Waldemar Zimbelmann
16 Jan - 05 Mar 2016
WALDEMAR ZIMBELMANN
16 January – 5 March 2016
Spätestens seit Sartres 'Das Sein und das Nichts' weiß man, dass die Dinge niemals vollständig wahrgenommen werden können, sondern immer nur in fragmentarischen Ausschnitten und Abschattungen. Der Grund dafür liegt in der Perspektivität der persönlichen Erfahrung und in der Begrenztheit der menschlichen Existenz an sich. Jeder wahrgenommene Gegenstand steht daher in einer fundamentalen Beziehung sowohl zum Sichtbaren wie zum Unsichtbaren. Seine Oberflächen sind zugleich die Grenzen zum Unsichtbaren, welches an ihnen haftet bzw. zum nichts, welches an sie grenzt. Beobachten kann man auch in Waldemar Zimbelmanns Malerei naturgemäß nur Oberflächen. Durch ihre intensive Bearbeitung, die Vielschichtigkeit und das radikale Wiederabtragen und Ausschaben der Schichten und Häute, lassen Zimbelmanns Arbeiten das abwesend Anwesende jedoch immer wieder bewusst vor das innere Auge treten. Was hinter oder unter den abgetragenen oder vielschichtigen Oberflächen lag, kann man zwar konkret nicht sehen, man kann es jedoch erahnen, sich vorstellen, denken oder fühlen. Auf diese Weise sind die sichtbaren Phänomene stets von einem Hof aus Vorstellungen, Imaginationen und Emotionen umgeben. Man ergänzt das, was man nicht beobachten kann, durch seine Vorstellungen, seine Erfahrungen und sein Wissen. Der polnische Philosoph Roman Ingarden hat in diesem Zusammenhang den Begriff der Leerstelle in die Ästhetik eingeführt. Er argumentierte, dass in der Literatur und in der Kunst zahlreiche Bestimmungen offengelassen werden, die später durch subjektive Konkretisationen des Betrachters aufgefüllt werden können und müssen. Jedes voll entwickelte ästhetische Erlebnis vollzieht sich laut Ingarden in einer Mannigfaltigkeit von Phasen, die – im Idealfall nach einem inneren Motivationszusammenhang streng geordnet – aufeinanderfolgen und zur Konstituierung und unmittelbaren Erfassung des ästhetischen Gegenstandes führen. Es enthält in seinem Verlauf mannigfache Teilerlebnisse sowohl erfassender als auch schöpferisch bildender oder nachbildender Art als auch endlich emotionaler Art, die auf verschiedene Weise miteinander verflochten sind. Es bildet eine Phase sehr aktiven Lebens, in welche nur in manchen Momenten das passive Hinnehmen eingeflochten ist. Das ästhetische Erlebnis fängt an, wenn (...) eine besondere Gestaltqualität zur Erscheinung gelangt, die den Erlebenden nicht „kalt lässt“, sondern ihn in einen eigentümlichen Erregungszustand versetzt. Die durch sie hervorgerufene Erregung ist die „ästhetische Ursprungsemotion“. Sie hat mit dem sogenannten „Gefallen“ nichts zu tun. (...) Die unmittelbar an die ästhetische Ursprungsemotion anknüpfende Phase ist ein aktives, konzentriertes Erschauen der uns zunächst bloß erregenden Qualität. Ist diese autonom, kommt der Konstitutionsprozess zum Stillstand: wir haben es mit einem relativ einfachen und primitiven ästhetischen Gegenstand zu tun. Erweist sie sich aber als ergänzungsbedürftig, so nimmt das ästhetische Erlebnis im weiteren Verlauf die Gestalt eines unruhevollen, anstrengenden Suchens nach den ergänzungsfähigen Qualitäten an. In den Phasen des ästhetischen Erlebnisses treten also dreierlei Elemente auf: 1. Die emotionalen (die ästhetische Erregung, das Genießen), 2. die aktiv-schöpferischen (das Bilden des ästhetischen Gegenstandes als eines qualitativen, strukturierten Ganzen), 3. die passive, hinnehmende anschauliche Erfassung der schon konstituierten qualitativen Gebilde). Infolgedessen zeichnet diese Phasen eine charakteristische Dynamik und Unruhe des Suchens und Findens aus. Im Unterschied dazu tritt in der letzten Phase des ästhetischen Erlebnisses eine Beruhigung ein. In ihr vollzieht sich das kontemplative, emotional durchsetzte intentionale Fühlen des konstituierten ästhetischen Gegenstandes. Dieses intentionale Fühlen bildet die eigentliche, ursprüngliche Erfahrung des ästhetischen Werthaften als solchem.
