Soledad Lorenzo

Erik Schmidt

12 Mar - 18 Apr 2009

© Erik Schmidt
Adrift & Anchorless. 2009
óleo / lienzo
60 x 90 cm.
ERIK SCHMIDT
"Right to Roam"

March 12 - April 18, 2009

“Landscape is something to be seen, not touched. It is an abstraction from place and a reification of space, a reduction of it to what can be seen from a distant point of view, a prospect that dominates, frames and codifies the landscape in terms of a set of fairly predictable conventions – poetic, picturesque, sublime, pastoral, and so on“
( W.J.T. Mitchell)1


Die Landschaftsmalerei, die sich Ende des 16. Jahrhunderts als eigenständiges Genre entwickelte, verwandelte sich umgehend in ein malerisches Feld, dessen große Beliebtheit im Gegensatz zu ihrem zunächst recht geringen Ansehen stand. Als Aufzeichnung der eigenen Umgebung verkaufte sie sich an Bürger und Kaufleute ebenso wie an Adelige. Bereits im 17. Jahrhundert entwickelten sich serielle Arbeitsweisen, die den Malern Vereinfachungen auf festgelegte Erkennungsmerkmale erlaubten und den Käufern einen Kanon der dargestellten Natur einprägten. So modifizierte sich die Landschaftsmalerei mit ihrer Zeit, mit ihren Landschaften, mit deren Besiedlung, deren politischen Zugehörigkeiten über Jahrhunderte und begleitete jedes Zeitalter. Im Gegensatz zu anderen Genres wie dem Stilleben oder der Historienmalerei hing sie nicht von der Konjunktur einer spezifischen Gesellschaftsform ab, sondern kann vielmehr als ein sich stetig aktualisierendes Genre betrachtet werden. Ihr Blick, den WJT Mitchell im Eingangszitat als Vergegenständlichung von Konventionen beschreibt, blieb bis in die Gegenwart eine Chronik des sozialen und kulturellen Lebens der Menschen in ihr.

Erik Schmidt greift in seinen neuen Arbeiten das Genre der Landschaftsmalerei auf und setzt die an dieses gebundenen Blickkonventionen strategisch ein. Die intensive Farbgebung der Malereien lässt zwar impressionistische Landschaftsansichten des späten 19. Jahrhunderts assoziieren, doch enttarnt ihr ausschnitthafter Charakter die Plein-Air-Malerei als Farce und verweist auf seine fotografischen Vorlagen. Ausgehend von Reisen und akribischen Beobachtungen entstehen zunächst Fotografien, die anschließend auf die Leinwand überführt werden. Die Farben sind pastos und in expressivem Gestus aufgetragen – sich überlagernde Schlieren setzten sich zu einem vielschichtigen Farbrelief zusammen. Seine Sujets umfassen Nah- und Fernansichten zivilisatorischer Eingriffe in die unberührte Natur: Berittene Personen im Wald, ein Rudel von Jagdhunden, Waldwege, öffentliche Gebäude inmitten von Landschaften oder ein Schütze, der sein Gewehr, zum Schuss bereit, umfasst. Kurz, Anachronismen einer (Jagd)Gesellschaft in einer längst kultivierten Landschaft. Kommentatorische Titel wie „Standesgemäße Verhaltensregeln“, ,„Anstalt des öffentlichen Rechts“, „Allmorgendliche Männlichkeit" und „Kleinteiliges Glück“ verweisen zudem mit ironischem Unterton auf soziokulturelle Praxen, Institutionen und Wertigkeiten. Seine Landschaften manifestieren nicht nur physischen, sondern ebenso sozialen Raum. Sie sind immer auch Topografien der Betriebsamkeit, Schauplatz handelnder Menschen, nicht mehr nur Schauplatz an sich.

