Neuer Berliner Kunstverein (n.b.k.)

Zeitgenössische Fotokunst aus Ungarn

19 Jan - 24 Feb 2008

Dezsö Szabó: Bruchlinie IV/I, 2004
Zeitgenössische Fotokunst aus Ungarn

Ausstellung: 19. Januar bis 24. Februar 2008
Eröffnung: 18. Januar 2007, 19 Uhr

Künstler: Gabriella Csoszó, Ágnes Eperjesi, Anna Fabricius, Gábor Gerhes, Tibor Gyenis, Antal Jokesz, Gábor Arion Kudász, Gegely László / Péter Rákosi, Dezsö Szabó, Lilla Szász und Lenke Szilágyi

Kuratoren: Zsolt Petrányi, Generaldirektor der Budapester Kunsthalle Mücsarnok und Alexander Tolnay, ehemaliger Direktor des Neuen Berliner Kunstverein

Nach zahlreichen Entdeckungsreisen in entfernte Weltgegenden kehren wir mit der zwölften und letzten Folge unserer Ausstellungsserie zeitgenössischer Fotokunst ausgewählter Länder nach Europa zurück. Die Ausstellung ist der heutigen Fotoszene Ungarns gewidmet, das erst seit kurzem seine uneingeschränkte politische und kulturelle Unabhängigkeit wieder erlangt und seine Isolierung von der internationalen Entwicklung überwunden hat. Wie auch seine „postkommunistischen“ Nachbarländer befindet sich Ungarn zweifelsohne in einem Übergangsstadium und einer spannenden Auseinandersetzung mit dem eigenen Erbe der politischen und künstlerischen Vergangenheit wie auch den akuten Fragestellungen der Gegenwart.

Die Ausstellung präsentiert elf Künstlerinnen und Künstler vorwiegend aus der jüngeren Generation, die eine Reihe aktueller Tendenzen in der ungarischen Fotoszene repräsentieren. Bei den unterschiedlichen Ansätzen sind zwei Richtungen vorherrschend: auf der einen Seite der Dokumentarismus, der in den 1960er Jahren schulbildend war und der bis heute von bedeutenden Positionen aller Generationen vertreten wird, auf der anderen Seite ist es eine Art Konzeptualismus, dessen vielfältige Varianten von der Inszenierung über tagebuchartige (Selbst-)Beobachtung bis hin zu digital manipulierten Bildern reichen. Im Interesse des Festhaltens und Kommentierens der Umwelt und ihrer Verhältnisse geben die Dokumentaristen einer klassischen Bildsprache der unverfälschten Direktheit des Realen und der sozialen Aussagekraft der Momentaufnahme den Vorzug. Die Fotografien der Kon-zeptualisten haben sich hingegen in den Kontext der zunehmenden Mediatisierung der Welt gestellt. Sie orientieren sich an der allgemeinen Konzeptualisierung in der bildenden Kunst: weg vom Kanon der Moderne und hin zur fotografischen Aneignung von vorgefundenen Bildern in der Medienwelt und zur assoziativen Herstellung von autonomen Bildentwürfen.

Gabriella Csoszó, hat sich in der konzeptuellen Fotografie einen Namen gemacht. Sie arbeitet installativ und verbindet in ihren Serien alltäglicher Aktivitäten Text und Bild für ihre mehrschichtige Symbolik. Ágnes Eperjesi reflektiert mit ihren durch eine spezielle Technik entstandenen Alltagsaufnahmen von Frauen, den von der Veränderung der Gesellschaftsstruktur verursachten Identitätswandel. Anna Fabricius führt Einzelne oder Gruppen in bestimmten Situationen vor, in denen ihr Verhalten hinterfragt oder ironisiert wird. Es entstehen Aufnahmen mit performanceartiger Wirkung und unfreiwilliger Komik. Gábor Gerhes stellt assoziative Schauplätze her, indem er spielerische Szenen und grafische Elemente verbindet. Er entwirft Konstellationen, in denen die Figuren, ihre Beziehung zueinander und die Situation selbst Assoziationen mit der Sprache evozieren, die wir normalerweise zur Beschreibung von Bildern gebrauchen. Tibor Gyenes operiert mit Interventionen im öffentlichen Raum und spielt mit der Wechselwirkung zwischen dem Natürlichen und Künstlichen. Die Kunst dient ihm als Beweis dafür, dass menschliche Korrekturen an der Realität die Umgebung spannungsvoll ergänzen können. Antal Jokesz, der bereits auf eine lange
Laufbahn zurück blickt und großen Einfluss auf die jüngere Generation ausgeübt hat, schafft illusionistische Momentaufnahmen, indem er seine eigenen älteren Abzüge aus den 1970er und 1980er Jahren mit manipulierter Farbgebung wieder verwendet. Gábor Arion Kudász’ Arbeiten sind Bilder der Stille. Er fotografiert urbane Nachtszenen, die in ihrer Symbolik der Leere und Einsamkeit zu visueller Meditation einladen. Gergely László und Péter Rákosi beschäftigen sich mit kleinen sozialen Einheiten und gesellschaftlichen Randgruppen. In ihren oft humorvollen porträtartigen Serien untersuchen sie die Besonderheit bestimmter sozialer Realitäten mit Hilfe von unmittelbaren Forschungen vor Ort und thematisieren auch die schwierigen Randbedingungen die zur Realisierung ihrer Projekte erforderlich sind.
Dezsö Szabó baut Modelle anhand von Katastrophenbildern aus den Massenmedien, wie Flugzeugabstürze, Terroranschläge, Naturkatastrophen, um sie anschließend wahrheitsgetreu fotografisch nachzuahmen. Sein Ziel ist es, den Betrachter bewusst im Unklaren darüber zu lassen, ob es sich um einen Fotoabzug oder ein eingefrorenes Fernsehbild handelt. Lilla Szász zeigt Alltagsszenen von benachteiligten Frauen, mit denen sie vorher ein Vertrauensverhältnis aufbaut. Sie kombiniert dabei die Porträts mit der zuvor aufgenommen sozialen Umgebung ihrer Protagonistinnen. Lenke Szilágyi, die „Altmeisterin“ der ungarischen Schwarzweißfotografie, dokumentiert mit ihren neuen Farbaufnahmen das bunte Partyleben der Budapester Subkultur.

Die Ausstellung, die anschließend auch im Halleschen Kunstverein und der Galerie der Stadt Sindelfingen gezeigt wird, erhielt eine finanzielle Unterstützung der Allianz-Kulturstiftung. Der dreisprachige Katalog, der in Zusammenarbeit mit der Edition Braus im Wachter Verlag GmbH, Heidelberg, erscheint, und kostet während der Ausstellung 19,- Euro. Die Textbeiträge stammen von László Beke und Zsolt Petrányi.

Veranstaltungshinweis (jeweils 19 Uhr):

16. Januar 2008 „Ungarischer Beitrag zur Berliner Fotografie“ Vortrag von Prof. Dr. Lászlo Beke, Direktor des Forschungsinstituts für Kunstgeschichte der Ungarischen A-kademie der Wissenschaften

23. Januar 2008 „Der Stand der Dinge“ – Zeitgenössische Videokunst aus Ungarn“ vorgestellt von Lívia Paldi, Kunsthalle Budapest – eine Veranstaltung des Video-Forums