillon eine experimentelle Collage zwischen Form und Reform. „expo“ ist eine Ausstellung über die universelle Einsatzfähigkeit der Moderne, Kompromisse mit ihr und unseren Umgang mit Geschichte und Erinnerung.
Künstler: Bettina Allamoda, Manfred Pernice
Kurator: Gerrit Gohlke
Ausstellungsort: Freundschaftsinsel Eröffnung: Sonntag, 16. März 2014 , 16:00
1973: Over 40 years today, the former GDR exhibition pavilion on Freundschaftsinsel in Potsdam was built. Transforming the pavilion into a laboratory, Bettina Allamoda and Manfred Pernice experiment with the esthetics of the period in a collaborative project developing a site specific sculptural collage environment. Somewhere between form and reform, „expo" deals with compromises of modernism and our approach to history and memory.
Wer seine Ausstellung mit Bedacht “expo” nennt, muss die ganze Welt meinen. Exposition Universelle Internationale, Exposition Mondiale, Weltausstellung. Seit 1926 gibt es sogar einen internationalen Ausschuss, der bestimmt, was “expo” heißen darf. Und seit ihrer Erfindung 1851 in London sind Weltausstellungen Erlebnisparks gewesen, in deren Schauarchitekturen Nationen darum wetteifern, was zeigbar und repräsentationswürdig ist. “expo” ist kein Angebot, “expo” ist ein Definitionsmaßstab, dem allerdings eine gewisse Normungs-Komik eigen ist: Wer eine “expo” gestaltet, will für die ganze unüberschaubare Welt über das offiziell Sichtbare entscheiden. Was rein darf und was draußen bleibt, womit man sich darstellt und wo man lieber Lücken lässt, was eine gelungene Schaustellung und was die richtige Darstellungsform ist – wer die “expo” hat, beansprucht den Weltmaßstab für sein Miniaturmodell.
So allumfassend denkt neben staatlichen Agenturen sonst nur die Kunst. Die “expo” von Bettina Allamoda und Manfred Pernice stellt deshalb nicht nur wie jede Ausstellung eine Welt unter Modellbedingungen zusammen, sondern handelt davon, was diese Welt zusammenhält, wer in ihr die Entscheidungen trifft, was in ihr enthalten ist und was wir uns in sie hineindenken. Es geht in ihr darum, wie viel Zwischenräume das Welt-Modell Kunst erlaubt.
Andersherum gefragt: Wie expo ist die Kunst? Ist es nicht seltsam, ein gläsernes Gehäuse in einen formal strikt gestalteten Lehrgarten zu stellen, ein Stück Welt zu isolieren und zugleich zur Schau zu stellen und über dieses Territorium zu entscheiden, als gelte es die ganze Welt? Dabei geht es nicht um eine beliebige spätmodernistische Architektur, sondern um einen Pavillon, der 1973 anlässlich der „X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten“ gebaut wurde, Ableger eines staatlich geplanten Aufbruchs, der sich so sehr verselbständigte, dass er als „Woodstock“ des Ostens zum uneingestandenen Alptraum der staatlichen Kontrollorgane wurde.
Schon die glasklare Moderne, die 15 x 15 Meter Ausstellungsfläche aus der Welt herausschneidet, verhält sich also nicht neutral. Sie ist ein Boxring der Geschichte. Eine Camera obscura, deren Bildervorrat das Publikum in seinem Gedächtnis heranträgt, in dessen Innerem es dann aber klare künstlerische Entscheidungen erwartet. Haben wir und die Kunst eine Chance, uns darin der Entscheidungsschlacht über die gute und richtige Identität zu entziehen?
Bettina Allamoda (*1964) und Manfred Pernice (*1963) sind keine Illusionisten. Sie wollen den Film nicht rückwärts laufen lassen oder eine Zeitmaschine installieren. Allamoda entnimmt einen großen Teil der verwendeten Bildmaterialien nicht Beständen des Optischen Museums Jena, um den VEB Carl Zeiss Jena, die DDR-Designgeschichte oder das Recht auf Unvoreingenommenheit gegenüber dem eigenen ästhetischen Gedächtnis zu rehabilitieren. Es geht Manfred Pernice nicht darum, Verbeugungen vor den X. Weltfestspielen zu machen, wenn er deren Logo zitiert, Skulpturen mit historischen Publikationen anreichert oder im Raum eine ebenso symbolische wie benutz- und besitzbare Arena installiert.
Zwar tragen die Objekte Memorabilia mit sich herum und vergleichen über Epochen und Systeme hinweg die Verräumlichung ästhetischer Selbstdarstellung. Vor allem aber handeln sie von der eigenen Zusammensetzung, vom Provisorium der Gegen-Form, dem temporären Gleichgewicht des Nicht-Endgültigen, der Zumutung der Unabgeschlossenheit. „expo“ lässt sich bei der eigenen Vermaßstäblichung zusehen, bis hin um Wortsinn, wenn eine dem Wanddekor des Optischen Museums entstammende geodätische Nivellierlatte als Bildfragment zum Skulpturbestandteil wird oder ein Objekt sich als Gefäß nützlich macht, von seinem archivarischen Inhalt aber völlig unberührt bleibt.
