Naked
13 May - 31 Jul 2016
NAKED
Alexander Moosbrugger, Anke Eckardt, Chiyoko Szlavnics, Thomas Kessler, Michael Maierhof, Filippo Perocco, Aldo Clementi
13 Mai - 31 Juli 2016
Kurator: Alexander Moosbrugger
Treten Sie näher, es gibt nichts zu sehen. Für die Dauer von acht Wochen zeigt der Brandenburgische Kunstverein einen leeren Raum. „Naked“, nackt, ist der Titel der Ausstellung, in der bis auf einige Sitzbänke und technische Geräte kein Ausstellungsgegenstand zu sehen ist. „Naked“ ist aber keine provokative Verweigerung, sondern die Einladung zu einer ungewöhnlichen Entdeckungsreise. Im Anschluss an die erfolgreichen Musikprojekte „Schallwandler“ (2014) und „Laut“ (2015) präsentieren wir ein Hörprogramm in sechs Stücken, die eigens für den Ausstellungspavillon des Kunstvereins eingerichtet worden sind. Fünf Kompositionen (davon zwei für „Naked“ entstandene, die uraufgeführt werden) und eine für den Ort entwickelte Klanginstallation erkunden die modernistische Glasarchitektur und setzen sich mit ihrer wichtigsten Eigenschaft auseinander: der transparenten Grenze zwischen Innen und Außen.
„Naked“ will dabei keine Behauptungen aufstellen, sondern musikalische Inhalte so transparent machen wie die Architektur – und so Klang zu einer konzentrierten Grenzerfahrung werden zu lassen. Wie nah können wir einem Ton kommen? Haben Klänge ein Innenleben? Dabei wird das Gebäude zum Instrument und zur Spielfläche, auf der das Publikum selbst und ohne allgemeingültigen Wahrheitsanspruch über seine (Hör-)Perspektiven entscheidet. So unverkleidet wie der Titel ist die Erfahrung des Publikums, auf dessen Fantasie und Faszinationsfähigkeit der Komponist Alexander Moosbrugger, Kurator der Ausstellung, vertraut.
Wenn etwa in Filippo Peroccos nur zwei Minuten langer Komposition Tarlo che rode (Der nagende Wurm) der höchste Ton eines Cembalos so schnell angeschlagen wird, dass sich die Schwingungen der Saite, die Anschlaggeräusche der Taste und Manipulationen der Saite im Korpus des Instruments zu einem Kontinuum verdichten, tritt der Pavillon als Resonanzraum an die Stelle des Cembalokorpus und versetzt die Ausstellungsbesucher in die größtmögliche Nähe zu einem Areal des Instruments. Dichter können sie an den Ton nicht heranrücken, während die kleinsten Ton- und Bau-Einheiten eines individuellen Instruments zum rasanten Kurzabenteuer werden, der nackte Ton behauptet sich in einer komplexen Synthese kleinster Wirkungen und Einflüsse. Alles liegt offen zu Tage, während die Mikrophone aus dem Cembalo fremde und irritierende Spannungen herausarbeiten und der Pavillon zum musikalischen Teilchenbeschleuniger wird.
Den polierten Fertigfassaden unserer täglichen Alltagsmusikerfahrung setzt Moosbrugger die Töne und Schwingungen, präzis gerichteten Ultraschallfrequenzen und Instrumentenmanipulationen seiner Komponistinnen und Komponisten als abenteuerlichen Kontrast entgegen. Gemeinsam mit Thomas Kessler hat er selbst eine Komposition für die Ausstellung entwickelt, in der es um architektonische Fluchten geht und unterschiedliche Formen sich fließend annähern, in Glissandi verbinden. Das Hören wird hier als Standpunktsuche und Suchbewegung verstanden. „Das Schon und das Noch-Nicht, die genaue Fassung von Abweichungen, Abstandnahmen zählen mehr als die Eingängigkeit eines geschlossenen Gesamtbildes“, erklärt Moosbrugger, der auf den großen Spaß des Publikums „an der elementaren Musikwahrnehmung“ vertraut.
