Kristallin
06 Sep - 19 Oct 2008
KRISTALLIN
Hans-Christian Dany | Stefan Panhans | Tobias Zielony
6. Sep - 19. Okt, 2008
Auf den ersten Seiten seines Buches „SPEED – Eine Gesellschaft auf Droge“ entwirft Hans-Christian Dany das Bild einer Frau, die sich an einem unbekannten Ort, in einer nicht näher beschriebenen Wohnung, alleine, in einen monotonen Takt bringt. In immer gleichen Wiederholungen betätigt sie ihren chemischen Körperschalter und kreist in Zuständen, die nur zwischen einsetzender und nachlassender Wirkung zu unterscheiden sind. Man könnte auf die Idee kommen, es handele sich bei der wiederholungssüchtigen Amphetaminnutzerin um eine „ganz normale“ Hausfrau, die sich während ihrer Arbeit in ihren eigenen vier Wänden einen Rausch zufügt. In Erwartung ihres nächsten Hochgefühls beginnt sie in der Küche zu arbeiten, macht die Betten oder räumt den Schlafzimmerschrank auf. Doch irgendwie setzt sich das von Dany ausgemalte Bild nicht richtig zusammen. Kleine Details, wie die schwarze Filmdose in die die kristalline Substanz wie Schnee fällt oder der aufgerollte Geldschein, durchkreuzen die Vorstellungen von der Normalität eines Reinemachetages. Liest man weiter in „SPEED“, wird klar, dass die Figur der Hausfrau, mit Zeitsprüngen und ein paar Veränderungen des Settings, sich zumindest im Raum des Möglichen aufhalten könnte, denn die Erscheinungsformen des Wirkstoffes Amphetamin sind vielfältig und ineinander verwoben: Sie reichen von dem in den 30ern intensiv vermarkteten Haus- und Wohlfühlmittel „Benzedrin“ über Schlaf- und Angstwegschieber für die Soldaten der Wehrmacht oder der US-Armee bis zur illegal selbst gekochten und auf dem Schwarzmarkt vertriebenen Horrordroge „Crystal Meth“ oder der heute gerne verschriebenen „weicheren“ Produktvariante „Ritalin“ für unruhige und konzentrationsschwache Kinder. Hans-Christian Dany kontextualisiert in seiner kulturhistorischen Erforschung den Wirkstoff als „populären Gebrauchsgegenstand, der viele Namen trägt und in unterschiedlichen Formen auftritt“*. Seine zeitgemäße Nutzung begreift er als ausdifferenzierte Körpertechnologie, die optimierende Maßnahmen am eigenen Selbst erlaubt. Die zwar immer auch noch als Verweigerungsgeste den Wunsch nach Selbstermächtigung repräsentiert, die aber jenseits ausschweifender Praktiken zunehmend auf die eigene Verbesserung setzt, also auf persönliche Leistungssteigerung, um das gesellschaftliche Weiterkommen zu sichern.
Die von Tobias Zielony in seiner Fotoserie „Trona“ (2008) porträtierten jugendlichen Metamphetaminnutzer wirken so, als befände sich ihre Konsumpraxis in einer genau gegenläufigen Bewegung zum allgemeinen Verbesserungsmainstream: Ihnen stehen die Möglichkeiten zu einem gesellschaftlichem „Weiter“ wahrscheinlich gar nicht erst zur Verfügung. „Trona“ ist der Name einer aussterbenden Bergarbeitersiedlung in der kalifornischen Mojave-Wüste. „Trona“ ist aber auch die Bezeichnung für die chemische Substanz, die aus den kristallinen Wucherungen des nahegelegenen Salzsees von der ansässigen Chemiefabrik, dem einzigen Arbeitgeber vor Ort, gewonnen wird. Die ausgedehnte Farblosigkeit der Wüste um Trona, das reflektierende Weiß des verdunstenden Salzsees, die angepinselte Weiße der Chemiefabrik und der Holzhäuser der Bewohner sowie das gleichmäßig strahlende Licht einer immer scheinenden Sonne, durchziehen die Aufnahmen von Zielony und bilden ihren unwirtlichen fast schon entrückten Hintergrund. Auf den ersten Blick wie in eine falsche Umgebung hineinmontiert, sehen die abgebildeten Jugendlichen mit ihren schwarzen oder bunten T-shirts, mit Jeans mit modischen Nietengürteln und mit Sneakers, vertraut aus. Sie werden bei ihren alltäglichen Zeitvertreiben, beim gemeinsamen Abhängen an unspezifischen öffentlichen