Meyer Kainer

gelatin / gelitin

21 Jan - 13 Mar 2014

Gelatin
Die Winter Show – Exhibition View
GELATIN / GELITIN
Die Winter Show
22 January - 13 March 2014

Die Gelitin-Ausstellung in New York im Herbst 2012 firmierte unter dem Titel The Fall Show. (Gemeint war hier weniger die Jahreszeit als ein kinetischer Vorgang: Die Skulpturen waren so aufgestellt, dass sie bei Betätigung eines von Mülleimern her bekannten Hebemechanismus' von ihren Sockeln fielen.) Die gegenwärtige Ausstellung zu Jahresbeginn heißt Die Winter Show und folgerichtig sind nur weiße Bilder in einem weißen Raum mit abgerundeten Ecken, in denen sich das generische Licht des White Cubes nicht mehr zu einer scharfkantigen Schattenlinie verdichten kann, zu sehen. Umso deutlicher konturieren Licht und Schatten die Topographie der weißen Reliefbilder. Sie changieren zwischen vielen Weißtönen von schneeweiß bis elfenbeinfarben, ähnlich dem fleckigen, weißen Kleid, das Gudmundur Halgrimsson in der Ausstellung Loch im 21er Haus in Wien 2013 in Jack-Smith-Manier getragen hat. Die detailreichen Bilder sind dennoch elegant und mondän wie weiße Filminterieurs, cremeweiße Kleidung oder die weiße Architektur des International Style. Konterkariert wird dieser Eindruck nur von weißen Sitzpolstern auf einigen Gelatin-Möbeln, die bei Benutzung zärtliche Flatulenzgeräusche von sich geben.

Gelatins Einsatz der unbunten Farbe ist weit entfernt vom Farbauftrag Robert Rymans. Manzonis Achrome wären da schon eher anzuführen - wenn überhaupt, denn es fällt nicht leicht, diese wirklich außergewöhnlichen, kraftvollen Arbeiten zu verorten. Gelatin bauen die pastose Bildoberfläche aus weißem Paraffin und Plastilin unterschiedlicher Konsistenz und Tonigkeit mehr auf, als dass sie sie malen. Die abstrakten Bilder erinnern nicht so sehr an Schnee- wie an Meereslandschaften, Korallen und Algen, auch an den Auswurf sich durch Sand fressender Wattwürmer, obwohl sie weitaus abstrakter sind als frühere Plastilinarbeiten. Seltener identifiziert man in den Öffnungen Münder, Augen, Löcher oder Lavablasen. Aber das Pulsierende bleibt. Die Bilder erscheinen organisch und nicht abschließend verfestigt. Nach Bataille, der die Vorstellung einer essenziellen oder substanziellen Form verwirft, ist das Formlose, das Informe performativ. Es existiert operational, nicht als einfache Negation der Form, sondern als fortwährender Unfall bzw. Zufall.

Gelatin arbeiten kollektiv, aber nicht unbedingt gemeinsam, zu unregelmäßigen Zeiten an den haptischen Bildobjekten. Sie formen das Material auf jede erdenkliche Art und Weise zu Löchern, Wülsten, Abdrücken und Tropfen. Es wird mit den Händen oder Werkzeugen von verschiedenen Richtungen aus geknetet, gedrückt, gespachtelt, geschüttet, geworfen usw., wobei Formen und Handhabung bei jedem Detail möglichst variieren. Im Rückgriff auf den kreativen Urimpuls, der jedermann von klein auf oder wenigsten vom Kochen und Backen vertraut ist, erfährt die antiautoritäre Binnenorganisation der Bilder eine fast slapstickhafte Ausdifferenzierung ursprünglichster Gestaltungsmöglichkeiten. Über die gesamte Fläche verteilt sich ein Universum einzelner Mikropsychogramme individuell verschiedener Formen und Ereignisse. Entscheidungen werden verworfen, Plastilin heruntergenommen und wieder neu ins Spiel gebracht. Es ist ein Prozess, der potenziell immer weiter sisyphusiert werden könnte.

Ein eher impressionistisches, abstraktes und ein von Struktur und Aufbau vergleichbares aber schwarzes Bild, das die Künstler unter dem Label Gelitin im Boltensterm.Raum ausstellen, erzeugen eine Variation zur Reihe der weißen. In Schwarz entfaltet letzteres eine völlig andere Wirkung, die nicht einfach als Umkehrung beschrieben werden kann. Gleich einem schwarzen Loch, das Materie schluckt, verdichten sich hier Oberfläche und Intensität. Auch hier brechen die Furzkissen die Erfahrung des perfekten Tafelbildes. Gelatin/Gelitin begegnen dem Dilemma der korrumpierten Form, dass auch die Antiform immer wieder selbst zum Formalismus wird, mit vitalem, hemmungslosem Humor.

(Text: Anette Freudenberger)
 

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