Shock Room
15 Oct - 13 Nov 2016
SHOCK ROOM
Chto Delat?, Sam Durant, General Idea, Renzo Martens, Mario Pfeifer, Michael E. Smith, Tobias Zielony
15 Oktober - 13 November 2016
Kurator: Gerrit Gohlke
„Das ist Teil eines viel größeren Ziels.“ Der Satz ist nicht das kuratorische Bekenntnis des Brandenburgischen Kunstvereins. Er fiel nach den Berliner Abgeordnetenhauswahlen und stammt vom Spitzenkandidaten einer rechtspopulistischen Partei. Deren Vorsitzende verglich vor wenigen Tagen kulturelle Buntheit mit der Farbpalette eines „Komposthaufens“. Sie fügte hinzu: „Wir müssen Deutschland dafür buchstäblich zurückerobern. Wir müssen den Menschen Stolz und Identität zurückgeben. Wir müssen dafür den Zeitgeist zurückdrehen.“
Doch gehört das hierher? Kunstvereine machen keine Parteipolitik. Sie zeigen Kunst, deren Farbspektrum nur durch die Beschaffenheit unserer Augen und die Empfindlichkeit unserer Wahrnehmung begrenzt ist. Sie kann dabei durchaus auch subversive Tonabstufungen von Bodensubstraten umfassen. Aus dem Tagesgeschehen dagegen halten Kuratorinnen und Kuratoren sich meist heraus. Nun aber sei es an der Zeit, „Farbe zu bekennen“, meinte Martin Roth, nachdem er unter dem Einfluss politischer Entwicklungen als Museumsdirektor des Victoria & Albert Museums zurückgetreten war. „Die nationalistischen und antieuropäischen Strömungen“ verlangten deutliche Signale. Wie nun setzt man das richtige Signal gegen eine Politik der Überdeutlichkeit?
Es ist natürlich absurd, einen Kunstverein als Agitationsinstrument einsetzen zu wollen. Die Transparente an den Staatlichen Kunstsammlungen zu Dresden haben Pegida nicht bekehrt. Bekenntnisse des Kulturbetriebs holen die Wutbürger nicht in den Diskurs zurück, so wie der Hass in politisch zersplitternden Gesellschaften durch die Flut der Ausrufe und Kommentare vertieft und nicht gemildert wird.
Und doch ist da der Verdacht, dass wir schon einmal einüben sollten, die Notbeleuchtung einzuschalten. Dabei geht es zunächst nicht darum, wie die Museumsprogramme wohl aussehen werden, wenn der "Zeitgeist zurückgedreht" wird. Es geht mehr darum, wie lange wir alle selbst uns einer rhetorischen Abstumpfung aussetzen können, in der Vielfalt als Verrottung beschrieben wird, Fakten durch selbstbestätigende Emotionen ersetzt werden und auf jede argumentative Zuspitzung eine noch rücksichtslosere Überbietung folgt. Wir haben schon anlässlich unseres ersten politischen „Zwischenrufs“, der Ausstellung mit Eugenio Dittborn im August, unsere Verstörung dokumentiert, in einen nicht endenden sprachlichen Notstand eingetreten zu sein. Untergang und Verteufelung überall. Medien und soziale Netzwerke voller apokalyptischer Prophezeiungen, mit pornografischer Lust inszeniert und gesteigert. Unsere Vielfarbrezeptoren sind geblendet. Wer der Rhetorik noch Grenzen setzt, verliert zusehends jedes Gehör.