Orten gezeigt in einer sich diffus ausbreitenden angespannten Langeweile. Erst bei näherer Betrachtung der Fotografien rücken befremdlichere Details in den Vordergrund Das sind nicht nur die abgebrannten Autos, ruinierten Häuser oder versandeten Vorgärten. Die Porträts der Jugendlichen haben insgesamt etwas Verschlossenes. Ein Bild etwa zeigt einen Jugendlichen, der von seinem Fahrrad gefallen ist. Man sieht ihn liegen. Man sieht nur seinen Hinterkopf, seinen Rücken, seine Beine und sein Fahrrad. Er liegt auf einer abschüssigen Betontrasse, eingeklemmt zwischen Stahlzäunen und Strommästen am Rande eines verwaisten Sportplatzes inmitten der Wüste und der sie umgebenden Berge. Was genau passiert ist und warum, bleibt unklar. In dieser und ähnlicher Art und Weise sind die Porträtierten zwar für den Betrachter gegenwärtig, scheinen jedoch gleichzeitig wie absorbiert in einer sozialen Landschaft, die keinen Ausweg hat. Dieser Moment zieht sich in den Bildern zu einer allgegenwärtigen Spannung zusammen. Er hat nicht zuletzt etwas mit der intensiven Aufnahmepraxis von Zielony zu tun, die einerseits eine Identifikation mit den Porträtierten nahelegt, die aber andererseits immer eine distanzierte und dokumentierende Perspektive einnimmt. Der installativ angelegten Arbeit „Trona“ fügt Tobias Zielony neben seinen Fotografien eine konkretere Ebene hinzu: Über Auszüge aus einem Blog zu und über Trona erfährt man, dass außer den Kristallen aus dem Salzsee noch andere Kristalle in Trona produziert werden. Die Mehrzahl der Bewohner sind „Tweaker“, gehören also zu der verarmten weißen Arbeiterschicht, die über 90 % der Konsumenten von Metamphetamin genannt „Crystal Meth“ ausmacht. In den etlichen illegalen Heimlaboren wird der Bedarf an dem Stoff selbst gekocht. Das Wissen darum zieht sich wie eine Folie über die Betrachtung der fotografischen Bilder. Das Bild von den Kristallen verbindet sich dabei zu einer zweischneidigen Metapher.
Wie Einblicke in eine klimatisierte und aufpolierte Gegenwelt in der die Menschen mobil sind und die Waren frei fließen, verhalten sich dazu die neuen Fotografien von Stefan Panhans. In seiner offen angelegten Reihe ohne Titel, deren einzelne Bilder in unterschiedlichen Kombinationen präsentiert werden, sind Szenen und Details aus Umgebungen und Innenräumen wie Flughäfen, Einkaufspassagen, Messen oder Fotostudios zu sehen. Alles Orte, die mit der Aufbereitung eines bestimmten auf sie gerichteten Blicks zu tun haben, also mit Formen der Präsentation, entweder ihrer selbst oder von Personen und Waren. In diese Oberflächendarbietungen hat sich Stefan Panhans mit seinen eigenen begehrlichen Augen hineinbegeben. Die Fotografien sehen so aus, als seien sie aus einem ausgedehnten Kontinuum des subjektiven Schauens herausgeschnitten: Sie bilden einzelne Teile, die sich nicht wieder zusammensetzen lassen. Teile eines sich streuenden, aufsplitternden Blicks, der merkwürdige Ausschnitte und attraktive Einzelheiten sichtbar werden lässt. Eine Aufnahme aus der Serie zeigt einen Verkaufstresen aus Chrom, Stahl und Glas, der in jedem besseren Supermarkt stehen könnte. Der Verkaufstresen ist leer, bis auf ein paar Edelstahlschüsseln in der Auslage und einer digitalen Waage, deren grünes Display sich als gepunktetes Muster in den spiegelnden Oberflächen zu reflektieren scheint. An einer Seite ist eine durchsichtige Plastikfolie über den Tresen gezogen, als würde er gerade ausgepackt oder demnächst wieder eingepackt. Auch die Plastikfolie reflektiert Licht und wirkt fast gleißend. Alles ist wie aus dem gleichen Material und glänzt. Das Bild des Tresens ist visuell voll gefüllt, man kann sich in ihm verlieren. Gleichzeitig ist nicht wirklich etwas in ihm zu erkennen. Das Arrangement der sichtbaren