Im Jahr 2007 besuchte Erik Schmidt wiederholt ein Weingut zwischen Jerusalem und Tel Aviv und beobachtete vor Ort die archaisch anmutende Arbeit inmitten einer Landschaft, die in den Augen der Welt nur noch als Kriegsgebiet existiert. „Working the landscape“, Teil einer in diesem Zusammenhang entstandenen Serie von Malereien, eröffnet den Blick auf ein Feld mit Rebstöcken, die sich über einen abfälligen Hügel erstrecken und von einer hügeligen Waldlandschaft aus pastosen Farbflächen gesäumt werden. Inmitten der Reben sind die Silhouetten zweier Menschen bei der Weinlese zu erkennen. Klein, als staffierende Farbflecken, die den Bildraum durch ihre Betriebsamkeit beleben. Der aus der Entfernung impressionistische Farbauftrag kippt bei näherer Betrachtung in einen expressiven Duktus bei dem sich hoch verdichtete Farbmassen mit monochromen Farbflächen abwechseln. Die Ruhe der Situation wird vom dynamischen Pinselstrich unterlaufen und die Landschaft entpuppt sich als malerisches Experiment, in dem unterschiedliche Errungenschaften der modernen Malereigeschichte verbunden, gegeneinander ausgespielt und neu formiert werden. Die Unterscheidung zwischen Mensch und Natur als vollkommenster Ausdruck von Kultur geht hier nicht mehr vor ihrem klassischen Hintergrund auf, noch tut sie das vor ihrer romantischen Umkehrung. Stattdessen formuliert Erik Schmidt ihr jeweiliges Selbstverständnis als Handlung und verweist damit auch auf eine Ebene der sozialen Bedeutung von Kunst, die über ihren formalen Rahmen hinausreicht. Diese Thematisierung des Mediums selbst wird im Titel aufgegriffen. Anstatt nähere Angaben zum dargestellten Ort zu liefern, werden Analogien zum Status des arbeitenden Künstlers an sich gezogen: Schmidt arbeitet sich an der Landschaft ab, wie die Weinleser zwischen den Reben.

Ein weiteres Thema, das Erik Schmidt in seinen neuen Arbeiten verhandelt, ist die in Adelskreisen kultivierte Jagd. Sie fand bereits 2005 Eingang in sein Werk nachdem er über persönliche Kontakte in die distinktive Welt des Landadels eingeführt wurde. „Der schönste Jäger von Deutschland“ (2005) ist der erste Teil seines groß angelegten Jagdzyklus. Er umfasst eine Serie von Fotografien fetischhafter Selbstportraits, in denen Schmidt in Smoking erschossen mit offener Wunde im verschneiten Jagdrevier liegt. Die Faszination für Selbstinszenierungstechniken der Aristokratie, die Jagd als gesellschaftliches ‚Spiel’ und den Übergang vom Jäger zum Gejagten, führte zu einer zweiten Werkreihe zum Thema, den „Hunting Grounds“ (2005). Zunächst entstanden Malereien, die das historische Genre der Jagdmalerei aufgriffen, ein Jahr später folgte der gleichnamige Film. Eine Jagdsituation, ein festliches Dinner sowie Szenen im Wald bei denen der Künstler selbst gejagt wird, um im nächsten Moment zum Jäger zu werden, wechseln einander ab. Der Film endet mit einer begehrlich aufgeladenen Schlammschlacht zwischen Künstler und Jäger. Dokumentarisches und Inszeniertes, Jagdtrieb, Leidenschaft und Todesangst verweben sich zu einem uneindeutigen Geflecht.

