Zeitgenössische Fotokunst aus Brasilien
14 Jan - 26 Feb 2006
Zeitgenössische Fotokunst aus Brasilien
Ausstellung: 14. Januar bis 26. Februar 2006
Eröffnung: 13. Januar 2006, 19 Uhr
Künstler: Rogério Canella, Marcos Chaves, Rochelle Costi, Franz Manata, Pedro Motta, Emmanuel Nassar, Sara Ramo, Caio Reisewitz, Rosângela Rennó,
Mauro Restiffe, Miguel Rio Branco, Thiago Rocha Pitta
Kuratoren: Fernando Cocchiarale, Direktor des Museu de Arte Moderna, Rio de Janeiro
und Alfons Hug, Direktor des Goethe-Instituts, Rio de Janeiro
Im Rahmen der brasilianischen Kulturveranstaltung “Copa da Cultura“, die im Jahr der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland stattfindet und sicherlich ein erhöhtes Interesse auf dieses südamerikanische Land richten wird, scheint es folgerichtig, dass unsere Ausstellungsreihe von Fotokunst ausgewählter Länder diesmal mit der zeitgenössischen Fotografie Brasiliens fortgesetzt wird. Sie ist Teil der Kunst einer lebendigen Kulturregion, deren Musik und Lebensart in unserem Bewusstsein fest verankert ist, deren heutige fotokünstlerische Situation jedoch meistens nur mit einigen international bekannt gewordenen Namen, wie Sebastião Salgado oder Mario Cravo Neto, in Verbindung gebracht wird. Auch ihre Geschichte, die ein langer Weg war von den Anfängen Mitte des 19. Jahrhunderts, als in der jungen Monarchie noch Sklaverei herrschte, bis zu der heutigen modernen Republik, die die zweitwichtigste Kunstbiennale der Welt ausrichtet, ist bei uns noch wenig bekannt. Die Gründe dafür sind vielschichtig und liegen in erster Linie in der geschichtlichen und gesellschaftlichen Situation Brasiliens im vergangenen Jahrhundert. Erst in Folge des Modernisierungsprozesses in den fünfziger Jahren erlebte Brasilien auf dem Gebiet der Kunst eine gewaltige Erneuerung, und die Fotografie konnte sich durch die Escola Paulista, die „Schule von São Paulo“, als eigenständiges Ausdrucksmittel etablieren. Deren Mitglieder waren die ersten brasilianischen Künstler, die sich die Fotografie in einem experimentellen Sinne zu Eigen machten, befreit von den ihr seit ihrer Erfindung zugeschriebenen mimetischen Fesseln.
„In diesem historischen Moment, an dem Kunst und Fotografie sich im bildnerischen Schaffen des Landes begegnen“, schreibt Fernando Cocchiarale in seinem Katalogbeitrag, „können wir den Anfang einer Geschichte ausmachen, die den Arbeiten der an dieser Ausstellung beteiligten zwölf brasilianischen Künstler Sinn verleiht. Sie entstammen nicht dem im Verlauf des zwanzigsten Jahrhunderts meistverbreiteten fotografischen Stammbaum, der in unterschiedlichem Grad durch den Fotojournalismus beeinflusst wurde, sondern den in der zeitgenössischen Kunst erlaubten Überschreitungen.“
Die heutige brasilianische Fotokunst steht im Spannungsfeld von der Überwindung der Tradition des Fotojournalismus und der Krise des Subjekts in der Gegenwart. Die Auswahl für die Ausstellung fand vor diesem Hintergrund statt. Neben international etablierten Fotografen, wie Miguel Rio Branco und Emmanuel Nassar, werden Werke von noch wenig bekannten Vertretern der jüngsten Künstlergeneration, Rogério Canella und Franz Manata, präsentiert.
Sicherlich ist es nicht möglich, mit zwölf Positionen einen umfassenden Überblick der zeitgenössischen brasilianischen Fotokunst darzubieten. Dennoch ist unsere Ausstellung in der Lage, einige ihrer wichtigsten Aspekte aufzuzeigen, wie dies von den Kuratoren im Einzelnen charakterisiert wurde: Fotografie als beunruhigendes Zeichen der Wirklichkeit in den großen urbanen Zentren Brasiliens (Rogério Canella), als Strategie der Aneignung von Objekten oder Situationen, die diesem urbanen Umfeld entnommen wird (Marcos Chaves), als eine Art typologisches Archiv der Vorstellungen und des Geschmacks der einfachen Volksschichten (Rochelle Costi), als Problematisierung der Idee individueller Autorschaft (Franz Manata), als Metapher für die aktuelle Unbestimmtheit von Grenzen zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten (Pedro Motta), als Emblematik für eine brasilianische Visualität mit Hilfe von Elementen der Volkskultur (Emmanuel Nassar), als Szenarien von ironischen Umkehrungen zwischen der Repräsentation und dem Leben (Sara Ramo), als Strategie der Aneignung, um die Banalität des Alltags ihrer Anonymität zu entreißen (Rosângela Rennó), als Denkanstöße über die selektive Wahrnehmung von öffentlichen Innenräumen und Landschaften (Caio Reisewitz), als Enthüllung der den Bildern zugrunde liegenden Mechanismen (Mauro Restiffe), als Erfahrung unserer conditio humana mittels menschlicher Gestalten, die durch ihre niedrige soziale Stellung Opfer des Schicksals wurden (Miguel Rio Branco) und schließlich als Beschwörung und Vergegenwärtigung der Beziehung zwischen Kunst und Natur, deren Einheit seit der Erfindung der Fotografie unwiderherstellbar zerstört ist (Thiago Rocha Pitta).