Dinge bleibt auf sich selbst bezogen. Eine Erzählung, die sich möglicherweise andeutet, darüber warum die Auslage leer bleibt, ob dieser Supermarkt vielleicht schließt oder erst neu aufmacht, wird nicht preisgegeben. Doch gerade die Abwesenheit dieser Erzählung, ihre Leerstelle, produziert die merkwürdige Anziehung, die von Panhans’ Bildern ausgeht. Sie zeigen etwas, das nirgendwo hinführt. Als ginge es in seinen Fotografien nur mehr um diesen Vorgang des Sehens, der immer wieder auf sich selbst zurück fällt. Auch die Gesten und Posen des Bildpersonals, das in den Fotografien von Stefan Panhans auftritt, verweisen in erster Linie auf ihre eigene Sichtbarkeit. Ein Bild aus der Serie produziert dabei einen ganzen voyeuristischen Kreislauf: Es ist eine Frau zu sehen, die auf einer mit Scheinwerfern rot beleuchteten Bühne ihren nackten Körper präsentiert. Ganz in blaues Licht getaucht sieht die Frau so aus, als sei sie der vollkommenen Bildprojektion ihrer selbst entstiegen. Sie hält einen Gegenstand in der Hand. Es könnte eine Pistole sein oder eine Fernbedienung. Sie richtet das Gadget in die Menge der Zuschauer. Die Geste, ihr Zusammenhang und überhaupt der Ort ihrer Handlung erschließt sich nicht, läuft ins Leere und bleibt nur mehr als Bild stehen. Einige Zuschauer verfolgen die nackte Darbietung der Frau über die Objektive ihrer Handys mit denen sie sie gleichzeitig fotografieren und weitere Bilder von ihr in Umlauf bringen. In der Dunkelheit des Zuschauerraumes sind die Lichtpunkte überstrahlter Handydisplays zu erkennen, in denen sich die blaue Gestalt der Frau schon längst ins Unkenntliche aufgelöst hat.
In den Zeichnungen von Hans Christian Dany, an denen er seit mehreren Jahren kontinuierlich arbeitet, tauchen Figuren auf, die aus einer visuellen Übersteigerung oder Verformung entstanden sein könnten. Die Figuren sind Erfindungen. Sie wirken ausgedacht, konstruiert, mechanisch und puppenhaft wie aus Einzelteilen zusammengesetzt. In ihrer Konstruktion einsehbar, scheinen sie dabei teilweise wie falsch zusammengebaut. Eine Figur besteht hauptsächlich aus ihrem Kopf und ihrem Oberkörper. Ganz präsent sind ihre überdimensionierten Handschuhe, die anstelle von Händen und Armen an ihrem Körper angebracht sind. Der Unterleib der Figur verselbstständigt sich als eigentümliche korsetthafte Form, die mit der Figur selbst nur noch über eine Art Schwanz, den sie wiederum mit ihrem Mund berührt, verbunden ist. So für sich freigestellt, nehmen die vereinzelten körperlichen Teile, die Kleidungstücke und Accessoires einen objekthaften Charakter an. In ihren vielfältig ausgeführten Kombinationen setzt das viele der Figuren zu zwittrigen Wesen zusammen. Einer Figur mit Brüsten ist beispielsweise ein Penis in den Schritt gebaut. Eine eher männlich aussehende Figur trägt einen Busen, der auf die Kleidung appliziert ist. Andere Figuren wiederum bleiben von vorne herein Stückwerk. Sie sind gar nicht erst vollständig ausgeführt und es ist nur ein umrisshafter Entwurf von ihnen zu erkennen. So wie auch die Hintergründe in die sie eingelassen sind, Räume bilden, die angedeutet bleiben und sich in an ihren Rändern in Schraffuren ausfransen. Mit Bleistift, Kugelschreiber oder bunten Filzern wiederholt Hans-Christian Dany Formen, die sich zu graphischen Mustern ausbreiten, sich auf den Zeichenblättern verselbstständigen und an manchen Stellen fast wie zusätzliche Glieder in die Körper der Wesen übergehen. Auf diese Weise als Teile eines Musters aufgelöst in mentalen Wiederholungen kreisend oder sich als Einzelfigur übergroß auf dem Blatt einer Zeichnung abgrenzend, kommen die Figuren in unterschiedlichen „Ich-Zuständen“ vor. Ihre Formen der Auflösung, der „Verwechslung(en) von Innen und Außen“, der verschobenen und oftmals