Mark Müller

Martín Mele

30 Aug - 04 Oct 2014

Exhibition view
MARTÍN MELE
clair de lune, oder wie der fuchs seine flöhe los wird
30 August - 4 October 2014

Mele und die Flöhe

Worauf zielt das Literarische im Werk Martín Meles?

Auf die Frage, ob seine Kunst literarisch sei, beginnt Martín Mele die Fabel vom Fuchs und den Flöhen zu erzählen. Die trägt er schon eine ganze Weile mit sich herum, schon bald fünfzig Jahre. Sein Patenonkel Héctor Tizón war nämlich auf Besuch nach Beesel gekommen, wohin Familie Mele gerade erst aus Buenos Aires ausgewandert war, und hatte dem jungen Martín eine Geschichte mitgebracht:

Den Fuchs juckte es überall. Er hatte die Flöhe. Nichts half, nicht Beißen, nicht Kratzen, noch Weglaufen. Er wirft sich in den Staub und dreht sich um sich selbst so schnell er nur kann. Die Flöhe verkriechen sich nur umso tiefer in sein Fell. In seiner Verzweiflung läuft er in ein Baumwollfeld, das in Reife stand, um sich ein Büschel Baumwolle zu schnappen. Damit rennt er zum See, springt hinein und beginnt, langsam, langsam unterzutauchen. Die Flöhe, weiß er, mögen kein Wasser. In ihrer Not krabbeln sie schnell auf das Stück Baumwolle und als sich alle dort versammelt haben, läßt der Fuchs los. Und da treiben sie auf ihrer Insel dahin.

Was die eigene literarische Ader Meles betrifft, so liegt sie sicher in der Familie begründet. Aber auch in dem Umstand, daß er früh heimatlos wurde, auf zwei Kontinenten aufwuchs und das mindestens zweisprachig. Im Elternhaus wurde ein argentinisches Spanisch gesprochen, in der Schule lernte er Algemeen Beschaafd Nederlands, draußen wiederum sprachen sie Diets. So mußte er sich von früh an die fremden Worte gewöhnen und lernte den besonderen Klang und die Eigentümlichkeiten der Sprachen schätzen. Der Fuchs wußte sich zu helfen. Und schön konnte die neue, unbekannte Sprache überdies sein. Ein kabbelende beek ist da beispielsweise ein munter plätschernder Bach, bei dem man förmlich hört, wie er über die Steine zu Tal rauscht. Das Hin und Her der Übersetzungen von einer Sprache in eine andere weckte früh sein Interesse. Die Herkunft der Wörter, die Ableitungen und Verschiebungen, ihr breiter Fächer an Bedeutungen, das alles eröffnete ihm ein neues Reich der Sprache und er empfand es eher als anregendes Spiel, denn als Überforderung. Und überhaupt: So sehr ist die Literatur ihm zur Haut und Heimat geworden, dass ihm keine Wahl blieb, selbst eine literarische Erscheinung zu werden.

Sein Vater hatte ihn früh mit dem Quevedos Poem vertraut gemacht, in dem von es von einem jungen Mann heißt, er sei an seine eigne Nase geklebt und müsse dieser nun zeitlebens hinterherlaufen. Mele schickte sich ins Unvermeidliche, ließ sich Schuhe bei Correa anfertigen, elegante Maßanzüge bei Colmenares schneidern, stopfte sich die Pfeife und zog also los, um gegen die Windmühlen der Kunst zu kämpfen. Allerdings auf einem Roß, wohl genährt mit besserem Lesefutter und einer Lanze, geschliffen aus Schwermut und Aberwitz. Die Windmühlen drehen sich immer noch, sie sind sogar noch sehr viel mehr geworden. Allein sie treiben vielleicht schon längst auf einer Insel aus Watte oder Baumwollfasern?

„In the white cube there is no hunger“, steht da unvermittelt im Zentrum eines neuen Objekts. Eine ziemlich krasse poetisch-politische Behauptung bei näherem Hinsehen. Bei näherem Hinsehen finden sich sogar viele Arbeiten Meles, die Worte oder Textfragmente aufgreifen und beinhalten, wo sich das Objekt mit der Sprache in Beziehung setzt, sich an der Sprache weidet und reibt und ihren poetischen Funken daraus empfängt.

Doch der schlichte Satz scheint dem kleinen Objekt eher beigesellt, wie ein lautloser Schrei, den man gut überhören kann, wenn man nicht genau zu hören gelernt hat. Denn die Selbstverständlichkeit, die er ausdrückt – kein Hunger im white cube – zeigt ihre Tücken erst, wenn man die Zwischentöne wahrnimmt, die Anspielungen und Assoziationen, die der Satz doch enthält und mitschwingen läßt, oder zumindest auslösen kann. Ist der white cube die Kaba der Modernen Kunst? eine Zelle? leer und weiß wie die das Camp Echo auf der Guantamo Bay Naval Base? Oder verhält es sich gerade umgekehrt: Mangelt es im white cube an Hunger nach Kunst? Ist die Kunst selbst gefangen? Und macht der Fuchs, um dem white cube zu entkommen? Abtauchen, oder ab durch die Mitte? Die Kunst scheint Mele mehr und mehr wie eine Insel der Seligen, jener happy few, die sich die Kunstmessen dieser Welt zum Tummelplatz gemacht haben. Und während sie lustig dahintreibt, entfernt sie sich immer weiter vom Rest der Welt. Die Kunst wird verschwinden, wie die Insel aus Baumwoll-Samenhaaren untergehen wird, fürchtet Mele. Also schleunigst abspringen oder doch besser auf dem Trockenen bleiben, um mit unterzugehen?

