Rüdiger Schöttle

Thomas Zipp

20 Dec 2006 - 17 Feb 2007

THOMAS ZIPP
"Hier (Futuristic Mess)"

Die Familie sitzt einträchtig beisammen. Alle sind gut aufgelegt und standesgemäß herausgeputzt. Die Hemden und die Blusen sind gestärkt, die Kostüme und die Anzüge gebügelt, die Schuhe glänzen makellos. Die Buben sind ordentlich gekämmt, die Mädchen züchtig frisiert, die Damen dezent geschminkt, die Herren sauber rasiert. Die Erwachsenen plaudern höflich miteinander. Die Kinder benehmen sich sehr artig und spielen "Mensch ärgere Dich nicht".
Gerade noch schien alles nicht weiter schlimm zu sein. Es lief sogar recht gut an. Einige längst erforderlichen Entscheidungen wurden getroffen und alles nötige mit sachdienlicher Konsequenz in Angriff genommen. Auftretende Probleme wurden nüchtern erörtert und behoben. Das gesetzte Ziel wurde erreicht, aber es fühlte sich anders an als erwartet, und die Lage geriet außer Kontrolle. Seitdem geht fast alles schief. Es gibt keinen Überblick über das Ausmaß der Katastrophe. Solide Analysen des Geschehens sind aufgrund der immensen psychologischen Beanspruchung und äußerst verzerrten Berichterstattung der Beteiligten unmöglich. Die Sache ist aus den Fugen des Üblichen geraten und treibt bizarre Blüten. Das Ganze wirkt wie ein zusammengesponnenes Ungetüm, das immer konkretere Gestalt annimmt, um alles zu zermalmen. Das hier ist kein Traum. Es passiert wirklich. Auch wenn es mit der verworrenen Logik und vermaledeiten Zwangsläufigkeit eines Alptraums vonstatten geht.
Der Lärm lässt sich nicht aufdröseln. Die verschiedenen Geräuschquellen müssten identifiziert oder zumindest unterschieden werden. Ein hoffnungsloses Unterfangen. Frequenzwirrwarr. Unentwirrbare, ineinander verhedderte Krachschichten. Ein Noisegestrüpp voller Vezerrungen und Überlagerungen, voller Feedbacks und stachliger Soundklauen. Ein heftig rumorendes Fest, das als kaltes Grausen auf Gesichtern aufblitzt. Oder vielleicht freuen sich diese Fratzen einfach tierisch. Viel zu schnell, und bevor ihre Mimik sich einordnen ließe, verschwinden sie wieder im Dunkeln. Im immensen Lärm verbiegt sich das Wahrgenommene. Korridore, Möbelstücke, Ansichten werden verformt.
Das Deckengewölbe kommt langsam näher. Plötzlich und unvermittelt rutscht die Biegung abrupt ab entlang einer Strebe, die dann seitlich wegknickt und jetzt mit einer parallelen Strebe ein Deckensegment flankiert, das sich im raschen Vorbeiziehen zum immer weiter davonhuschenden Gewölbe hin zusehends verjüngt, bevor der Blick nach einer überraschenden 180-Grad-Drehung an einer Wand aufschlägt, auf der eine ominöse, virtuos gemalte Tischgesellschaft zu sehen ist, eine dynamische Personengruppe, die aus dem Fresko herauszuragen scheint. Ein Mann auf dem Bild lächelt einnehmend und bricht ein schönes, sorgfältig austariertes, aus Drähten und abstrakten farbigen Brettspielfiguren zusammengebasteltes Modell entzwei.
Metallisches Schwirren, Geifern, Quengeln. Ein Rasseln wie von in die Randzonen des Weltätherchaos versprengten Höllensoundbiestern. Kraftstrotzende Geräusche schlängeln sich mit energischer Penetranz, huschen mit rätselhafter Plastizität, sausen mit prägnanter Präsenz durch den Raum, strahlen als unfassbare, formwandelnde Agenten der Zerstörung Härte und Kaltschnäuzigkeit aus. Plötzlich verliert sich das tobende Chaos in Kleinteiligkeit, Brüchen, elektrostatischem Surren, bis vereinzelte Reste sich wieder sammeln und sich Feuer im Arsch neuer Kreaturen entfacht. Verdrehte Viecher schlagen um sich.
Z. X.
 

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