Naked II
15 Jun - 31 Jul 2016
NAKED II
15 Juni - 31 Juli 2016
Für die Dauer von acht Wochen zeigt der Brandenburgische Kunstverein einen leeren Raum. „Naked“, nackt, ist der Titel der Ausstellung, in der bis auf einige Sitzbänke und technische Geräte kein Ausstellungsgegenstand zu sehen ist. Am 12. Juni nun wird mit einem Uraufführungskonzert der zweite, erweiterte Teil der Ausstellung vorgestellt. Vom 13. Juni bis zum 10 Juli ist dann zusätzlich täglich eine Auftragskomposition von Thomas Kessler und Alexander Moosbrugger zu hören, in der Kompositionsübungen, die Mozart einem Schüler auferlegt hat, neu zusammengestellt und in eine musikalische Raumerfahrung verwandelt werden. Die Ausstellung erkundet so den Ausstellungsraum mit seiner modernistischen Glasarchitektur und macht uns dabei zugleich die Töne und unser eigenes Hören transparent.
Künstler: Aldo Clementi, Anke Eckardt, Thomas Kessler, Michael Maierhof, Alexander Moosbrugger, Filippo Perocco, Chiyoko Szlavnics Eröffnung: Sonntag, 12. Juni 2016 , 16:00
Konzertprogramm: Sonntag, 12. Juni, ab 16.00 Uhr, Einführung 15.30 Uhr (Details: siehe unten)
„Naked“ will dabei keine Behauptungen aufstellen, sondern musikalische Inhalte so physisch erfahrbar machen wie die Architektur. Unterschiedliche Klangzonen verwandeln das Gebäude in eine Experimentierfläche der Hörerinnen und Hörer, die sich durch die Veränderung ihrer Position in schmale Klangkorridore begeben oder mit jedem Schritt in Richtung der an den Scheiben montierten Körperschallwandler die gläserne Begrenzung des Gebäudes als Medium musikalischer Schwingungen wahrnehmen. Es gibt keinen richtigen oder falschen Standpunkt in diesem Raum, so wie es auch kein richtiges oder falsches Hören gibt. Der Klang wird zum frei erkundbaren Material des Publikums, auf dessen Fantasie und Faszinationsfähigkeit der Komponist Alexander Moosbrugger als Kurator der Ausstellung vertraut.
Dabei legen es die zum Teil für den Ort entstandenen, zum Teil speziell für den Ort eingerichteten Stücke darauf an, dem Inneren des Klangs möglichst nahezukommen. Wenn etwa in Filippo Peroccos nur zwei Minuten langer Komposition Tarlo che rode (Der nagende Wurm) der höchste Ton eines Cembalos so schnell angeschlagen wird, dass sich die Schwingungen der Saite, die Anschlaggeräusche der Taste und Manipulationen der Saite im Korpus des Instruments zu einem Kontinuum verdichten, tritt der Pavillon als Resonanzraum an die Stelle des Cembalokorpus und versetzt die Ausstellungsbesucher in die größtmögliche Nähe zu einem Areal des Instruments. Die kleinsten Ton- und Bau-Einheiten eines individuellen Instruments spielen plötzlich eine musikalische Hauptrolle. Die Mikrophone arbeiten aus dem Cembalo fremde und irritierende Spannungen heraus und der Ausstellungspavillon wird zum musikalischen Teilchenbeschleuniger.
Eine ähnliche Erfahrung bietet Michael Maierhofers Stück "splitting 33", in dem der Solist einen Kontrabass mit Kleinmotoren und einfachen akustischen Hilfsmitteln bearbeitet. Der Solist manipuliert den Korpus ebenso wie die Saiten, den Steg oder gar die Wand des Ausstellungsraums. Durch im Inneren des Instruments angebrachte Mikrofone werden nicht nur die äußeren, sondern auch die inneren Resonanzen hörbar und setzen sich im Verlauf des Stücks vor den Ohren und Augen des Publikums förmlich zu einem gemeinsamen Klangbild zusammen. Die Beobachtung der Klangquelle arbeitet an der Wahrnehmung mit und die Pausen werden zum Abenteuermoment, in dem sich die Vorstellung vom Instrument, die Naturgeräusche von außen und die gespannte Erwartung auf die nächste Resonanz auf verblüffende Weise miteinander verbinden.