„Shock Room“, entstanden in großzügiger Kooperation mit der Sammlung Gaby und Wilhelm Schürmann, wäre deshalb gern die Reanimationseinrichtung, die der Name in der Intensivmedizin sonst verheißt. Offensichtlich braucht der politische Diskurs lebenserhaltende Maßnahmen. Weil Kunst jedoch beobachten, dekonstruieren, widersprechen, enthüllen, verunsichern, nicht aber heilen kann, wird der Pavillon des BKV nun für vier Wochen zum Schaukasten unseres eigenen Schockzustandes. Wir spiegeln das Farbspektrum der Störung wieder, die der grassierende Populismus in unserer Gesellschaft bedeutet. Wir leuchten unser Entsetzen aus, unser Staunen über die Macht des Widersinns, die Umdeutung des Absurden zum Argument, wir bekennen Farbe, wie der Museumsdirektor verlangt. Und tatsächlich werden auch im medizinischen Schockraum nur Arbeitsdiagnosen erstellt. Ein erster Befund steht bereits fest: Es gibt einen schleichenden Lärm, eine Einschränkung vitaler Prozesse durch boshafte Überreizung, eine stetige Zufuhr toxischer Zeichenketten, die uns bereits gefährlich desensibilisiert. Alles ist möglich. So lange, bis unversehens nichts mehr möglich ist.
Sagen wir es doch ganz direkt: Wir wollen die Infamie auch nicht im Konjunktiv. Die Dehnungsübungen bei der Ausweitung des Sagbaren zersetzen unser Selbstverständnis. Wir sind gegen die virtuelle Vorab-Erprobung der Farblosigkeit. Vor allem wissen wir seit einiger Zeit nicht mehr, wie man sich der Häufung unbegründeter Bekenntnisse, den Kettenreaktionen impulsiven Handelns entzieht. Wie man öffentlich zu Protokoll gibt, genug zu haben von der Verantwortungslosigkeit – die in der Sprache beginnt. Damit wären wir wieder bei der Sache. Das gehört hierher. Ästhetik ist unser Metier. Wir im Schockraum befürchten, dass wir bald mit Lebenserhaltungsmaßnahmen beginnen müssen. Wir unterbrechen deshalb das Programm.
Eine Ausstellung des Brandenburgischen Kunstvereins in Kooperation mit der Gaby und Wilhelm Schürmann Collection.
Mit freundlicher Unterstützung der GfZK Leipzig und durch KOW.
Chto Delat?, Sam Durant, General Idea, Renzo Martens, Mario Pfeifer, Michael E. Smith, Tobias Zielony
15 Oktober - 13 November 2016
Kurator: Gerrit Gohlke
„Das ist Teil eines viel größeren Ziels.“ Der Satz ist nicht das kuratorische Bekenntnis des Brandenburgischen Kunstvereins. Er fiel nach den Berliner Abgeordnetenhauswahlen und stammt vom Spitzenkandidaten einer rechtspopulistischen Partei. Deren Vorsitzende verglich vor wenigen Tagen kulturelle Buntheit mit der Farbpalette eines „Komposthaufens“. Sie fügte hinzu: „Wir müssen Deutschland dafür buchstäblich zurückerobern. Wir müssen den Menschen Stolz und Identität zurückgeben. Wir müssen dafür den Zeitgeist zurückdrehen.“
Doch gehört das hierher? Kunstvereine machen keine Parteipolitik. Sie zeigen Kunst, deren Farbspektrum nur durch die Beschaffenheit unserer Augen und die Empfindlichkeit unserer Wahrnehmung begrenzt ist. Sie kann dabei durchaus auch subversive Tonabstufungen von Bodensubstraten umfassen. Aus dem Tagesgeschehen dagegen halten Kuratorinnen und Kuratoren sich meist heraus. Nun aber sei es an der Zeit, „Farbe zu bekennen“, meinte Martin Roth, nachdem er unter dem Einfluss politischer Entwicklungen als Museumsdirektor des Victoria & Albert Museums zurückgetreten war. „Die nationalistischen und antieuropäischen Strömungen“ verlangten deutliche Signale. Wie nun setzt man das richtige Signal gegen eine Politik der Überdeutlichkeit?
