Viktor Bucher

Julie Hayward

03 Jun - 05 Jul 2014

© Julie Hayward
Untitled, 2013
Polyester/Steel
200 x 215 x 70 cm
Photo: Thomas Gorisek
JULIE HAYWARD
Subliminal
3 June - 5 July 2014

Let`s dance! Put on your red shoes und tanz den Blues. Lasset uns schwingen, sway through the crowd to an empty space. Aber können sie überhaupt tanzen, diese schwarzen geriffelten Entitäten, die aussehen wie in die Vertikale gezerrte Ölpfützen und die mit einer eisernen Klammer aneinander gefesselt sind? Siamesischer Cakewalk? English Waltz hinter schwedischen Gardinen? Rock und Roll in morganatischer Ehe zusammengeschweisst? Polyester und Stahl, scheinbar schwer und massiv und doch durch eine leichte Armbewegung problemlos zu verrücken? Julie Haywards biomorphe Skulpturen werden durch die Titelgebung häufig in eine bestimmte gedankliche Richtung navigiert, die sich dann aber als dunkler, unbeleuchteter Nonplace am Ende der Strasse herausstellen kann. Nichts ist eindeutig an diesen Arbeiten, die mit der Dialektik von Mimesis und Differenz spielen. Die manchmal wie alptraumhafte Projektionen aus dem Unbewußten wirken und dann wiederum wie ins Überdimensionale vergrößerte Bauklötzchen oder Kreiselfiguren. Phainomena, die mit den Augen zu sehen sind gleichermaßen wie Noumena, die mit dem Geist erkannt werden können. Spielmaterial für die von den Ketten der Konvention befreite Phantasie. Die zweite große Arbeit in der Ausstellung „Subliminal“ ist noch ergebnisoffener was Interpretationen betrifft, die ihr eine Deutung aufzudrängen versuchen. „o.T.“ diesmal, ohne Titel also. Eine unregelmäßige geometrische Rundform, die sich nach oben hin verjüngt und eine zweite kleinere Leerstelle gebiert. Davor ein Haufen schwarzer Elemente, die aussehen wie achtlos ausgestreute Puzzleteile. Man darf an ein überdimensionales Maul denken, das in begriffslosem Entsetzen seine Zähne ausgespuckt hat. Oder an Gesichter, die abgelegt worden sind und eine Negativ-Form zurückgelassen haben: Schwarze Löcher, Antimaterie, die Stabilität des Instabilen. Oder auch umgekehrt. Die großen skulpturalen Gestaltwerdungen in der Ausstellung werden gespiegelt durch einige kleinere Arbeiten, die Motive aufnehmen und im Rahmen ihrer jeweils gewählten künstlerischen Darstellungsform variieren. Die einzige Photographie zeigt zwei Bäume, die mit Stoff umwickelt wurden, um sie vor anlegenden Booten zu schützen. Standbein und Spielbein, verrutschte Ballettstrümpfe, ein imaginärer/ imaginierter Körper, der im Begriff ist, seine Position der Stabilität zu verlassen, um sich der tänzerischen Verwirbelung hinzugeben. If you say run, I run with you. Let`s dance. „o.T. 2014“ gehört, so wie alle Photographien von Julie Hayward zum Komplex der auf ausgedehnten Spaziergängen „vorgefundenenInstallationen und Objekte“, die erst durchden Akt der Dokumentation als solche definiert werden. Die Zeichnung „o.T. 2013“ hingegen, die als eine Art Präludium der Ausstellung fungiert, nimmt, gefiltert durch die Sensibilität und die gestalterische Idiosynkrasie der Künstlerin das binäre Prinzip von „Let`s dance“ vorweg und prägt ihm eine andere ontologische Signatur auf: Zwei offene Boxen, die nur durch ihre Umrißlinien definiert werden und paradoxerweise trotzdem einen dunklen Schatten werfen, werden durch ein textilförmiges Material miteinander verbunden. Eine lose Verknüpfung von geometrischen Körpern, die für die rationale Organisation von zeitgenössischen Lebenswirklichkeiten stehen, im Gegensatz zur unerbittlichen Umklammerung jener sowohl formal wie inhaltlich weniger klar stratifizierten Objekte, die in „Let ́s dance“ Tanzschwindel und Drehekstasen evozieren. „Tanz, Trunkenheit, toxische Exzesse, Selbstverstümmelungen usw. sind von außen nach innen angesetzte Handlungsreihen,“ schreibt Arnold Gehlen, „und die in ihnen gewollte Übersteigerung und Hypertension der Affektivität und Sensibilität erreicht höchste Grade, weil die aufgelösten Hemmungsenergien in die Dynamik mit eingehen, so zu einer als beglückend empfundenen Befreiung und Entlastung des Menschen von sich führend.