Olaf Stüber

Marc Aschenbrenner | Michael Höpfner

24 Jan - 07 Mar 2009

MARC ASCHENBRENNER | MICHAEL HÖPFNER
DIE FORM DER ISOLATION
24. Jan - 7. Mar 2009

Die Ausstellung „Die Form der Isolation“ in der Galerie Olaf Stüber vereint mit Marc Aschenbrenner und Michael Höpfner zwei Künstler, deren künstlerischer Ansatz, Werkbegriff und Hervorbringungen auf den ersten Blick unvereinbar scheinen. Zwar transformieren beide Künstler ihre Erfahrungen gleichermaßen in Skulpturen beziehungsweise Installationen oder konservieren sie in technischen Medien wie Fotografie oder Video. Doch Themen, Motive und Dispositionen sind disparat: Während Marc Aschenbrenner Performances aufführt, die zwischen Trance und Zwangshandlung zu oszillieren scheinen, durchwandert Michael Höpfner monatelang die einsamen und kargen Landschaften Zentralasiens. Beide eint aber die befreiende Kraft des Rückzugs. In der selbstgewählten Isolation werden ungeahnte geistige und körperliche Potentiale freigesetzt.

Marc Aschenbrenner zieht sich zurück, indem er in enge Anzüge schlüpft, die aus Plastikmaterial genäht und durch Klebebänder verstärkt sind. Groteske Ausstülpungen wie Rüssel oder Höcker verleihen den Hüllen räumliche Präsenz und skulpturale Qualität. Derartig gewandet ist der Performer zwar in seiner Bewegungsfreiheit und in seinem Gesichtsfeld eingeschränkt. Doch gewinnt er darin ebenso Spielraum, im wahrsten Sinne des Wortes. Künstler und Kostüm verschmelzen, in der Symbiose entsteht eine Figur mit Eigenleben. Denn weniger agiert Marc Aschenbrenner in diesem Zustand eigene psychische Konflikte aus, vielmehr lässt er zu, dass die Figur sein Handeln bestimmt. Manchmal in Interaktionen mit anderen Akteuren verstrickt, manchmal gegen Räume und Objekte kämpfend, treten diese Wesen in rätselhaften Szenen auf, die auch deswegen absurd erscheinen, weil herkömmliche kommunikative Kriterien nicht greifen. Die Gesichter sind häufig blicklos, der Körper ist ganz auf die Geste konzentriert. Den in der Galerie gezeigten Fotografien liegen, wie auch den Videos, ausgefeilte Dramaturgien zugrunde. Im Unterschied zu herkömmlichen Standfotos oder Stills handelt es sich also nicht um mehr oder weniger zufällig gewählte Ausschnitte aus einem zeitlichen Kontinuum, sondern um im Einzelbild verdichtete Fiktionen. Fotografiert von Knut Klaßen, der auch für Aschenbrenners Videos hinter der Kamera steht, entstehen so sorgfältig komponierte Szenen, die zwar den Bezug auf manche Pathosformeln der Kunstgeschichte erahnen lassen, letztlich aber enigmatisch bleiben. Der Betrachter ahnt, dass der performative Akt durch ein komplexes System von Symbolen rhythmisiert ist, doch die Camouflage der Identität bleibt intakt. Selbst von den schlaff an den Galeriewänden hängenden Kostümen gehen noch Irritationen aus. Die entseelten Körperhüllen künden in ihrer fetischhaft-bedrohlichen Anmutung vom anarchischen Versprechen von Maskeraden: Alles ist möglich.

Michael Höpfner zieht sich zurück, indem er wochen- und monatelange Wanderungen in unwirtlichen Gebieten unternimmt. Ein Rucksack mit wenigen Ausrüstungsgegenständen - Zelt, Schlafsack, Proviant, Kocher, Kamera, Notizbuch, Stift - muss zum Überleben reichen. Physisch und psychisch auf sich selbst zurückgeworfen, schärft er seine Wahrnehmung für Spuren des Niederlassens und Behauptens. Die in der Galerie gezeigten Arbeiten sind Teil von Michael Höpfners Projekt "Outpost of Progress", das im von China okkupierten Tibet entstanden ist. Der Titel bezieht sich auf die 1898 entstandene, gleichnamige Novelle von Joseph Conrad, die das Scheitern von zwei Weißen beim Aufbau einer Handelsstation im Kongo schildert. Deren Versuch, europäische Regeln und Gesetze im Dschungel zu implantieren, endet in Mord und Selbstmord. Spuren kolonialer Repression kann Michael Höpfner auch bei seiner Wanderung durch das Hochland von Changtang nicht übersehen. Die schwer zugänglichen Rückzugsorte des tibetischen Volkes sind längst im Focus der Besatzer. Höpfner entlarvt die Vorstellung des unberührten Naturzustandes - von sinnsuchenden Reisenden immer wieder an diese Landschaften herangetragen - als Fiktion. Die von ihm gewählte „altertümliche“ Technik der Schwarzweiss-Fotografie, an Expeditionsfotos des 19. Jahrhunderts erinnernd, unterstützt vermeintlich diese Tendenz zur Romantisierung. So ist der Betrachter zunächst überwältigt, denn die differenzierten Grauwerte erzeugen eine desorientierende Fülle von Details. Der Blick verliert sich in der Textur der steinernen Landschaft. Bei längerem Hinsehen erkennt man jedoch, dass die Wildnis von Pfaden durchzogen ist, die zu Naturheiligtümern führen, dass Altäre am Wegesrand stehen, Gebetsbänder an den schroffen Felswänden befestigt sind und dass Nomadenlager gerade abgebrochen wurden. Das den Fotografien Höpfners eingeschriebene entschleunigte Tempo der Wahrnehmung gründet im Entstehungsprozess, ist es doch gerade die Schrittgeschwindigkeit des wandernden Künstlers, die es ihm ermöglicht, den gehetzten touristischen Blick zu vermeiden und zu einem empathischen Sehen zu gelangen. So sensibilisiert, kann er die temporären Architekturen der Nomaden und die Unterschlüpfe von Eremiten in Felshöhlen in ihrer zeitgenössischen Zeugenschaft deuten: als Mittel des individuellen Widerstands gegen die Vereinnahmung durch anonyme Verwaltungsorgane, die Sesshaftigkeit anordnen, um Kontrolle walten zu lassen.

Die in der Ausstellung „Die Form der Isolation“ gezeigten Werke von Marc Aschenbrenner und Michael Höpfner sind weder in gemeinschaftlicher Arbeit entstanden noch sind sie aufeinander bezogen. Sie eint jedoch der beiden künstlerischen Positionen zugrundeliegende Impetus, durch den performativen Einsatz eigene Wahrnehmungsgrenzen zu verschieben. Beide Verfahren resultieren in fotografischen Bildern, welche die ephemeren Handlungen dauerhaft aufzeichnen. Doch das vermeintlich mechanisch abbildende Medium Fotografie reagiert jeweils genau entgegengesetzt auf die ihm gebotene Materie. Während die Fabelwesen von Marc Aschenbrenner im Bild real und authentisch wirken, scheinen die Landschaften von Michael Höpfner surreal und entrückt. Vielleicht stößt auch der optische Apparat an seine Grenzen, wenn er festhalten soll, was die beiden Künstlerindividuen in der Isolation erfahren haben: die Kraft des Aus-sich-heraus-gehens und Ver-wandelns.

Barbara Lauterbach
 

Tags: Marc Aschenbrenner, Michael Höpfner, Knut Klaßen