Am Sonntag, den 12. Juni 2016, wird nun noch ein weiteres Stück uraufgeführt und anschließend in das Programm aufgenommen. Thomas Kessler und Alexander Moosbrugger verwenden dabei Kompositionsübungen, die Wolfgang Amadé Mozart (1756–91) seinem nur neun Jahre jüngeren Schüler Thomas Attwood (1765–1838) auferlegt hat. Attwoods eifriges Bemühen und Mozarts manchmal harsche Korrekturen und Interventionen verbinden sich dabei zu einem Kontinuum, in dem Mozarts Unterweisungen und Attwoods Merksätze eingesprochen werden, während das Notenmaterial selbst zu einem vierstimmigen Satz aus Glissandi verdichtet wird. Ohne dass eine Note verändert wurde, entsteht ein völlig neues Stück, in dem die Töne ihre natürliche Dauer verlieren und sich aufeinander zubewegen. Das Verhältnis zwischen den Stimmen wird zur Raumerfahrung, zur Verführung, in den Zwischenraum der Töne einzutreten.
Wenn daneben Chiyoko Szlavnics eine „innere Landschaft“ inszeniert, in der paradoxerweise die Überlagerung kaum von einander unterscheidbarer Klangschwingungen ein geradezu weitläufig sich ausbreitendes Klanggebäude ergibt, wird Musik einerseits zur mathematisch glasklar nachvollziehbaren Konstruktion, die aber andererseits nicht nur physikalisch, sondern auch meta-physisch zu schweben beginnt – eine Balance zwischen Konkretion und Vorstellung, die sich auch in Aldo Clementis betörend-hypnotischem Studio per una passacaglia abbildet, in dem sich das tragende Klanggeflecht und die sich von ihm abhebenden Variationen ständig ineinander spiegeln und voneinander emanzipieren.
Die Stücke werden ergänzt durch eine Installation von Anke Eckardt, in der kinetische Ultraschalllautsprecher zum Einsatz kommen, die eng begrenzte Hörzonen im Innen- und Außenraum bespielen und so einen beweglichen, sich durch Besucher und andere Reflektoren verändernden Klangraum schaffen. Fallen die extrem gerichteten Schallbeams auf schallharte Oberflächen, werden sie zurückgeworfen. Im Glaspavillon werden so Phantomschallquellen hörbar, die von den Glasscheiben und der raumbegrenzenden weißen Wand zu kommen scheinen.
„Naked“ ist also nicht wie eine Chiffre zu decodieren und zu „verstehen“, sondern hängt völlig davon ab, wohin sich willentlich oder unwillkürlich das Interesse des Publikums richtet. Mit seiner offenen Fragestellung schließt das Projekt an eine Reihe von Ausstellungen an, in denen Künstler wie Frank Nitsche, Manfred Pernice, Bettina Allamoda oder Wolfgang Betke die Durchlässigkeit des Pavillon-Gebäudes zwischen Außenraum und Ausstellungsfläche zum Gegenstand künstlerischer Interventionen gemacht hatten. Die Malerin Friederike Feldmann hatte 2013 gar die Scheiben selbst als Bildträger genutzt. Darauf reagiert „Naked“ ebenso wie auf das architekturbezogene Musikprojekt „Schallwandler“ von 2014, als Komponisten wie Ekkehard Windrich und Luc Döbereiner mit Feldaufnahmen aus dem Außenraum arbeiteten oder die Fensterfront als Resonanzfläche und zugleich als Gegenstand kompositorischer Reflexion nutzten.