aus der Form geratenen Körperanordnungen, ihre offengelegte Mechanik oder auch ihre fetischhafte Selbstverpanzerung, lassen sich zusammen denken mit den bildhaften literarischen Beschreibungen in denen Hans-Christian Dany in „SPEED“ die intensivierten Körperwahrnehmungen von Amphetaminnutzern ausmalt: „Amphetamin dehnt ihre Organe zu durchlässigen Gebilden, spreizt Haut zu einer Membran, empfänglich für telepathische Nachrichten. (...) Das Ich vernarrt sich in seine Anwesenheit, sieht sich dabei zu, wie es als sechs Meter großer Mann im Raum steht. Als wäre das noch nicht hoch genug, wächst der Riese immer weiter, bis er sich ungefähr so groß erlebt wie das chinesische Volk. Wie ein Panzer hält die Übergröße ein feindlich erlebtes Außen vom Leib.“ Dany entwirft hier die Vorstellung eines Körpers, der empfänglich und veränderbar ist und der „erfunden“ werden kann. Ein Körper, der sich – nicht nur über neurochemischen Köpertechnologien - anpassen, verbessern oder übersteigern lässt. Und der darin, wie in den Beschreibungen der Arbeiten von Tobias Zielony und Stefan Panhans angedeutet, als sozialer, sexueller oder als in Bildern zirkulierender Körper, zwischen Selbstermächtigung und Selbstdisziplinierung oszilliert.
Christine Lemke
* alle Zitate aus Hans-Christian Dany, „SPEED – Einen Gesellschaft auf Droge“, Edition Nautilus, Hamburg 2008
Hans-Christian Dany | Stefan Panhans | Tobias Zielony
6. Sep - 19. Okt, 2008
Auf den ersten Seiten seines Buches „SPEED – Eine Gesellschaft auf Droge“ entwirft Hans-Christian Dany das Bild einer Frau, die sich an einem unbekannten Ort, in einer nicht näher beschriebenen Wohnung, alleine, in einen monotonen Takt bringt. In immer gleichen Wiederholungen betätigt sie ihren chemischen Körperschalter und kreist in Zuständen, die nur zwischen einsetzender und nachlassender Wirkung zu unterscheiden sind. Man könnte auf die Idee kommen, es handele sich bei der wiederholungssüchtigen Amphetaminnutzerin um eine „ganz normale“ Hausfrau, die sich während ihrer Arbeit in ihren eigenen vier Wänden einen Rausch zufügt. In Erwartung ihres nächsten Hochgefühls beginnt sie in der Küche zu arbeiten, macht die Betten oder räumt den Schlafzimmerschrank auf. Doch irgendwie setzt sich das von Dany ausgemalte Bild nicht richtig zusammen. Kleine Details, wie die schwarze Filmdose in die die kristalline Substanz wie Schnee fällt oder der aufgerollte Geldschein, durchkreuzen die Vorstellungen von der Normalität eines Reinemachetages. Liest man weiter in „SPEED“, wird klar, dass die Figur der Hausfrau, mit Zeitsprüngen und ein paar Veränderungen des Settings, sich zumindest im Raum des Möglichen aufhalten könnte, denn die Erscheinungsformen des Wirkstoffes Amphetamin sind vielfältig und ineinander verwoben: Sie reichen von dem in den 30ern intensiv vermarkteten Haus- und Wohlfühlmittel „Benzedrin“ über Schlaf- und Angstwegschieber für die Soldaten der Wehrmacht oder der US-Armee bis zur illegal selbst gekochten und auf dem Schwarzmarkt vertriebenen Horrordroge „Crystal Meth“ oder der heute gerne verschriebenen „weicheren“ Produktvariante „Ritalin“ für unruhige und konzentrationsschwache Kinder. Hans-Christian Dany kontextualisiert in seiner kulturhistorischen Erforschung den Wirkstoff als „populären Gebrauchsgegenstand, der viele Namen trägt und in unterschiedlichen Formen auftritt“*. Seine zeitgemäße Nutzung begreift er als ausdifferenzierte Körpertechnologie, die optimierende Maßnahmen am eigenen Selbst erlaubt. Die zwar immer auch noch als Verweigerungsgeste den Wunsch nach Selbstermächtigung repräsentiert, die aber jenseits ausschweifender Praktiken zunehmend auf die eigene Verbesserung setzt, also auf persönliche Leistungssteigerung, um das gesellschaftliche Weiterkommen zu sichern.