“ EinigeSkulpturen von Julie Hayward, die wie schockgefrorene Manifestationen solcher kinetischer Verheissungen wirken, werden in der Filmarbeit„Suck“, die die Ausstellung abschließt, in jenen Seinsmodus übersetzt, der ihnen als entelechetisches Prinzip eingeschrieben ist: Zeichentricktechnik bringt die Objekte zum Laufen, die sich wie urweltliche Ungeheuer im Raum bewegen und mit ihren Tentakeln festen Halt zu finden versuchen. Let`s dance, for fear your grace should fall. Die Ausstellung „Subliminal“ entwirft somit auf knappestmöglichem Raum einen panoramatischen Blick auf die Kunst von Julie Hayward. Sie deutet den Weg an, der von der Zeichnung zurDreidimensionalität führt, sie berauscht sich an den Paradoxien von Stasis und Hypertension, die im stillgestellten Artefakt subliminal vibrieren. Sie stellt Fragen nach Ähnlichkeit und Differenz, nach ontologischer Stabilität und transzendentaler Obdachlosigkeit. Subliminal bedeutet in diesem Zusammenhang, dass Reize aktiviert werden, die die Schwelle des Bewußtseins nicht überschreiten. Dass unter jener Oberflächenschicht, die für den Blick und den tastenden Zugriff erreichbar sind, andere, kryptischere Energien wirken. Die Künstlerin hat mehrfach beschrieben, welcher Arbeitsprozess ihren Formerfindungen zugrundeliegt: Die Werke würden aus der Zeichnung heraus entwickelt, wobei sie versuche, die kontrollierenden Ich-Instanzen weitgehend auszuschalten und sich von der Hand führen zu lassen: „Dies passiert immer auf einem A4 Format mit schwarzem Feinleiner der nicht kratzt und dadurch ablenkt und eine gleich bleibende Linienstärke hat. Das Format bietet einen Halt in diesem schwebendem Zustand.“ Ein archäologischer Prozess, der Formen freilegt, die in einexistentielles Paradigma eingeschlossen seien, das zuvor weder direkt noch indirekt anzusteuern war. Obwohl Hayward betont, dass diese Konfigurationen auch als Traumgesichte nicht zu entziffern seien, scheint doch eine Art „infinit-dimensionale Traumlogik“ im Sinne Hermann Brochs am Werk zu sein, die diese skulpturalen Ausgrabungen zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion, zwischen Mimesis und Formverlust, zwischen geometrischer Organisation und Distorsion hervorzutreiben imstande ist: Durch das Kunstwerk sei dem Menschen eine Annäherungsmöglichkeit an die ihm zutiefst innewohnende Logik gegeben, hat Broch geschrieben: Formen und Farben, Bilder und Strukturen würden aufeinander wirken, sich gegenseitig erhellen und ergänzen. Dies sei die einzige Art, um aufzeigen zu können, „wie die höchsten geistigen Ziele des Menschen unmittelbar mit seinem kaum erahnbaren Wesensgrund verknüpft sind und sich aus diesen rein triebhaften Wurzeln in direktem Wachstum entwickeln können.“ Mag es diese Traumlogik sein, die am Wesensgrund von Julie Haywards künstlerischer Energie wirkt, mag es sich um eine individuell appropriierte Variation des automatischen Schreibens der Surrealisten handeln, eine Art Dessin automatique: Wesentlich ist, das am existentiellen Nicht-Ort zwischen Erinnerung und Vergessen eine sehr subjektive formale Eigenart hervortritt, die doch Verbindlichkeit und Anschlussfähigkeit beanspruchen darf und zwischen Wesen und Erscheinung vermittelt.„Wir können die Welt nur so wahrnehmen, wie sie uns erscheint.“ schreibt Christoph Türcke in „Philosophie des Traums“.„Aber Erscheinungen sind immer bloß eine Außenseite: Erscheinungen von etwas, was selbst nicht erscheint. Dies in den Erscheinungen Verborgene, das sich nur „spekulativ“, will sagen denkend, nicht durch die Sinne, erfassen läßt, heißt in der Philosophie dann „Wesen“, „Substanz“ oder „An sich“.“ In Julie Haywards Kunst glaubt man zumindest den Anhauch dieses ́An sich` zu spüren, einen Schmetterlingsflügelschlag der ́Substanz` zu erleben. Put on your red shoes. Let`s dance!

Thomas Mießgang
 

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