Die Ausstellung, die anschließend auch in Sindelfingen, Halle, Kiel und Cottbus gezeigt wird, erhielt eine großzügige finanzielle Förderung vom brasilianischen Kulturministerium und wurde mit organisatorischer Hilfe des Goethe-Instituts Rio de Janeiro verwirklicht.
Der Katalog, der in Zusammenarbeit mit der Edition Braus im Wachter Verlag GmbH, Heidelberg, erscheint und während der Ausstellung 19,- Euro kostet, ist Teil unseres Konzepts, die Fotokunst der Gegenwart mit einer fortgeführten Serie von Publikationen vorzustellen. Die Textbeiträge stammen von Fernando Cocchiarale, Direktor des Museu de Arte Moderna, Rio de Janeiro und der brasilianischen Fotohistorikerin Helouise Costa.
Hinweis:
In unserer Veranstaltungsreihe „Treffpunkt NBK“ werden während der Ausstellungslaufzeit drei Mittwochabende dem Thema gewidmet:
11. Januar, 19 Uhr
„Território Livre". Vortrag von Alfons Hug, Rio de Janeiro,
Leiter der letzten zwei Biennalen in São Paulo
18. Januar, 19 Uhr
„Videokunst aus Brasilien“ vorgestellt von Tereza de Arruda, Berlin
8. Februar, 19 Uhr
„Tupi or not Tupi – this ist the question. Ideologie und Wirklichkeit der
Anthropophagia“. Vortrag von Prof. Dr. Karin Stempel, Kassel
© Caio Reisewitz: “Igreja de São Francisco da Penitência I", 2004
Ausstellung: 14. Januar bis 26. Februar 2006
Eröffnung: 13. Januar 2006, 19 Uhr
Künstler: Rogério Canella, Marcos Chaves, Rochelle Costi, Franz Manata, Pedro Motta, Emmanuel Nassar, Sara Ramo, Caio Reisewitz, Rosângela Rennó,
Mauro Restiffe, Miguel Rio Branco, Thiago Rocha Pitta
Kuratoren: Fernando Cocchiarale, Direktor des Museu de Arte Moderna, Rio de Janeiro
und Alfons Hug, Direktor des Goethe-Instituts, Rio de Janeiro
Im Rahmen der brasilianischen Kulturveranstaltung “Copa da Cultura“, die im Jahr der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland stattfindet und sicherlich ein erhöhtes Interesse auf dieses südamerikanische Land richten wird, scheint es folgerichtig, dass unsere Ausstellungsreihe von Fotokunst ausgewählter Länder diesmal mit der zeitgenössischen Fotografie Brasiliens fortgesetzt wird. Sie ist Teil der Kunst einer lebendigen Kulturregion, deren Musik und Lebensart in unserem Bewusstsein fest verankert ist, deren heutige fotokünstlerische Situation jedoch meistens nur mit einigen international bekannt gewordenen Namen, wie Sebastião Salgado oder Mario Cravo Neto, in Verbindung gebracht wird. Auch ihre Geschichte, die ein langer Weg war von den Anfängen Mitte des 19. Jahrhunderts, als in der jungen Monarchie noch Sklaverei herrschte, bis zu der heutigen modernen Republik, die die zweitwichtigste Kunstbiennale der Welt ausrichtet, ist bei uns noch wenig bekannt. Die Gründe dafür sind vielschichtig und liegen in erster Linie in der geschichtlichen und gesellschaftlichen Situation Brasiliens im vergangenen Jahrhundert. Erst in Folge des Modernisierungsprozesses in den fünfziger Jahren erlebte Brasilien auf dem Gebiet der Kunst eine gewaltige Erneuerung, und die Fotografie konnte sich durch die Escola Paulista, die „Schule von São Paulo“, als eigenständiges Ausdrucksmittel etablieren. Deren Mitglieder waren die ersten brasilianischen Künstler, die sich die Fotografie in einem experimentellen Sinne zu Eigen machten, befreit von den ihr seit ihrer Erfindung zugeschriebenen mimetischen Fesseln.