Neben drei Konzertaufführungen, von denen die erste am Eröffnungsabend stattfindet, wird die Ausstellung aus einer im Laufe der acht Ausstellungswochen wechselnden Programmfolge bestehen, deren kürzestes Stück 2 und deren längste Komposition 45 Minuten lang ist. Die Stücke werden ergänzt durch eine Installation von Anke Eckardt, in der kinetische Ultraschalllautsprecher zum Einsatz kommen, die eng begrenzte Hörzonen im Innen- und Außenraum bespielen – Eckardt spricht von „Klanglinien“ – und so einen beweglichen, sich durch Besucher und andere Reflektoren verändernden Klangraum schaffen. Auch Moosbrugger und Kessler greifen mit Alignement auf dieses technische Instrumentarium zurück, mit dem sie im Außenraum voneinander abweichende Klangbereiche schaffen, die nur an einem einzigen Idealstandpunkt zusammenfallen. Die Hörerinnen und Hörer akzentuieren durch ihre Bewegungen unterschiedliche Elemente der Komposition, die Kompositionsmaterial des Mozartschülers Thomas Attwood und die Korrekturen seines ihm überlegenen Lehrmeisters nutzen, um Irrtum und Belehrung, Holprigkeit und Eleganz, Schülereifer und Meisterschaft in ihrer ungleichen Paarung konstruktiv zu entschärfen.
Wenn daneben Chiyoko Szlavnics eine „innere Landschaft“ inszeniert, in der paradoxerweise die Überlagerung kaum von einander unterscheidbarer Klangschwingungen ein geradezu weitläufig sich ausbreitendes Klanggebäude ergibt, wird Musik einerseits zur mathematisch glasklar nachvollziehbaren Konstruktion, die aber andererseits nicht nur physikalisch, sondern auch meta-physisch zu schweben beginnt – eine Balance zwischen Konkretion und Vorstellung, die auf ganz eigene Weise auch Michael Maierhof austariert, wenn er die Klänge aus dem Inneren eines Kontrabasskörpers nach außen überträgt und dabei Korpus und Saiten des Instrumentes mit zwei Kleinmotoren in Schwingung versetzt. Innen und Außen werden zu umschaltbaren Erfahrungs- und Vorstellungszuständen. Diese Dialektik von Basis und Überbau bildet sich in Aldo Clementis betörend-hypnotischem Studio per una passacaglia engführend ab, in dem sich das tragende Klanggeflecht und die sich von ihm abhebenden Variationen ständig ineinander spiegeln und voneinander emanzipieren.
„Naked“ ist also nicht wie eine Chiffre zu decodieren und zu „verstehen“, sondern hängt völlig davon ab, wohin sich willentlich oder unwillkürlich das Interesse des Publikums richtet, nach dem es den hinreichend großen, 15 mal 15 Meter großen Klangkorpus, den Pavillon betritt. Mit seiner offenen Fragestellung schließt das Projekt an eine Reihe von Ausstellungen an, in denen Künstler wie Frank Nitsche, Manfred Pernice, Bettina Allamoda oder Wolfgang Betke die Durchlässigkeit des Pavillon-Gebäudes zwischen Außenraum und Ausstellungsfläche zum Gegenstand künstlerischer Interventionen gemacht hatten. Die Malerin Friederike Feldmann hatte 2013 gar die Scheiben selbst als Bildträger genutzt. Darauf reagiert „Naked“ ebenso wie auf das architekturbezogene Musikprojekt „Schallwandler“ von 2014, als Komponisten wie Ekkehard Windrich und Luc Döbereiner mit Feldaufnahmen aus dem Außenraum arbeiteten oder die Fensterfront als Resonanzfläche und zugleich als Gegenstand kompositorischer Reflexion nutzten.
