Meyer Riegger

Waldemar Zimbelmann

26 Jan - 23 Feb 2013

© Waldemar Zimbelmann
Untitled, 2012
acrylic on canvas
70 x 50 cm
WALDEMAR ZIMBELMANN
26.01 – 23.02.2013

Zimbelmanns menschliche Figuren sind stets aus innerem Erleben gesetzt. Findet auch die Herausbildung des Figurentypus ihren Ursprung in alten Familienfotos – „mich hat daran immer besonders die Absurdität gereizt – dieser Trash, wie wir alle da standen in unseren Jogginganzügen als wir aus Kasachstan frisch angekommen waren in Deutschland“ - , so werden bei ihm diese
Erinnerungsfragmente doch immer mit dem Unvorhersehbaren des Malprozesses konfrontiert und verselbstständigen sich so zu einer ganz eigenen Motiv- und Bilderwelt.

Entschiedene und feste Malstatements konfrontiert er dabei mit prozesshaften Spuren und vielschichtig flirrenden Farblagen. Stilbildend ist für den ursprünglich aus der Zeichnung kommenden Maler die Verwendung eines Skalpells, das er präzise als Zeicheninstrument einsetzt, indem er feinste Linien und Umrisse ritzt, Flächen zerkratzt und ausschabt oder manchmal sogar angeritzte
Fetzten von Farbhäuten radikal ganz aus dem Bild herausreißt. In dieser offenen Malweise erzeugt Zimbelmann Farbschichten, die den schlichten, manchmal interieurartigen Szenerien seiner Figuren Raum geben und oftmals die Atmosphäre von verlassenen Vorstädten und Hinterhöfen assoziieren
lassen. Die sparsamen Verweise und eigenständigen Erfindungen von Figuren, Formen und Strukturen machen Zimbelmanns Bilder zu einem Laboratorium der Formwandlungen und Übergänge, denen er zuletzt doch immer einen sicheren Halt und formale Strenge gibt.

Waren es bislang überwiegend die Portraits, deren innere Vorstellung sich aus der reinen Abstraktion von Farbflächen und Linien im Laufe des Malprozesses durch unzählige Formfindungen und – verwerfungen erst allmählich verfestigte, so beschritt der Maler in den Bildern dieser Ausstellung erstmals auch bei den großformatigen Figurendarstellungen diesen Weg der offenen Formsuche. „Auslöser hierfür war das Bild mit dem Gebüsch. Im abstrakten Farbgeflecht sah ich plötzlich diese Figur, die einen Busch umgreift und jagte der Idee dieser eigenartigen Symbiose solange nach, bis ich sie malerisch zu fassen bekam. Ich gehe nie mit verfestigten Vorstellungen in die Bildwerdung, sondern setze diese bis zum Ende dem Werden aus.“

Die Idee der Symbiose ist bei Zimbelmann ein immer wiederkehrendes Motiv. Sein Interesse richtet sich zum einen auf die enge Beziehung zweier Individuen und deren verwobene Körperlichkeit, zum anderen auf die symbiotische Verflechtung von Figur und Natur. Die verschiedenen Formen oder Stadien der Symbiose reichen von dicht aneinandergeschmiegten , aber körperlich getrennt bleibenden Partnern, über Individuen, die ganz oder teilweise im Körper des anderen aufgenommen werden bis hin zu Figuren, die lediglich einzelne zu Ästen transformierte Gliedmaße aufweisen.

In der Naturforschung bezeichnet man den größeren Partner einer Symbiose oft als Wirt, der Lebensraum für den kleineren Symbionten schafft und dadurch eine Beziehung ermöglicht, die wiederum für beide Partner vorteilhaft ist. In diesem Sinne existiert auch in Zimbelmanns Arbeiten oftmals ein „Wirt“ – eine dominante Figur, die durch ihre extravagante und einnehmende Körperhaltung einer zweiten Figur gerade so viel Raum bietet, sich gleichsam der vorgegebene Körperhaltung des Wirts zu fügen und einzupassen. Sie bleibt jedoch keineswegs dieser Unterordnung verhaftet, sondern schafft sich auf subtile Weise eigenständigen Freiraum und nimmt so ihrerseits Einfluss auf den „Wirt“. Hat es zum Beispiel zunächst den Anschein, die türkische Frau mit Kopftuch trete devot hinter ihrem charismatisch wirkenden Partner zurück, so nimmt man bei genauerem Hinsehen die implizite Vorwärtsbewegung ihrerseits wahr – bewirkt allein durch den nur zu erahnenden Körperkontakt ihrer Schultern, der ein sanftes Wegschieben suggeriert.

In einer anderen Arbeit, die ein Mädchen allein auf einer Bank sitzend zeigt, scheint der ursprüngliche „Wirt“ den Bildraum einfach verlassen und damit gewissermaßen den Platz auf der Bank freigegeben zu haben für den Betrachter, der nun als neuer Symbiosepartner jener spannungsgeladene Beziehung ausgesetzt wird. Ist im Blick des Mädchens eine Einladung, vielleicht sogar eine dringliche Aufforderung zum Hinsetzen zu erkennen oder vielmehr eine ängstliche Ablehnung? Suggeriert ihre steife, unsichere Körperhaltung eine scheue Zurückhaltung oder vielmehr die ablehnende Verachtung ihres Gegenübers? Die Bemühungen des Betrachters, den Ausdruck des Mädchens definitiv auf die eine oder andere Wahrheit festzulegen, werden wie so oft bei Zimbelmanns Arbeiten weitestgehend fehlschlagen. Seine Figuren und Portraits leben gerade von dieser ambivalenten Mimik, die es nahezu unmöglich macht, sie in gewohnten Emotions- und Denkschemen zu kategorisieren. Oft drücken schon beide Augen jeweils völlig unterschiedliche Gemütszustände und Stimmungen aus, die wiederum von den oft formstarken Wangen oder den feinen Zügen des Mundes konterkariert werden, so dass in einem einzigen Gesicht nicht selten Schelmenhaftigkeit, Melancholie und Ernsthaftigkeit aufeinanderprallen
und sich dennoch zu einem einheitlichen Ganzen fügen. Zimbelmanns Bildkonzeption sieht vor, verschiedene Stadien von Bewusstheit und mentaler Dichte in den Gesichtern zu kontrastieren, auf die er stets sein Hauptaugenmerk richtet und in denen sich die gesamte Spannung des Bildes zuspitzt und entlädt.

In dieser Hinsicht unterscheiden sich die Arbeiten auf Leinwand von den Zeichnungen, die inzwischen mehr und mehr zu kleinformatigen Malereien geworden und deren Papiergründe durch die mehrschichtige Bearbeitung längst nicht mehr als solche wahrzunehmen sind: Abgesehen von den Portraits und Holzcollagen richtet sich das Augenmerk des Künstlers hier weniger auf die Herausarbeitung eines individuellen Charakters, als vielmehr auf die Suche nach ambivalenten Kopfund Körperformen. Diese bleiben vielfach offen sichtbar nebeneinander bestehen – sei es als
einfache Silhouette oder als vollständig ausformulierter Kopf – und geben so Einblicke in den vorangegangenen Malprozess. In ihrer Art meist etwas phantastischer und überdrehter, knüpfen die Papierarbeiten thematisch direkt an die Leinwände an: in symbiotischer Art und Weise teilen sich hier
drei Köpfe einen Körper, dort zwei Figuren ein Bein.
Wie auch in den größeren Arbeiten gehen sie eine Verbindung von Klarheit und irritierender Unruhe
ein.

Christina Pasedag
 

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