15 Juni - 31 Juli 2016
Für die Dauer von acht Wochen zeigt der Brandenburgische Kunstverein einen leeren Raum. „Naked“, nackt, ist der Titel der Ausstellung, in der bis auf einige Sitzbänke und technische Geräte kein Ausstellungsgegenstand zu sehen ist. Am 12. Juni nun wird mit einem Uraufführungskonzert der zweite, erweiterte Teil der Ausstellung vorgestellt. Vom 13. Juni bis zum 10 Juli ist dann zusätzlich täglich eine Auftragskomposition von Thomas Kessler und Alexander Moosbrugger zu hören, in der Kompositionsübungen, die Mozart einem Schüler auferlegt hat, neu zusammengestellt und in eine musikalische Raumerfahrung verwandelt werden. Die Ausstellung erkundet so den Ausstellungsraum mit seiner modernistischen Glasarchitektur und macht uns dabei zugleich die Töne und unser eigenes Hören transparent.
Künstler: Aldo Clementi, Anke Eckardt, Thomas Kessler, Michael Maierhof, Alexander Moosbrugger, Filippo Perocco, Chiyoko Szlavnics Eröffnung: Sonntag, 12. Juni 2016 , 16:00
Konzertprogramm: Sonntag, 12. Juni, ab 16.00 Uhr, Einführung 15.30 Uhr (Details: siehe unten)
„Naked“ will dabei keine Behauptungen aufstellen, sondern musikalische Inhalte so physisch erfahrbar machen wie die Architektur. Unterschiedliche Klangzonen verwandeln das Gebäude in eine Experimentierfläche der Hörerinnen und Hörer, die sich durch die Veränderung ihrer Position in schmale Klangkorridore begeben oder mit jedem Schritt in Richtung der an den Scheiben montierten Körperschallwandler die gläserne Begrenzung des Gebäudes als Medium musikalischer Schwingungen wahrnehmen. Es gibt keinen richtigen oder falschen Standpunkt in diesem Raum, so wie es auch kein richtiges oder falsches Hören gibt. Der Klang wird zum frei erkundbaren Material des Publikums, auf dessen Fantasie und Faszinationsfähigkeit der Komponist Alexander Moosbrugger als Kurator der Ausstellung vertraut.
Dabei legen es die zum Teil für den Ort entstandenen, zum Teil speziell für den Ort eingerichteten Stücke darauf an, dem Inneren des Klangs möglichst nahezukommen. Wenn etwa in Filippo Peroccos nur zwei Minuten langer Komposition Tarlo che rode (Der nagende Wurm) der höchste Ton eines Cembalos so schnell angeschlagen wird, dass sich die Schwingungen der Saite, die Anschlaggeräusche der Taste und Manipulationen der Saite im Korpus des Instruments zu einem Kontinuum verdichten, tritt der Pavillon als Resonanzraum an die Stelle des Cembalokorpus und versetzt die Ausstellungsbesucher in die größtmögliche Nähe zu einem Areal des Instruments. Die kleinsten Ton- und Bau-Einheiten eines individuellen Instruments spielen plötzlich eine musikalische Hauptrolle. Die Mikrophone arbeiten aus dem Cembalo fremde und irritierende Spannungen heraus und der Ausstellungspavillon wird zum musikalischen Teilchenbeschleuniger.
Eine ähnliche Erfahrung bietet Michael Maierhofers Stück "splitting 33", in dem der Solist einen Kontrabass mit Kleinmotoren und einfachen akustischen Hilfsmitteln bearbeitet. Der Solist manipuliert den Korpus ebenso wie die Saiten, den Steg oder gar die Wand des Ausstellungsraums. Durch im Inneren des Instruments angebrachte Mikrofone werden nicht nur die äußeren, sondern auch die inneren Resonanzen hörbar und setzen sich im Verlauf des Stücks vor den Ohren und Augen des Publikums förmlich zu einem gemeinsamen Klangbild zusammen. Die Beobachtung der Klangquelle arbeitet an der Wahrnehmung mit und die Pausen werden zum Abenteuermoment, in dem sich die Vorstellung vom Instrument, die Naturgeräusche von außen und die gespannte Erwartung auf die nächste Resonanz auf verblüffende Weise miteinander verbinden.