Alexander Moosbrugger, Anke Eckardt, Chiyoko Szlavnics, Thomas Kessler, Michael Maierhof, Filippo Perocco, Aldo Clementi
13 Mai - 31 Juli 2016
Kurator: Alexander Moosbrugger
Treten Sie näher, es gibt nichts zu sehen. Für die Dauer von acht Wochen zeigt der Brandenburgische Kunstverein einen leeren Raum. „Naked“, nackt, ist der Titel der Ausstellung, in der bis auf einige Sitzbänke und technische Geräte kein Ausstellungsgegenstand zu sehen ist. „Naked“ ist aber keine provokative Verweigerung, sondern die Einladung zu einer ungewöhnlichen Entdeckungsreise. Im Anschluss an die erfolgreichen Musikprojekte „Schallwandler“ (2014) und „Laut“ (2015) präsentieren wir ein Hörprogramm in sechs Stücken, die eigens für den Ausstellungspavillon des Kunstvereins eingerichtet worden sind. Fünf Kompositionen (davon zwei für „Naked“ entstandene, die uraufgeführt werden) und eine für den Ort entwickelte Klanginstallation erkunden die modernistische Glasarchitektur und setzen sich mit ihrer wichtigsten Eigenschaft auseinander: der transparenten Grenze zwischen Innen und Außen.
„Naked“ will dabei keine Behauptungen aufstellen, sondern musikalische Inhalte so transparent machen wie die Architektur – und so Klang zu einer konzentrierten Grenzerfahrung werden zu lassen. Wie nah können wir einem Ton kommen? Haben Klänge ein Innenleben? Dabei wird das Gebäude zum Instrument und zur Spielfläche, auf der das Publikum selbst und ohne allgemeingültigen Wahrheitsanspruch über seine (Hör-)Perspektiven entscheidet. So unverkleidet wie der Titel ist die Erfahrung des Publikums, auf dessen Fantasie und Faszinationsfähigkeit der Komponist Alexander Moosbrugger, Kurator der Ausstellung, vertraut.
Wenn etwa in Filippo Peroccos nur zwei Minuten langer Komposition Tarlo che rode (Der nagende Wurm) der höchste Ton eines Cembalos so schnell angeschlagen wird, dass sich die Schwingungen der Saite, die Anschlaggeräusche der Taste und Manipulationen der Saite im Korpus des Instruments zu einem Kontinuum verdichten, tritt der Pavillon als Resonanzraum an die Stelle des Cembalokorpus und versetzt die Ausstellungsbesucher in die größtmögliche Nähe zu einem Areal des Instruments. Dichter können sie an den Ton nicht heranrücken, während die kleinsten Ton- und Bau-Einheiten eines individuellen Instruments zum rasanten Kurzabenteuer werden, der nackte Ton behauptet sich in einer komplexen Synthese kleinster Wirkungen und Einflüsse. Alles liegt offen zu Tage, während die Mikrophone aus dem Cembalo fremde und irritierende Spannungen herausarbeiten und der Pavillon zum musikalischen Teilchenbeschleuniger wird.
Den polierten Fertigfassaden unserer täglichen Alltagsmusikerfahrung setzt Moosbrugger die Töne und Schwingungen, präzis gerichteten Ultraschallfrequenzen und Instrumentenmanipulationen seiner Komponistinnen und Komponisten als abenteuerlichen Kontrast entgegen. Gemeinsam mit Thomas Kessler hat er selbst eine Komposition für die Ausstellung entwickelt, in der es um architektonische Fluchten geht und unterschiedliche Formen sich fließend annähern, in Glissandi verbinden. Das Hören wird hier als Standpunktsuche und Suchbewegung verstanden. „Das Schon und das Noch-Nicht, die genaue Fassung von Abweichungen, Abstandnahmen zählen mehr als die Eingängigkeit eines geschlossenen Gesamtbildes“, erklärt Moosbrugger, der auf den großen Spaß des Publikums „an der elementaren Musikwahrnehmung“ vertraut.
