Thomas Rehbein

Hunger nach Bildern

Joëlle Dubois, Julia Jansen, Anya Janssen, Michael Kalmbach, Stephan Melzl, Ulrich Pester, Leif Trenkler

03 Jul - 22 Aug 2020


JOËLLE DUBOIS (*1990, Gent)
Dubois' Arbeiten beleuchten mit Ironie und Pragmatik die Kehrseiten digitaler Kultur. Die entblößenden Szenen einer Gesellschaft, die sich selber in den latent narzisstischen Selbstdarstellungen anderer reflektiert, kreisen um Sexualität, Einsamkeit und Selbstreflexion. Diesem Themenkomplex widmet sich Dubois auf eine ironische und auch komische Weise mit Leidenschaft in ihren Werken. Sie zeigt ihre Protagonisten exponiert und ungeschönt mit einem drastischen Realismus, der in der digitalen Welt oft sehr verzerrt und geschönt wird. Bei all dem ist sie selbst eine stille Beobachterin und schaut der Welt in ihrer eigenen Zurschaustellung eines eigenwilligen Perfektionismus zu. In den Bildnarrativen spielt der voyeuristische Blick auf intime Momente Wahrhaftigkeit vor, die Nacktheit der Figuren macht diese zutiefst verletzlich. Doch die allgegenwärtige Beschäftigung der gezeigten Personen mit dem Smartphone oder ähnlichen Tools lässt ihre Aura zwischen ignoranter Besessenheit und traurigster Apathie pulsieren.


JULIA JANSEN (*1972, Bonn)
Julia Jansens Gemälde sind Bilder von Bildern. Durch bewusst gesetzte, sichtbare und eindeutig das malerische Medium entlarvende Pinselstriche lenkt Jansen die Aufmerksamkeit weniger auf den dargestellten Gegenstand, sondern verweist vielmehr auf die mediale Darstellungsform. Die gezeigten Motive sind schnell genannt und ohne ikonografischen Mehrwert. Stattdessen wird durch zahlreiche Variationen eines Sujets Jansens Interesse für formale Fragen spürbar. Verschwommen, wie durch ein milchiges Fenster oder einen beschlagenen Spiegel betrachtet, sind die Gegenstände, deren weiche Kontur auch an die ungenaue Fokussierung bei der Fotografie denken lässt, durch verschiedene, sich überlagernde Malweisen verfremdet. Jansens souveräne Technik lotet den schmalen Grat zwischen Sein und Schein aus. Statt den Fokus auf die sichtbare Realität und deren konkrete Erscheinungsformen zu legen, betont Jansen die Einwirkungen auf den Sehsinn und damit die mit der Vermittlung des Bildes einhergehenden Einflüsse auf die Wahrnehmung.





ANYA JANSSEN (*1962, NL)
Die Frage, wie Menschen mit sich selbst und ihrer Umwelt umgehen und was ihre Entwicklung bestimmt, ist ein wiederkehrendes Thema in der Arbeit von Anya Janssen. In der Serie „Das Haus“ verzerrt Janssen eine lineare Zeiterfahrung. Sie lässt die Vergangenheit mit der Gegenwart zusammenfallen und erzählt so die Geschichte eines Hauses. Der Ort selbst ist von einer turbulenten und langen Geschichte geprägt. Janssen nahm den Gedanken an, dass Erinnerungen und Ereignisse sich an physische Orte binden. Janssens Arbeit erzählt Geschichten durch Eindrücke. In einer Reihe von narrativen Gemälden und Zeichnungen erreicht sie eine sehr enge, direkte Beziehung zu ihrem Thema. Die gemalten Objekte, Körper und Orte erhalten eine schwelende Spannung unter der malerischen Oberfläche. Ihr akribischer Stil lässt sie leblose Objekte mit einem ausgewogenen Gefühl von Lust und Resignation erfüllen. Durch die Verwendung von Verzerrung, Transparenz und einem entfremdenden Licht übersetzt Janssen die Realität und all ihre Facetten auf die Leinwand.

MICHAEL KALMBACH (*1962, Landau)
Der Ausgangspunkt der aquarellierten Bildwelten Michael Kalmbachs ist eine Ansammlung unbestimmter, großflächig angelegter Kleckse. Auf feuchte Papierbögen tropft und spritzt Kalmbach in willkürlicher Manier koloriertes Wasser, wobei sich die überschüssige Flüssigkeit in Pfützen ansammelt, so dass während der Trocknung Ablagerungen von Pigmenten zu Farbinseln unterschiedlicher Intensität gerinnen. Dieser unregelmäßige, fleischfarbene Fleckenteppich ist der amorphe Nährboden, dem die Bildwelten Michael Kalmbachs entspringen. Das ungebändigte All-Over wird strukturiert, Anordnungen von physiognomischen Merkmalen und Körperteilen lassen Gesichter und Gestalten erkennbar werden. Es entstehen märchenhaft anmutende Szenarien, von traumwandlerischen, entrückten Knabengestalten bevölkert. Ihre Figur ist oft nur angedeutet, erscheint sich durch die flüssige Kontur schemenhaft an der Oberfläche abzuzeichnen, um sogleich wieder zu verschwimmen, sich mit einer anderen Kurve zu vereinigen.