Die von Tobias Zielony in seiner Fotoserie „Trona“ (2008) porträtierten jugendlichen Metamphetaminnutzer wirken so, als befände sich ihre Konsumpraxis in einer genau gegenläufigen Bewegung zum allgemeinen Verbesserungsmainstream: Ihnen stehen die Möglichkeiten zu einem gesellschaftlichem „Weiter“ wahrscheinlich gar nicht erst zur Verfügung. „Trona“ ist der Name einer aussterbenden Bergarbeitersiedlung in der kalifornischen Mojave-Wüste. „Trona“ ist aber auch die Bezeichnung für die chemische Substanz, die aus den kristallinen Wucherungen des nahegelegenen Salzsees von der ansässigen Chemiefabrik, dem einzigen Arbeitgeber vor Ort, gewonnen wird. Die ausgedehnte Farblosigkeit der Wüste um Trona, das reflektierende Weiß des verdunstenden Salzsees, die angepinselte Weiße der Chemiefabrik und der Holzhäuser der Bewohner sowie das gleichmäßig strahlende Licht einer immer scheinenden Sonne, durchziehen die Aufnahmen von Zielony und bilden ihren unwirtlichen fast schon entrückten Hintergrund. Auf den ersten Blick wie in eine falsche Umgebung hineinmontiert, sehen die abgebildeten Jugendlichen mit ihren schwarzen oder bunten T-shirts, mit Jeans mit modischen Nietengürteln und mit Sneakers, vertraut aus. Sie werden bei ihren alltäglichen Zeitvertreiben, beim gemeinsamen Abhängen an unspezifischen öffentlichen Orten gezeigt in einer sich diffus ausbreitenden angespannten Langeweile. Erst bei näherer Betrachtung der Fotografien rücken befremdlichere Details in den Vordergrund Das sind nicht nur die abgebrannten Autos, ruinierten Häuser oder versandeten Vorgärten. Die Porträts der Jugendlichen haben insgesamt etwas Verschlossenes. Ein Bild etwa zeigt einen Jugendlichen, der von seinem Fahrrad gefallen ist. Man sieht ihn liegen. Man sieht nur seinen Hinterkopf, seinen Rücken, seine Beine und sein Fahrrad. Er liegt auf einer abschüssigen Betontrasse, eingeklemmt zwischen Stahlzäunen und Strommästen am Rande eines verwaisten Sportplatzes inmitten der Wüste und der sie umgebenden Berge. Was genau passiert ist und warum, bleibt unklar. In dieser und ähnlicher Art und Weise sind die Porträtierten zwar für den Betrachter gegenwärtig, scheinen jedoch gleichzeitig wie absorbiert in einer sozialen Landschaft, die keinen Ausweg hat. Dieser Moment zieht sich in den Bildern zu einer allgegenwärtigen Spannung zusammen. Er hat nicht zuletzt etwas mit der intensiven Aufnahmepraxis von Zielony zu tun, die einerseits eine Identifikation mit den Porträtierten nahelegt, die aber andererseits immer eine distanzierte und dokumentierende Perspektive einnimmt. Der installativ angelegten Arbeit „Trona“ fügt Tobias Zielony neben seinen Fotografien eine konkretere Ebene hinzu: Über Auszüge aus einem Blog zu und über Trona erfährt man, dass außer den Kristallen aus dem Salzsee noch andere Kristalle in Trona produziert werden. Die Mehrzahl der Bewohner sind „Tweaker“, gehören also zu der verarmten weißen Arbeiterschicht, die über 90 % der Konsumenten von Metamphetamin genannt „Crystal Meth“ ausmacht. In den etlichen illegalen Heimlaboren wird der Bedarf an dem Stoff selbst gekocht. Das Wissen darum zieht sich wie eine Folie über die Betrachtung der fotografischen Bilder. Das Bild von den Kristallen verbindet sich dabei zu einer zweischneidigen Metapher.