„Die Nacht brach herein; und hinter dem Wald, zwischen den Zweigen, war der Himmel rot wie ein blutgetränktes Tuch“ (Gustave Flaubert)2

Die aktuellen Jagdmalereien Schmidts verharren jedoch in Andeutungen, die eigentliche Jagd, die Erlegung des Wildes, bleibt im Verborgenen. Es sind vielmehr aus dem Gesamtgeschehen isolierte Nebenszenen, die er in seinen Arbeiten reflektiert. Vereinzelte Reiterinnen, im Wald streunende Jagdhunde und ein Jäger in Camouflage sind im Moment scheinbarer Aktion eingefroren. Ihnen haftet ein Moment der ( Vor)Ahnung des Geschehenen bzw. Zukünftigen an. Im Gegensatz zu traditionellen Jagdszenen, die als Prestige- und Repräsentationsobjekte wohlhabender Bürger fungierten, posieren Schmidts Protagonisten nicht, sondern kehren dem Betrachter den Rücken zu und bleiben unkenntlich. Die nüchterne Beiläufigkeit der beobachteten Szenen, die uniformierten ReiterInnen und ihr Aufenthalt in der Landschaft, blenden das Blutige und Animalische einer Jagd aus. Der Blutrausch von Flauberts Sankt Julian steht somit im unüberwindlichen Gegensatz zu den ruhig streifenden Personen in Schmidts Bildern. Allein der rote Hintergrund in „Notwendige Rückblende“ spielt auf die mörderische Lust hinter der Etikette an, auch der Titel impliziert, dass ein Blick zurück rot getränkt ist.

„Der Jäger war somit vielleicht der erste, der „eine Geschichte erzählte“, da es nur ihm gegeben war, aus den stummen (kaum wahrnehmbaren) Zeichen, die seine Beute hinterließ, eine kohärente Ereignisfolge herauszulesen.“ (Carlo Ginzburg)3

Im Laufe ihrer Pirschzüge durch den Wald haben Jäger über die Jahrtausende gelernt, Aussehen und Bewegungen des Wildes zu rekombinieren. Dieses traditionelle Erbe des Entzifferns von Spuren wurde von Generation zu Generation weiter getragen, als eine Form der strategischen Fiktion. Die Jagdgemeinschaft konnte so an Ereignissen teilhaben, denen sie nicht unmittelbar beiwohnte. Aus scheinbar unerheblichen Hinweisen, kleinteiligen Beobachtungen und Gerüchen setzt sich eine Realität zusammen, die in ihrer Zeichenhaftigkeit entziffert, gedeutet und narrativ geordnet wird. Auch Schmidts Figuren scheinen damit beschäftigt, die noch frischen Spuren zu lesen. Auf diese Weise rückt die scheinbare Ereignislosigkeit seiner Szenen in ein neues Licht. Obgleich es erst wirkt, als bilde der malerische Pathos den Gegenpol zu der fehlenden Dynamik in den Motiven, wird nun deutlich, dass das geistige Fährtenlesen des Jagenden ebenfalls eine imaginäre Bewegung im Bild impliziert. Mögliche Indizien als auch Gedanken aber bleiben für den Betrachter im Vagen. Der Erkenntnisprozess des Jägers wird dennoch mediatisiert – über die farbliche und stilistische Lebendigkeit der Maltechnik. Jene Gleichzeitigkeit von formaler Bewegung und motivischer Statik ermöglicht, dass sich etwas Erzählerisches freisetzt, das im selben Moment malerisch verdichtet und auch wieder aufgelöst wird. Vordergrund, Mittelgrund und Hintergrund laufen ineinander.

Ebenso verflicht in „Allmorgendliche Männlichkeit“ der Camouflageanzug des auf einer Lichtung stehenden Jägers optisch mit der Umgebung. Die Formationen der Pinselstriche heben den Tarnanzug von dem mit Laub bedeckten Waldboden ab, lösen ihn aber gleichzeitig im Hintergrund auf. In „Undefinierbarkeit des Geschlechts“ wird die Grenze zwischen Vordergrund und Hintergrund schließlich ununterscheidbar, alles findet auf einer Ebene statt. Nicht nur Geschlecht, sondern auch die Gestalt der reitenden Person wird aus der näheren Betrachtung nahezu unsichtbar, sie gleicht sich der Natur an, passt sich ihr ein. Repräsentatives im Sinne des sozialen Status löst sich bildnerisch in mimetischen Farbtexturen auf, die Personen werden einerseits zum optischen Element und sind im gleichen Moment als solche nicht mehr erfassbar. Die vom Bildraum aufgesogene Jagdhandlung bleibt im Verborgenen, es kommt zu einer Depersonalisierung durch räumliche Angleichung. In dem den Arbeiten inhärenten Verweis auf malerische Verfahren wie dem Pointilismus, scheint Schmidt jene Mimese technisch aufzugreifen, die der Jäger durch das Tragen von Camouflagekleidung real unternimmt, um im Dickicht des Waldes unentdeckt zu bleiben.