STEPHAN MELZ (*1959, Basel)
Die kleinformatigen Gemälde von Stephan Melzl weisen eine exquisite Farbgebung auf, deren intensive Leuchtkraft aus einem langsamen, lasierenden Farbauftrag hervorgeht. Nach einer Entwurfszeichnung, die wie ein erstes Gerüst die Bildfläche gliedert bzw. strukturiert, gibt sich Melzl der Malerei hin, aus seiner konzentrierten Beobachtung der Schichten lichter, transparenter Farbklänge ergibt sich die Bildfindung. Melzls meisterhafte Technik macht alles möglich, sie veranlasst die einträchtige Koexistenz disparater Elemente im Bild und lässt eine Bildrealität entstehen, in der Widersprüche harmonisch erscheinen und die Logik des Traums die Handlungsebenen verdichtet. Hinter diesem schönen Schein, der alles vereinheitlicht, geht es mitunter anarchisch zu. Melzl übernimmt oft bedeutende Einzelwerke oder traditionelle Bildformeln der Kunstgeschichte und ergänzt das Zitat durch Bildmotive aus einem völlig anderen Kontext. Die Diskrepanz zwischen einer eleganten Malerei und den dargebotenen, oft skurrilen Sujets, zwischen perfekter Form und rätselhaftem Inhalt erzeugt die eigentümliche Spannung, die den Gemälden von Stephan Melzl innewohnt.


ULRICH PESTER (*1980, Hannover)
Im Zentrum seines künstlerischen Handels steht die Suche. Ulrich Pester geht es um den andauernden Prozess, aus dem sich eigenständige bildhafte Formen herausbilden. Ideen für seine Sujets finden sich überall: in der alltäglichen Auseinandersetzung mit Film und Internet, aber auch eigene Zeichnungen oder Beobachtungen im Alltag können zum Ausgangspunkt für seine Arbeiten werden. In banalen Dingen verborgenes Bildpotential entwickelt über subtile Wendungen während des Malprozesses eine Eigendynamik und Autonomie. Handwerklich überzeugen seine Arbeiten durch eine formale Klarheit. Weit davon entfernt, sich auf einen Stil oder eine Methode festzulegen, findet Pester auf seinen malerischen Erkundungen immer wieder zu neuen Ansätzen. Entsprechend abwechslungsreich und überraschend sind seine Bildfindungen auch in seinen neuen Arbeiten. Neben abstrakten, figurativen und zeichnerischen Sujets sind seine Motive Tromp-l’œil-Effekte, kunsthistorische Referenzen, ironische Wortspiele oder feinsinnige Bildwitze.


LEIF TENKLER (*1960, Wiesbaden)
Leif Trenkler zählt zu den ersten Vertretern der Neuen Figuration in Deutschland und prägte diese Strömung zeitgenössischer Kunst durch seinen charakteristischen Stil mit. Seine realistische Malerei hält Momentaufnahmen fest. Die oft knallige Atmosphäre seiner Arbeiten entwickelt dabei ganz eigene Anregungen für die Sinne, ganz so wie man Pflanzen am Abend oder das frisch geschorene Gras am frühen Nachmittag geradezu riechen kann. Auch wenn sich die Malerei des 1960 in Wiesbaden geborenen Künstlers motivisch im Hier und Jetzt verorten lässt, bilden seine Gemälde deutliche Referenzen an vergangene Epochen der Malerei. Es ist insbesondere die Konfiguration aus Farbe, Bildträger und stilistisch signifikanter figürlicher Malerei, die sein Interesse für weitaus ältere Vorbilder erkennen lässt. Ein feines Gespür für die Atmosphäre vor Ort ist in seiner Malerei ebenso evident. Trenkler stellt seine Staffelei jedoch nie im Freien auf. Er sammelt die Eindrücke, die er auf seinen Reisen erhält, in seinem Gedächtnis. Der Fotoapparat assistiert ihm dabei. „Malerei folgt ganz eigenen Gesetzen. Da geht es um Farbigkeit, um Farbverläufe, um Dramaturgie und Komposition. Wie passt ein Rosa zu Orange, welches Gewicht hat ein Tropfen Gelb gegenüber einer 30 Zentimeter großen Fläche in Dunkelgrün, und wie steht das alles im Verhältnis zum Menschen oder zur Architektur oder zur Landschaft?“.