Wie Einblicke in eine klimatisierte und aufpolierte Gegenwelt in der die Menschen mobil sind und die Waren frei fließen, verhalten sich dazu die neuen Fotografien von Stefan Panhans. In seiner offen angelegten Reihe ohne Titel, deren einzelne Bilder in unterschiedlichen Kombinationen präsentiert werden, sind Szenen und Details aus Umgebungen und Innenräumen wie Flughäfen, Einkaufspassagen, Messen oder Fotostudios zu sehen. Alles Orte, die mit der Aufbereitung eines bestimmten auf sie gerichteten Blicks zu tun haben, also mit Formen der Präsentation, entweder ihrer selbst oder von Personen und Waren. In diese Oberflächendarbietungen hat sich Stefan Panhans mit seinen eigenen begehrlichen Augen hineinbegeben. Die Fotografien sehen so aus, als seien sie aus einem ausgedehnten Kontinuum des subjektiven Schauens herausgeschnitten: Sie bilden einzelne Teile, die sich nicht wieder zusammensetzen lassen. Teile eines sich streuenden, aufsplitternden Blicks, der merkwürdige Ausschnitte und attraktive Einzelheiten sichtbar werden lässt. Eine Aufnahme aus der Serie zeigt einen Verkaufstresen aus Chrom, Stahl und Glas, der in jedem besseren Supermarkt stehen könnte. Der Verkaufstresen ist leer, bis auf ein paar Edelstahlschüsseln in der Auslage und einer digitalen Waage, deren grünes Display sich als gepunktetes Muster in den spiegelnden Oberflächen zu reflektieren scheint. An einer Seite ist eine durchsichtige Plastikfolie über den Tresen gezogen, als würde er gerade ausgepackt oder demnächst wieder eingepackt. Auch die Plastikfolie reflektiert Licht und wirkt fast gleißend. Alles ist wie aus dem gleichen Material und glänzt. Das Bild des Tresens ist visuell voll gefüllt, man kann sich in ihm verlieren. Gleichzeitig ist nicht wirklich etwas in ihm zu erkennen. Das Arrangement der sichtbaren Dinge bleibt auf sich selbst bezogen. Eine Erzählung, die sich möglicherweise andeutet, darüber warum die Auslage leer bleibt, ob dieser Supermarkt vielleicht schließt oder erst neu aufmacht, wird nicht preisgegeben. Doch gerade die Abwesenheit dieser Erzählung, ihre Leerstelle, produziert die merkwürdige Anziehung, die von Panhans’ Bildern ausgeht. Sie zeigen etwas, das nirgendwo hinführt. Als ginge es in seinen Fotografien nur mehr um diesen Vorgang des Sehens, der immer wieder auf sich selbst zurück fällt. Auch die Gesten und Posen des Bildpersonals, das in den Fotografien von Stefan Panhans auftritt, verweisen in erster Linie auf ihre eigene Sichtbarkeit. Ein Bild aus der Serie produziert dabei einen ganzen voyeuristischen Kreislauf: Es ist eine Frau zu sehen, die auf einer mit Scheinwerfern rot beleuchteten Bühne ihren nackten Körper präsentiert. Ganz in blaues Licht getaucht sieht die Frau so aus, als sei sie der vollkommenen Bildprojektion ihrer selbst entstiegen. Sie hält einen Gegenstand in der Hand. Es könnte eine Pistole sein oder eine Fernbedienung. Sie richtet das Gadget in die Menge der Zuschauer. Die Geste, ihr Zusammenhang und überhaupt der Ort ihrer Handlung erschließt sich nicht, läuft ins Leere und bleibt nur mehr als Bild stehen. Einige Zuschauer verfolgen die nackte Darbietung der Frau über die Objektive ihrer Handys mit denen sie sie gleichzeitig fotografieren und weitere Bilder von ihr in Umlauf bringen. In der Dunkelheit des Zuschauerraumes sind die Lichtpunkte überstrahlter Handydisplays zu erkennen, in denen sich die blaue Gestalt der Frau schon längst ins Unkenntliche aufgelöst hat.
