Sprengel Museum

Ana Torfs

13 Apr - 07 Sep 2008

© Ana Torfs, Anatomy, Installationsansicht, daadgalerie, Berlin, 2006
Ana Torfs
Anatomy
13 April – 7 September 2008

Torfs setzt sich in ihren Arbeiten oftmals mit Gegebenheiten unseres westlichen kulturellen Gedächtnisses auseinander. Dabei spielt die Verbindung zwischen Text und Abbildung, zwischen Lesen und Visualisieren eine zentrale Rolle. Ana Torfs eröffnet mit ihrem Werk neue Perspektiven auf vermeintlich bekannte Geschehnisse und lässt diese überraschend aktuell erscheinen.

Während ihres DAAD-Stipendienaufenthalts 2005/2006 beschäftigte sich Ana Torfs im Freiburger Militärarchiv mit der „Strafsache wegen Ermordung von Dr. Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg vor dem Feldkriegsgericht des Garde-Kavallerie-(Schützen)-Korps im Großen Schwurgerichtssaal des Kriminalgerichts in Berlin“, die im Mai 1919 geführt wurde. Die mit Präzision ausgewählten Aussagen, „Eine Tragödie in zwei Akten“, bilden die literarische Vorlage ihres Projekts, das den doppelsinnigen Titel ANATOMY trägt.

Ana Torfs wählte 25 junge Berliner Schauspieler, um ausgewählte Zeugnisse aus dem Wortprotokoll darzustellen und zeichnete diese auf Video auf. Weitere 17 Schauspieler verschiedenen Alters, wie Therese Affolter, Judith Engel, Stefan Lisewski und Matthias Matschke, standen der Künstlerin für Dia-Aufnahmen in schwarz-weiß Modell. Als Aufnahmeort wählte Ana Torfs den Hörsaal des so genannten „Anatomischen Theaters“ in Berlin, einem Langhans-Gebäude von 1789-90.

Das Ergebnis ist eine Installation, die großflächige Diaprojektionen mit Videobildern auf zwei Monitoren verschränkt. Die von den Schauspielern in Deutsch vorgetragenen Texte wurden von einer Dolmetscherin ins Englische übertragen. Über drahtlose Kopfhörer empfängt der Besucher diese im doppelten Sinne andere Sprache. ANATOMY seziert Sprache und Inhalt.

Der absurde Schauprozess gegen die Mörder Luxemburgs und Liebknechts enthält viele quälende Details zum konkreten Mordgeschehen. Daher enthalten die Videoaufnahmen eine Art langsames Sterben, erzählt aus der Perspektive der 25 Zeugen und Angeklagten. Der dargestellte Text ist in kurze Szenen eingeteilt, in der alle Details von verschiedenen Blickwinkeln aus erzählt werden, damit die Relativität des Erzählten deutlich wird. Im Mittelpunkt steht die Sprache und die Frage, wie viel verrät sie über das Land, die Beteiligten und den Kontext. Sprache ist eben niemals objektiv.

Die Dia-Projektionen in Torfs‘ ANATOMY bilden einen abstrakten visuellen Kontrapunkt zu den Videobildern. Die Aura der Architektur des Anatomischen Theaters, die u. a. zwischen Bühne, griechischem Theater und Gerichtssaal oszilliert, unterstützt eine suggestive Wirkung. Das Anatomische Theater eignet sich für ihr Projekt ANATOMY besonders gut, weil dieser Ort, an dem seziert und analysiert wurde, auf mehrfache Weise ihr künstlerisches Vorgehen spiegelt, in dem sie manchmal wie mit einem Skalpell in die historischen Texte schneidet, um bei der anschließenden Analyse u. a. die Aussichtslosigkeit der Wahrheitssuche deutlich zu machen.

In Zusammenhang mit der Ausstellung erscheint eine Publikation mit dem gleichnamigen Titel ANATOMY. Die Publikation enthält den Text der „Tragödie in zwei Akten“ von Ana Torfs (64 Seiten, deutsch und englisch).

Biografische Hinweise
Ana Torfs wurde 1963 in Belgien geboren und lebt und arbeitet in Brüssel. Zu den jüngsten Arbeiten von Ana Torfs gehören, neben verschiedenen Installationen mit Diaprojektionen, Fotoserien, ein Webprojekt und ein 35mm-Spielfilm, auch unterschiedliche Publikationen. Ihr Œuvre, das sich nicht auf ein bestimmtes Medium festlegen lässt, bietet vor allem eine starke visuelle Erfahrung, der aber oft ein Text zugrunde liegt: Die Konversationshefte eines ertaubten Komponisten (Zyklus von Kleinigkeiten, 1998, Spielfilm), ein Prozesstext aus dem fünfzehnten Jahrhundert (Du mentir-faux, 2000, Diaprojektionen und Künstlerbuch), ein Theatertext aus dem Jahre 1890 (The Intruder, 2004, Diaprojektionen und Tonspur). Dies alles wird zu Ausgangspunkten ihrer Arbeit.

Torfs zählt nicht nur zu den wichtigsten Vertreterinnen der belgischen Kunstszene, sondern ihr Werk ist international bekannt durch ihre Teilnahme an folgenden Projekten und Ausstellungen: Biennale Lyon (1995), Biennale Montreal (2000), ForwArt Biennale Brüssel (2002), Approximations/Contradictions — ein Webprojekt für die Dia Art Foundation (New York, 2004, www.diaart.org/torfs) Sie hatte Einzelausstellungen in u. a. Palais des Beaux-Arts (Brüssel, 2000), Roomade (Brüssel, 2004), Gesellschaft für Aktuelle Kunst, GAK (Bremen, 2006), daadgalerie (Berlin, 2006) argos, zentrum for Kunst und Medien (Brüssel, 2007). Ihre Werke wurden u. a. ausgewählt für Gruppenausstellungen in Museion (Bolzano, 2008), K21 (Düsseldorf, 2007), Fotomuseum (Winterthur, 2007), Mucsarnoc Kunsthalle (Budapest, 2007), Württembergischer Kunstverein (Stuttgart, 2007), MUHKA (Antwerpen, 2007), EXTRA CITY (Antwerpen, 2004), FRAC Lorraine (Metz, 2004), Badischer Kunstverein (Karlsruhe, 2002), Museum Boijmans van Beuningen (Rotterdam, 2001) etc.
 

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