Die Verhältnisse klären sich also nicht auf. „expo“ schafft aber einen schwebenden Zwischenraum gegenüber unserem Bemühen, nach fix und fertiger Aufklärung über die Formen, nach niet- und nagelfesten Entscheidungen über das Ästhetische. Wie Formen eingesetzt, umgewandelt, durch den Wolf gedreht, diktiert, zurückgenommen, missverstanden werden. Wie vor allem aber nicht allein die Inhalte, sondern die Gesten, mit denen sie gezeigt werden, sich als mehrdeutig, nicht normierbar, variierbar, fließend erweisen.
Die Ausstellung, in der zwei Künstler ihre Objekte und Methoden zu einer Patchwork-Gesamt-Urheberschaft zusammenrücken, ohne sie zu verschmelzen (und dabei ihre Namen abkürzen), verweist ebenso sehr auf die Lücken zwischen dem Gezeigten wie auf das Gezeigte selbst. Sie unterstellt, dass es auf die Lücken ankommt. Darauf, dass das Ungreifbare über die Bedeutung des Greifbaren mitbestimmt. Dass ein gesundes Misstrauen gegenüber Welterklärungen und Weltausstellungen angebracht ist. Gegenüber der Welt natürlich sowieso.
Wer also auf das Ausstellungsgebäude zugeht, hat (nach Schätzungen der Betreiber) vier Fünftel des Sichtbaren schon gesehen. Auf dem Weg dahin. Im bisherigen Leben. Beim Betrachten von Nachrichtenmedien. Im Geschichtsunterricht. Der Wunsch, die Ausstellung müsse die Dinge wie im Setzkasten ordnen, Aussagen kommunizieren, uns beruhigen, fällt auf uns selber zurück. Der Außenraum ist innen. Der Innenraum findet draußen statt. Dazwischen können wir gelassen balancieren.
Mit freundlicher Unterstützung durch die eps GmbH
18. März bis 11. Mai 2014
1973 wurde der Ausstellungspavillon auf der Freundschaftsinsel errichtet, ein Ableger des Aufbruchs, der von den Weltjugendfestspielen in Berlin ausging. Bettina Allamoda und Manfred Pernice erinnern an die Ästhetik dieser Zeit und schaffen im gläsernen Pavillon eine experimentelle Collage zwischen Form und Reform. „expo“ ist eine Ausstellung über die universelle Einsatzfähigkeit der Moderne, Kompromisse mit ihr und unseren Umgang mit Geschichte und Erinnerung.
Künstler: Bettina Allamoda, Manfred Pernice
Kurator: Gerrit Gohlke
Ausstellungsort: Freundschaftsinsel Eröffnung: Sonntag, 16. März 2014 , 16:00
1973: Over 40 years today, the former GDR exhibition pavilion on Freundschaftsinsel in Potsdam was built. Transforming the pavilion into a laboratory, Bettina Allamoda and Manfred Pernice experiment with the esthetics of the period in a collaborative project developing a site specific sculptural collage environment. Somewhere between form and reform, „expo" deals with compromises of modernism and our approach to history and memory.
Wer seine Ausstellung mit Bedacht “expo” nennt, muss die ganze Welt meinen. Exposition Universelle Internationale, Exposition Mondiale, Weltausstellung. Seit 1926 gibt es sogar einen internationalen Ausschuss, der bestimmt, was “expo” heißen darf. Und seit ihrer Erfindung 1851 in London sind Weltausstellungen Erlebnisparks gewesen, in deren Schauarchitekturen Nationen darum wetteifern, was zeigbar und repräsentationswürdig ist. “expo” ist kein Angebot, “expo” ist ein Definitionsmaßstab, dem allerdings eine gewisse Normungs-Komik eigen ist: Wer eine “expo” gestaltet, will für die ganze unüberschaubare Welt über das offiziell Sichtbare entscheiden. Was rein darf und was draußen bleibt, womit man sich darstellt und wo man lieber Lücken lässt, was eine gelungene Schaustellung und was die richtige Darstellungsform ist – wer die “expo” hat, beansprucht den Weltmaßstab für sein Miniaturmodell.
So allumfassend denkt neben staatlichen Agenturen sonst nur die Kunst. Die “expo” von Bettina Allamoda und Manfred Pernice stellt deshalb nicht nur wie jede Ausstellung eine Welt unter Modellbedingungen zusammen, sondern handelt davon, was diese Welt zusammenhält, wer in ihr die Entscheidungen trifft, was in ihr enthalten ist und was wir uns in sie hineindenken. Es geht in ihr darum, wie viel Zwischenräume das Welt-Modell Kunst erlaubt.