Quellen: Roman Ingarden: Erlebnis, Kunstwerk und Wert: Vorträge zur Ästhetik 1937-1967 und Hans Dieter Huber: Die Sichtbarkeit des Unsichtbaren
16 January – 5 March 2016
Spätestens seit Sartres 'Das Sein und das Nichts' weiß man, dass die Dinge niemals vollständig wahrgenommen werden können, sondern immer nur in fragmentarischen Ausschnitten und Abschattungen. Der Grund dafür liegt in der Perspektivität der persönlichen Erfahrung und in der Begrenztheit der menschlichen Existenz an sich. Jeder wahrgenommene Gegenstand steht daher in einer fundamentalen Beziehung sowohl zum Sichtbaren wie zum Unsichtbaren. Seine Oberflächen sind zugleich die Grenzen zum Unsichtbaren, welches an ihnen haftet bzw. zum nichts, welches an sie grenzt. Beobachten kann man auch in Waldemar Zimbelmanns Malerei naturgemäß nur Oberflächen. Durch ihre intensive Bearbeitung, die Vielschichtigkeit und das radikale Wiederabtragen und Ausschaben der Schichten und Häute, lassen Zimbelmanns Arbeiten das abwesend Anwesende jedoch immer wieder bewusst vor das innere Auge treten. Was hinter oder unter den abgetragenen oder vielschichtigen Oberflächen lag, kann man zwar konkret nicht sehen, man kann es jedoch erahnen, sich vorstellen, denken oder fühlen. Auf diese Weise sind die sichtbaren Phänomene stets von einem Hof aus Vorstellungen, Imaginationen und Emotionen umgeben. Man ergänzt das, was man nicht beobachten kann, durch seine Vorstellungen, seine Erfahrungen und sein Wissen. Der polnische Philosoph Roman Ingarden hat in diesem Zusammenhang den Begriff der Leerstelle in die Ästhetik eingeführt. Er argumentierte, dass in der Literatur und in der Kunst zahlreiche Bestimmungen offengelassen werden, die später durch subjektive Konkretisationen des Betrachters aufgefüllt werden können und müssen. Jedes voll entwickelte ästhetische Erlebnis vollzieht sich laut Ingarden in einer Mannigfaltigkeit von Phasen, die – im Idealfall nach einem inneren Motivationszusammenhang streng geordnet – aufeinanderfolgen und zur Konstituierung und unmittelbaren Erfassung des ästhetischen Gegenstandes führen. Es enthält in seinem Verlauf mannigfache Teilerlebnisse sowohl erfassender als auch schöpferisch bildender oder nachbildender Art als auch endlich emotionaler Art, die auf verschiedene Weise miteinander verflochten sind. Es bildet eine Phase sehr aktiven Lebens, in welche nur in manchen Momenten das passive Hinnehmen eingeflochten ist. Das ästhetische Erlebnis fängt an, wenn (...) eine besondere Gestaltqualität zur Erscheinung gelangt, die den Erlebenden nicht „kalt lässt“, sondern ihn in einen eigentümlichen Erregungszustand versetzt. Die durch sie hervorgerufene Erregung ist die „ästhetische Ursprungsemotion“. Sie hat mit dem sogenannten „Gefallen“ nichts zu tun. (...) Die unmittelbar an die ästhetische Ursprungsemotion anknüpfende Phase ist ein aktives, konzentriertes Erschauen der uns zunächst bloß erregenden Qualität. Ist diese autonom, kommt der Konstitutionsprozess zum Stillstand: wir haben es mit einem relativ einfachen und primitiven ästhetischen Gegenstand zu tun. Erweist sie sich aber als ergänzungsbedürftig, so nimmt das ästhetische Erlebnis im weiteren Verlauf die Gestalt eines unruhevollen, anstrengenden Suchens nach den ergänzungsfähigen Qualitäten an. In den Phasen des ästhetischen Erlebnisses treten also dreierlei Elemente auf: 1. Die emotionalen (die ästhetische Erregung, das Genießen), 2. die aktiv-schöpferischen (das Bilden des ästhetischen Gegenstandes als eines qualitativen, strukturierten Ganzen), 3. die passive, hinnehmende anschauliche Erfassung der schon konstituierten qualitativen Gebilde). Infolgedessen zeichnet diese Phasen eine charakteristische Dynamik und Unruhe des Suchens und Findens aus. Im Unterschied dazu tritt in der letzten Phase des ästhetischen Erlebnisses eine Beruhigung ein. In ihr vollzieht sich das kontemplative, emotional durchsetzte intentionale Fühlen des konstituierten ästhetischen Gegenstandes. Dieses intentionale Fühlen bildet die eigentliche, ursprüngliche Erfahrung des ästhetischen Werthaften als solchem.
Quellen: Roman Ingarden: Erlebnis, Kunstwerk und Wert: Vorträge zur Ästhetik 1937-1967 und Hans Dieter Huber: Die Sichtbarkeit des Unsichtbaren