Es ist natürlich absurd, einen Kunstverein als Agitationsinstrument einsetzen zu wollen. Die Transparente an den Staatlichen Kunstsammlungen zu Dresden haben Pegida nicht bekehrt. Bekenntnisse des Kulturbetriebs holen die Wutbürger nicht in den Diskurs zurück, so wie der Hass in politisch zersplitternden Gesellschaften durch die Flut der Ausrufe und Kommentare vertieft und nicht gemildert wird.
Und doch ist da der Verdacht, dass wir schon einmal einüben sollten, die Notbeleuchtung einzuschalten. Dabei geht es zunächst nicht darum, wie die Museumsprogramme wohl aussehen werden, wenn der "Zeitgeist zurückgedreht" wird. Es geht mehr darum, wie lange wir alle selbst uns einer rhetorischen Abstumpfung aussetzen können, in der Vielfalt als Verrottung beschrieben wird, Fakten durch selbstbestätigende Emotionen ersetzt werden und auf jede argumentative Zuspitzung eine noch rücksichtslosere Überbietung folgt. Wir haben schon anlässlich unseres ersten politischen „Zwischenrufs“, der Ausstellung mit Eugenio Dittborn im August, unsere Verstörung dokumentiert, in einen nicht endenden sprachlichen Notstand eingetreten zu sein. Untergang und Verteufelung überall. Medien und soziale Netzwerke voller apokalyptischer Prophezeiungen, mit pornografischer Lust inszeniert und gesteigert. Unsere Vielfarbrezeptoren sind geblendet. Wer der Rhetorik noch Grenzen setzt, verliert zusehends jedes Gehör.
„Shock Room“, entstanden in großzügiger Kooperation mit der Sammlung Gaby und Wilhelm Schürmann, wäre deshalb gern die Reanimationseinrichtung, die der Name in der Intensivmedizin sonst verheißt. Offensichtlich braucht der politische Diskurs lebenserhaltende Maßnahmen. Weil Kunst jedoch beobachten, dekonstruieren, widersprechen, enthüllen, verunsichern, nicht aber heilen kann, wird der Pavillon des BKV nun für vier Wochen zum Schaukasten unseres eigenen Schockzustandes. Wir spiegeln das Farbspektrum der Störung wieder, die der grassierende Populismus in unserer Gesellschaft bedeutet. Wir leuchten unser Entsetzen aus, unser Staunen über die Macht des Widersinns, die Umdeutung des Absurden zum Argument, wir bekennen Farbe, wie der Museumsdirektor verlangt. Und tatsächlich werden auch im medizinischen Schockraum nur Arbeitsdiagnosen erstellt. Ein erster Befund steht bereits fest: Es gibt einen schleichenden Lärm, eine Einschränkung vitaler Prozesse durch boshafte Überreizung, eine stetige Zufuhr toxischer Zeichenketten, die uns bereits gefährlich desensibilisiert. Alles ist möglich. So lange, bis unversehens nichts mehr möglich ist.
Sagen wir es doch ganz direkt: Wir wollen die Infamie auch nicht im Konjunktiv. Die Dehnungsübungen bei der Ausweitung des Sagbaren zersetzen unser Selbstverständnis. Wir sind gegen die virtuelle Vorab-Erprobung der Farblosigkeit. Vor allem wissen wir seit einiger Zeit nicht mehr, wie man sich der Häufung unbegründeter Bekenntnisse, den Kettenreaktionen impulsiven Handelns entzieht. Wie man öffentlich zu Protokoll gibt, genug zu haben von der Verantwortungslosigkeit – die in der Sprache beginnt. Damit wären wir wieder bei der Sache. Das gehört hierher. Ästhetik ist unser Metier. Wir im Schockraum befürchten, dass wir bald mit Lebenserhaltungsmaßnahmen beginnen müssen. Wir unterbrechen deshalb das Programm.
Eine Ausstellung des Brandenburgischen Kunstvereins in Kooperation mit der Gaby und Wilhelm Schürmann Collection.
Mit freundlicher Unterstützung der GfZK Leipzig und durch KOW.