Immer seltener wird die Begegnung mit Leuten, welche rechtschaffen etwas erzählen können. Immer häufiger verbreitet sich Verlegenheit in der Runde, wenn der Wunsch nach einer Geschichte laut wird. Es ist, als wenn ein Vermögen, das uns unveräußerlich schien, das Gesicherteste unter dem Sicheren, von uns genommen würde. Nämlich das Vermögen, Erfahrung auszutauschen“ (Walter Benjamin)4

Mit der Herrschaft des Bürgertums entwickelte sich eine neue Form der Mitteilung – die Information, der Journalismus. Geschichten können nicht mehr erzählt werden, auch die Jäger sind somit dissoziiert. Sie führen vereinzelt ein anachronistisches Leben in einer Landschaftsmalerei, die ihren Status nicht mehr zu fassen vermag, da dieser mit ihrer Schicht unterging. Der Jäger wird zum Überbleibsel einer vergangenen Welt, die ihre Geschichte stetig wiederholt, weil sie keine neue innerhalb der Gegenwart schreiben kann.

In der berittenen Sicht, die viele von Schmidts Bildern auszeichnet, manifestiert sich eine feudalistische Perspektive auf die Landschaft – denn es ist nicht der Blick von Eisenbahnpassagieren, der hier wiedergegeben wird. Gleichzeitig sind seine Landschaften zutiefst modern, da die Jagdszenen durch die dem klassischen Genre gegenläufige, grelle Farbwahl dargestellt werden, als handle es sich um ein massenkulturelles Phänomen der Gegenwart. Es entsteht der Eindruck, als würden sich malerische Technik und Inhalt, Vergangenheit und Gegenwart unaufhörlich gegenseitig kommentieren. So erscheint die Souveranität von Technologie und Wissen über das wilde, ungeordnete Leben, wie sie in traditionellen Jagdbildern gehuldigt wurde, durch die Verschiebung des historischen Referenzrahmens in Schmidts Malerei als eine bloße Behauptung. Analog wird auch der eigene Akt des Malens zu einer Frage nach der Implikation, Bedeutung und Verantwortung des Künstlers im eigenen Umfeld. Die strategische Wahl des Mediums beschreibt in der gleichzeitigen Affirmation und Subversion der Landschaftsmalerei ein unauflösbares Verhältnis des Künstlers zu seinem sozialen Hintergrund und kunsthistorischen Reigen. In dem stilistischen Wiederaufgreifen der Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts entwirft er eine komplexe Beziehung aus Zeit und Medium, die als Bruch innerhalb der Konventionen der ästhetischen Erfahrung funktioniert. Jene im Widerspruch flottierenden Zusammenführungen anachronistischer Epochen vermögen es, als Irritationen das Verhältnis von Sujet, Medium und Betrachter immer wieder neu zu ordnen.

1. W.J.T. Mitchell, Landscape and Power, Chicago 2002, S. 265.
2. Gustave Flaubert, Die Legende von Sankt Julian dem Gastfreien, in: ders., Drei Erzählungen, Frankfurt am Main 1996, S. 65.
3. Carlo Ginzburg, Indizien: Morelli, Freud und Sherlock Holmes, in: ders., Spurensicherung, Berlin 2002, S. 137.
4. Walter Benjamin, Der Erzähler, Illuminationen, Frankfurt am Main 1977, S. 385.
 

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