Neben drei Konzertaufführungen, von denen die erste am Eröffnungsabend stattfindet, wird die Ausstellung aus einer im Laufe der acht Ausstellungswochen wechselnden Programmfolge bestehen, deren kürzestes Stück 2 und deren längste Komposition 45 Minuten lang ist. Die Stücke werden ergänzt durch eine Installation von Anke Eckardt, in der kinetische Ultraschalllautsprecher zum Einsatz kommen, die eng begrenzte Hörzonen im Innen- und Außenraum bespielen – Eckardt spricht von „Klanglinien“ – und so einen beweglichen, sich durch Besucher und andere Reflektoren verändernden Klangraum schaffen. Auch Moosbrugger und Kessler greifen mit Alignement auf dieses technische Instrumentarium zurück, mit dem sie im Außenraum voneinander abweichende Klangbereiche schaffen, die nur an einem einzigen Idealstandpunkt zusammenfallen. Die Hörerinnen und Hörer akzentuieren durch ihre Bewegungen unterschiedliche Elemente der Komposition, die Kompositionsmaterial des Mozartschülers Thomas Attwood und die Korrekturen seines ihm überlegenen Lehrmeisters nutzen, um Irrtum und Belehrung, Holprigkeit und Eleganz, Schülereifer und Meisterschaft in ihrer ungleichen Paarung konstruktiv zu entschärfen.
Wenn daneben Chiyoko Szlavnics eine „innere Landschaft“ inszeniert, in der paradoxerweise die Überlagerung kaum von einander unterscheidbarer Klangschwingungen ein geradezu weitläufig sich ausbreitendes Klanggebäude ergibt, wird Musik einerseits zur mathematisch glasklar nachvollziehbaren Konstruktion, die aber andererseits nicht nur physikalisch, sondern auch meta-physisch zu schweben beginnt – eine Balance zwischen Konkretion und Vorstellung, die auf ganz eigene Weise auch Michael Maierhof austariert, wenn er die Klänge aus dem Inneren eines Kontrabasskörpers nach außen überträgt und dabei Korpus und Saiten des Instrumentes mit zwei Kleinmotoren in Schwingung versetzt. Innen und Außen werden zu umschaltbaren Erfahrungs- und Vorstellungszuständen. Diese Dialektik von Basis und Überbau bildet sich in Aldo Clementis betörend-hypnotischem Studio per una passacaglia engführend ab, in dem sich das tragende Klanggeflecht und die sich von ihm abhebenden Variationen ständig ineinander spiegeln und voneinander emanzipieren.
„Naked“ ist also nicht wie eine Chiffre zu decodieren und zu „verstehen“, sondern hängt völlig davon ab, wohin sich willentlich oder unwillkürlich das Interesse des Publikums richtet, nach dem es den hinreichend großen, 15 mal 15 Meter großen Klangkorpus, den Pavillon betritt. Mit seiner offenen Fragestellung schließt das Projekt an eine Reihe von Ausstellungen an, in denen Künstler wie Frank Nitsche, Manfred Pernice, Bettina Allamoda oder Wolfgang Betke die Durchlässigkeit des Pavillon-Gebäudes zwischen Außenraum und Ausstellungsfläche zum Gegenstand künstlerischer Interventionen gemacht hatten. Die Malerin Friederike Feldmann hatte 2013 gar die Scheiben selbst als Bildträger genutzt. Darauf reagiert „Naked“ ebenso wie auf das architekturbezogene Musikprojekt „Schallwandler“ von 2014, als Komponisten wie Ekkehard Windrich und Luc Döbereiner mit Feldaufnahmen aus dem Außenraum arbeiteten oder die Fensterfront als Resonanzfläche und zugleich als Gegenstand kompositorischer Reflexion nutzten.