Andersherum gefragt: Wie expo ist die Kunst? Ist es nicht seltsam, ein gläsernes Gehäuse in einen formal strikt gestalteten Lehrgarten zu stellen, ein Stück Welt zu isolieren und zugleich zur Schau zu stellen und über dieses Territorium zu entscheiden, als gelte es die ganze Welt? Dabei geht es nicht um eine beliebige spätmodernistische Architektur, sondern um einen Pavillon, der 1973 anlässlich der „X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten“ gebaut wurde, Ableger eines staatlich geplanten Aufbruchs, der sich so sehr verselbständigte, dass er als „Woodstock“ des Ostens zum uneingestandenen Alptraum der staatlichen Kontrollorgane wurde.
Schon die glasklare Moderne, die 15 x 15 Meter Ausstellungsfläche aus der Welt herausschneidet, verhält sich also nicht neutral. Sie ist ein Boxring der Geschichte. Eine Camera obscura, deren Bildervorrat das Publikum in seinem Gedächtnis heranträgt, in dessen Innerem es dann aber klare künstlerische Entscheidungen erwartet. Haben wir und die Kunst eine Chance, uns darin der Entscheidungsschlacht über die gute und richtige Identität zu entziehen?
Bettina Allamoda (*1964) und Manfred Pernice (*1963) sind keine Illusionisten. Sie wollen den Film nicht rückwärts laufen lassen oder eine Zeitmaschine installieren. Allamoda entnimmt einen großen Teil der verwendeten Bildmaterialien nicht Beständen des Optischen Museums Jena, um den VEB Carl Zeiss Jena, die DDR-Designgeschichte oder das Recht auf Unvoreingenommenheit gegenüber dem eigenen ästhetischen Gedächtnis zu rehabilitieren. Es geht Manfred Pernice nicht darum, Verbeugungen vor den X. Weltfestspielen zu machen, wenn er deren Logo zitiert, Skulpturen mit historischen Publikationen anreichert oder im Raum eine ebenso symbolische wie benutz- und besitzbare Arena installiert.
Zwar tragen die Objekte Memorabilia mit sich herum und vergleichen über Epochen und Systeme hinweg die Verräumlichung ästhetischer Selbstdarstellung. Vor allem aber handeln sie von der eigenen Zusammensetzung, vom Provisorium der Gegen-Form, dem temporären Gleichgewicht des Nicht-Endgültigen, der Zumutung der Unabgeschlossenheit. „expo“ lässt sich bei der eigenen Vermaßstäblichung zusehen, bis hin um Wortsinn, wenn eine dem Wanddekor des Optischen Museums entstammende geodätische Nivellierlatte als Bildfragment zum Skulpturbestandteil wird oder ein Objekt sich als Gefäß nützlich macht, von seinem archivarischen Inhalt aber völlig unberührt bleibt.
Die Verhältnisse klären sich also nicht auf. „expo“ schafft aber einen schwebenden Zwischenraum gegenüber unserem Bemühen, nach fix und fertiger Aufklärung über die Formen, nach niet- und nagelfesten Entscheidungen über das Ästhetische. Wie Formen eingesetzt, umgewandelt, durch den Wolf gedreht, diktiert, zurückgenommen, missverstanden werden. Wie vor allem aber nicht allein die Inhalte, sondern die Gesten, mit denen sie gezeigt werden, sich als mehrdeutig, nicht normierbar, variierbar, fließend erweisen.
Die Ausstellung, in der zwei Künstler ihre Objekte und Methoden zu einer Patchwork-Gesamt-Urheberschaft zusammenrücken, ohne sie zu verschmelzen (und dabei ihre Namen abkürzen), verweist ebenso sehr auf die Lücken zwischen dem Gezeigten wie auf das Gezeigte selbst. Sie unterstellt, dass es auf die Lücken ankommt. Darauf, dass das Ungreifbare über die Bedeutung des Greifbaren mitbestimmt. Dass ein gesundes Misstrauen gegenüber Welterklärungen und Weltausstellungen angebracht ist. Gegenüber der Welt natürlich sowieso.
Wer also auf das Ausstellungsgebäude zugeht, hat (nach Schätzungen der Betreiber) vier Fünftel des Sichtbaren schon gesehen. Auf dem Weg dahin. Im bisherigen Leben. Beim Betrachten von Nachrichtenmedien. Im Geschichtsunterricht. Der Wunsch, die Ausstellung müsse die Dinge wie im Setzkasten ordnen, Aussagen kommunizieren, uns beruhigen, fällt auf uns selber zurück. Der Außenraum ist innen. Der Innenraum findet draußen statt. Dazwischen können wir gelassen balancieren.
Mit freundlicher Unterstützung durch die eps GmbH