In den Zeichnungen von Hans Christian Dany, an denen er seit mehreren Jahren kontinuierlich arbeitet, tauchen Figuren auf, die aus einer visuellen Übersteigerung oder Verformung entstanden sein könnten. Die Figuren sind Erfindungen. Sie wirken ausgedacht, konstruiert, mechanisch und puppenhaft wie aus Einzelteilen zusammengesetzt. In ihrer Konstruktion einsehbar, scheinen sie dabei teilweise wie falsch zusammengebaut. Eine Figur besteht hauptsächlich aus ihrem Kopf und ihrem Oberkörper. Ganz präsent sind ihre überdimensionierten Handschuhe, die anstelle von Händen und Armen an ihrem Körper angebracht sind. Der Unterleib der Figur verselbstständigt sich als eigentümliche korsetthafte Form, die mit der Figur selbst nur noch über eine Art Schwanz, den sie wiederum mit ihrem Mund berührt, verbunden ist. So für sich freigestellt, nehmen die vereinzelten körperlichen Teile, die Kleidungstücke und Accessoires einen objekthaften Charakter an. In ihren vielfältig ausgeführten Kombinationen setzt das viele der Figuren zu zwittrigen Wesen zusammen. Einer Figur mit Brüsten ist beispielsweise ein Penis in den Schritt gebaut. Eine eher männlich aussehende Figur trägt einen Busen, der auf die Kleidung appliziert ist. Andere Figuren wiederum bleiben von vorne herein Stückwerk. Sie sind gar nicht erst vollständig ausgeführt und es ist nur ein umrisshafter Entwurf von ihnen zu erkennen. So wie auch die Hintergründe in die sie eingelassen sind, Räume bilden, die angedeutet bleiben und sich in an ihren Rändern in Schraffuren ausfransen. Mit Bleistift, Kugelschreiber oder bunten Filzern wiederholt Hans-Christian Dany Formen, die sich zu graphischen Mustern ausbreiten, sich auf den Zeichenblättern verselbstständigen und an manchen Stellen fast wie zusätzliche Glieder in die Körper der Wesen übergehen. Auf diese Weise als Teile eines Musters aufgelöst in mentalen Wiederholungen kreisend oder sich als Einzelfigur übergroß auf dem Blatt einer Zeichnung abgrenzend, kommen die Figuren in unterschiedlichen „Ich-Zuständen“ vor. Ihre Formen der Auflösung, der „Verwechslung(en) von Innen und Außen“, der verschobenen und oftmals aus der Form geratenen Körperanordnungen, ihre offengelegte Mechanik oder auch ihre fetischhafte Selbstverpanzerung, lassen sich zusammen denken mit den bildhaften literarischen Beschreibungen in denen Hans-Christian Dany in „SPEED“ die intensivierten Körperwahrnehmungen von Amphetaminnutzern ausmalt: „Amphetamin dehnt ihre Organe zu durchlässigen Gebilden, spreizt Haut zu einer Membran, empfänglich für telepathische Nachrichten. (...) Das Ich vernarrt sich in seine Anwesenheit, sieht sich dabei zu, wie es als sechs Meter großer Mann im Raum steht. Als wäre das noch nicht hoch genug, wächst der Riese immer weiter, bis er sich ungefähr so groß erlebt wie das chinesische Volk. Wie ein Panzer hält die Übergröße ein feindlich erlebtes Außen vom Leib.“ Dany entwirft hier die Vorstellung eines Körpers, der empfänglich und veränderbar ist und der „erfunden“ werden kann. Ein Körper, der sich – nicht nur über neurochemischen Köpertechnologien - anpassen, verbessern oder übersteigern lässt. Und der darin, wie in den Beschreibungen der Arbeiten von Tobias Zielony und Stefan Panhans angedeutet, als sozialer, sexueller oder als in Bildern zirkulierender Körper, zwischen Selbstermächtigung und Selbstdisziplinierung oszilliert.
Christine Lemke
* alle Zitate aus Hans-Christian Dany, „SPEED – Einen Gesellschaft auf Droge“, Edition Nautilus, Hamburg 2008