Am Sonntag, den 12. Juni 2016, wird nun noch ein weiteres Stück uraufgeführt und anschließend in das Programm aufgenommen. Thomas Kessler und Alexander Moosbrugger verwenden dabei Kompositionsübungen, die Wolfgang Amadé Mozart (1756–91) seinem nur neun Jahre jüngeren Schüler Thomas Attwood (1765–1838) auferlegt hat. Attwoods eifriges Bemühen und Mozarts manchmal harsche Korrekturen und Interventionen verbinden sich dabei zu einem Kontinuum, in dem Mozarts Unterweisungen und Attwoods Merksätze eingesprochen werden, während das Notenmaterial selbst zu einem vierstimmigen Satz aus Glissandi verdichtet wird. Ohne dass eine Note verändert wurde, entsteht ein völlig neues Stück, in dem die Töne ihre natürliche Dauer verlieren und sich aufeinander zubewegen. Das Verhältnis zwischen den Stimmen wird zur Raumerfahrung, zur Verführung, in den Zwischenraum der Töne einzutreten.
Wenn daneben Chiyoko Szlavnics eine „innere Landschaft“ inszeniert, in der paradoxerweise die Überlagerung kaum von einander unterscheidbarer Klangschwingungen ein geradezu weitläufig sich ausbreitendes Klanggebäude ergibt, wird Musik einerseits zur mathematisch glasklar nachvollziehbaren Konstruktion, die aber andererseits nicht nur physikalisch, sondern auch meta-physisch zu schweben beginnt – eine Balance zwischen Konkretion und Vorstellung, die sich auch in Aldo Clementis betörend-hypnotischem Studio per una passacaglia abbildet, in dem sich das tragende Klanggeflecht und die sich von ihm abhebenden Variationen ständig ineinander spiegeln und voneinander emanzipieren.
Die Stücke werden ergänzt durch eine Installation von Anke Eckardt, in der kinetische Ultraschalllautsprecher zum Einsatz kommen, die eng begrenzte Hörzonen im Innen- und Außenraum bespielen und so einen beweglichen, sich durch Besucher und andere Reflektoren verändernden Klangraum schaffen. Fallen die extrem gerichteten Schallbeams auf schallharte Oberflächen, werden sie zurückgeworfen. Im Glaspavillon werden so Phantomschallquellen hörbar, die von den Glasscheiben und der raumbegrenzenden weißen Wand zu kommen scheinen.
„Naked“ ist also nicht wie eine Chiffre zu decodieren und zu „verstehen“, sondern hängt völlig davon ab, wohin sich willentlich oder unwillkürlich das Interesse des Publikums richtet. Mit seiner offenen Fragestellung schließt das Projekt an eine Reihe von Ausstellungen an, in denen Künstler wie Frank Nitsche, Manfred Pernice, Bettina Allamoda oder Wolfgang Betke die Durchlässigkeit des Pavillon-Gebäudes zwischen Außenraum und Ausstellungsfläche zum Gegenstand künstlerischer Interventionen gemacht hatten. Die Malerin Friederike Feldmann hatte 2013 gar die Scheiben selbst als Bildträger genutzt. Darauf reagiert „Naked“ ebenso wie auf das architekturbezogene Musikprojekt „Schallwandler“ von 2014, als Komponisten wie Ekkehard Windrich und Luc Döbereiner mit Feldaufnahmen aus dem Außenraum arbeiteten oder die Fensterfront als Resonanzfläche und zugleich als Gegenstand kompositorischer Reflexion nutzten.