„In diesem historischen Moment, an dem Kunst und Fotografie sich im bildnerischen Schaffen des Landes begegnen“, schreibt Fernando Cocchiarale in seinem Katalogbeitrag, „können wir den Anfang einer Geschichte ausmachen, die den Arbeiten der an dieser Ausstellung beteiligten zwölf brasilianischen Künstler Sinn verleiht. Sie entstammen nicht dem im Verlauf des zwanzigsten Jahrhunderts meistverbreiteten fotografischen Stammbaum, der in unterschiedlichem Grad durch den Fotojournalismus beeinflusst wurde, sondern den in der zeitgenössischen Kunst erlaubten Überschreitungen.“
Die heutige brasilianische Fotokunst steht im Spannungsfeld von der Überwindung der Tradition des Fotojournalismus und der Krise des Subjekts in der Gegenwart. Die Auswahl für die Ausstellung fand vor diesem Hintergrund statt. Neben international etablierten Fotografen, wie Miguel Rio Branco und Emmanuel Nassar, werden Werke von noch wenig bekannten Vertretern der jüngsten Künstlergeneration, Rogério Canella und Franz Manata, präsentiert.
Sicherlich ist es nicht möglich, mit zwölf Positionen einen umfassenden Überblick der zeitgenössischen brasilianischen Fotokunst darzubieten. Dennoch ist unsere Ausstellung in der Lage, einige ihrer wichtigsten Aspekte aufzuzeigen, wie dies von den Kuratoren im Einzelnen charakterisiert wurde: Fotografie als beunruhigendes Zeichen der Wirklichkeit in den großen urbanen Zentren Brasiliens (Rogério Canella), als Strategie der Aneignung von Objekten oder Situationen, die diesem urbanen Umfeld entnommen wird (Marcos Chaves), als eine Art typologisches Archiv der Vorstellungen und des Geschmacks der einfachen Volksschichten (Rochelle Costi), als Problematisierung der Idee individueller Autorschaft (Franz Manata), als Metapher für die aktuelle Unbestimmtheit von Grenzen zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten (Pedro Motta), als Emblematik für eine brasilianische Visualität mit Hilfe von Elementen der Volkskultur (Emmanuel Nassar), als Szenarien von ironischen Umkehrungen zwischen der Repräsentation und dem Leben (Sara Ramo), als Strategie der Aneignung, um die Banalität des Alltags ihrer Anonymität zu entreißen (Rosângela Rennó), als Denkanstöße über die selektive Wahrnehmung von öffentlichen Innenräumen und Landschaften (Caio Reisewitz), als Enthüllung der den Bildern zugrunde liegenden Mechanismen (Mauro Restiffe), als Erfahrung unserer conditio humana mittels menschlicher Gestalten, die durch ihre niedrige soziale Stellung Opfer des Schicksals wurden (Miguel Rio Branco) und schließlich als Beschwörung und Vergegenwärtigung der Beziehung zwischen Kunst und Natur, deren Einheit seit der Erfindung der Fotografie unwiderherstellbar zerstört ist (Thiago Rocha Pitta).
Die Ausstellung, die anschließend auch in Sindelfingen, Halle, Kiel und Cottbus gezeigt wird, erhielt eine großzügige finanzielle Förderung vom brasilianischen Kulturministerium und wurde mit organisatorischer Hilfe des Goethe-Instituts Rio de Janeiro verwirklicht.
Der Katalog, der in Zusammenarbeit mit der Edition Braus im Wachter Verlag GmbH, Heidelberg, erscheint und während der Ausstellung 19,- Euro kostet, ist Teil unseres Konzepts, die Fotokunst der Gegenwart mit einer fortgeführten Serie von Publikationen vorzustellen. Die Textbeiträge stammen von Fernando Cocchiarale, Direktor des Museu de Arte Moderna, Rio de Janeiro und der brasilianischen Fotohistorikerin Helouise Costa.
Hinweis:
In unserer Veranstaltungsreihe „Treffpunkt NBK“ werden während der Ausstellungslaufzeit drei Mittwochabende dem Thema gewidmet:
11. Januar, 19 Uhr
„Território Livre". Vortrag von Alfons Hug, Rio de Janeiro,
Leiter der letzten zwei Biennalen in São Paulo
18. Januar, 19 Uhr
„Videokunst aus Brasilien“ vorgestellt von Tereza de Arruda, Berlin
8. Februar, 19 Uhr
„Tupi or not Tupi – this ist the question. Ideologie und Wirklichkeit der
Anthropophagia“. Vortrag von Prof. Dr. Karin Stempel, Kassel
© Caio Reisewitz: “Igreja de São Francisco da Penitência I", 2004