Sein literarischer Zugang zur Welt hält sich die Welt vom Hals, damit er den Kopf knapp über Wasser hält: Welterfahrung und Weltbefreiung im einem. Das entspricht seinem geschärften literarischen Sinn für alles Tragikomische, besonders für die eigene Situation. Aus dieser Perspektive, der eines Verzweifelten, der über sich lachen kann, entwickeln sich Meles Objekte, Collagen, Wandarbeiten, Installationen, Performances. Die Tragikomödie ist eine literarischen Gattung, bei der es ununterscheidbar wird, ob es sich um Komik handelt, die sich aus einem im Grunde tragischen Geschehen ergibt, oder um tiefe Tragik, die am sich Ende in Komik auflöst. Nicht zu verwechseln ist das mit Ironie. Doch reicht das Tragikomische zuweilen an das Groteske und Absurde heran, vor dem schon Albert Camus warnte: „Das Absurde befreit nicht, es bindet.“ Auf die Kunst übertragen bedeutet das - wo längst alles möglich scheint und auch noch das Gegenteil davon – herrscht eine neue Verantwortung. Alles ist möglich bedeutet totale Befreiung und eine neue Verantwortung zugleich. Das Absurde rechtfertigt nicht alle Handlungen. „Alles ist erlaubt – bedeutet nicht, nichts wäre verboten.“ (Camus im Mythos von Sisyphos)

Als Künstler hält Mele launigen Abstand zu allen Wahrheiten und Gewissheiten und befindet sich folglich in einer permanenten Opposition auch zu den Kunstgewissheiten seiner Tage. Bei seiner letzten Ausstellung im Kunstverein Bremerhaven („Wo ist Mele?“) hob er ein unscheinbares wie unverzichtbares, aber stets wohl verborgenes Detail jeder Ausstellung übergroß hervor und machte es zum Hauptakteur der Ausstellung: den Nagel. Vergoldete XXL-Nägel schlug er in die Ausstellungswand und hängte diverse, x-beliebige Fundsachen daran, die am goldenen Nagel baumelnd erst zu Amuletten oder Artefakten wurden. Auch hier eine schöne Verzweiflung, eine Tragikomik im Spiel: Wie bei den Equecos, jenen bunten Talismane, Glücksbringer der andischen Indianerfiguren, an den so viel Hoffnung hängt, wie sie kaum je werden einlösen können, oder den Charivari, an denen Berlocken hängen, wie Meles Mutter ein goldenes charms Armband trug, um das Glück anzuziehen.

Aber als Künstler, der der Kunst ein übers andere Mal ein Schnippchen schlägt und zu entkommen sucht, erkennt er sich in in einer weiteren Fabel wieder. Dieses mal nicht schlauer Fuchs, sondern dummer Esel. Der nämlich zieht einen Karren im Kreis, aber nur weil eine Möhre so knapp vor seiner Nase hängt, dass er genau eben nicht herankommt und so immer weiterläuft.

Was das Literarische in Mele Werk betrifft, ist diese unzertrennlich mit seiner Herkunft und der dort angelegten Liebe zu Büchern verbunden. Früh kam er zu Mark Twain oder verlor sich in den Erzählungen Edgar Allan Poes, las Oskar Wilde: „Gedanke und Sprache sind dem Künstler Werkzeuge der Kunst“. Und den Orlando von Virginia Woolfe, dann Stendahl, Proust, die frühen Gedichte von James Joyce, Thomas de Quincy, natürlich den großen Borges, auch Shakespeare, Euripides, Sophokles und tauchte in die Idyllen des Virgil. Ach, Apollinäre nicht zu vergessen. Nicht mal, daß Mele besonders viel läse oder den Neuerscheinungen auf Schritt und Tritt folgte. Er liest eher langsam, sagt er gelassen, und noch dazu überwiegend alte Bücher. Zitate finden sich keine in seinen Werken. Nichts wird illustriert oder nacherzählt. Das Gelesene wird vielmehr wie von selbst zu einer Ablagerung, aus der immer wieder Bilder aus der Erinnerung an die Leseabenteuer aufsteigen. An die Stimmung im „Untergang des Hauses Usher“, das er mit 14 Jahren las, erinnert er sich lebendig. Sein Zutritt in die phantastischen, untergründigen Welten:

„...beschlich ein Gefühl unerträglicher Schwermut meine Seele. Ich sage unerträglich, weil es durchaus nicht von jener angenehmen, weil poetisch angehauchten Empfindung gemildert wurde, die uns gemeinhin überkommt, wenn wir uns bei der Betrachtung irgendeines düsteren, ja selbst des grausigsten Bildes höchster Verzweiflung und Schaurigkeit hingeben.“

Poetisch angehaucht erscheint da allerdings nichts in Meles Werk. Es ist das verdammt Existenzielle, das aus unerträglicher Schwermut sich mit einer literarisch gewitzten Komik für einen Augenblick Luft verschafft. Der Fuchs muß sich das Fell naß machen, weiß sich aber zu retten. Die Insel überlässt er den Anderen.

Carl Friedrich Schröer
 

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